Di 05-01-21 Gleichzeitig zeitgleichig?

Gleichzeitige Zeitgleichigkeit?

Hier ein kleiner Beitrag zum allgegenwärtigen sprachlichen Sondermüll. Eine einzelne Quelle zu isolieren macht an dieser Stelle wenig Sinn. Die Konfusion hat mittlerweile „viral“ – wie es neudeutsch so schön heißt – um sich gegriffen. Fassen wir uns kurz.

»Gleichzeitigkeit« bedeutet, daß zwei Ereignisse zum gleichen Zeitpunkt stattfinden oder stattgefunden haben. »Zeitgleichigkeit« dagegen bedeutet, daß zwei Ereignisse den gleichen Zeitraum – das ist der Abstand zwischen zwei Zeitpunkten – in Anspruch genommen haben. Wenn also zum Beispiel zwei Sportler eine Minute zeitversetzt starten und dabei exaktemente die gleiche Zeit brauchen, um ins Ziel zu kommen, dann ist das zeitgleich. Allerdings kommen sie dabei nicht gleichzeitig ins Ziel – sondern eben eine Minute zeitversetzt. Kämen sie gleichzeitig ins Ziel, dann wäre der später gestartete Sportler eine Minute schneller gewesen – und eben nicht „zeitgleich“. Nun könnte man sagen: Haben wir denn sonst keine Probleme? Oder, sachlicher: Sprache entwickelt sich eben. Was Bolle indes Sorgen macht, ist der Unterschied zwischen „anders und anders“ (Variabilität) einerseits und „präziser vs. schlampiger“ (Qualität) andererseits. Wenn es nun aber auf der formalen Ebene überhaupt einen Unterschied macht, der einen Unterschied macht (Gregory Bateson 1985), dann ist es der zwischen Variabilität und Qualität: „anders“ geht, wenn’s denn sein muß, noch in Ordnung – „let them have their fun“ –, „schlampiger“ mitnichten. Und wenn etwas auf der inhaltlichen Ebene einen Unterschied macht, der einen Unterschied macht, dann ist es der zwischen Zeitpunkten und Zeiträumen. Wir sollten das tunlichst nicht konfundieren. Und falls doch, dann sollten wir uns zumindest nicht wundern, wenn das aufgeschlossenere Schichten nicht mehr so recht ernst nehmen können und werden. Alors, journaille de la Patrie. Ihr habt diesen Unsinn in die Welt gesetzt und „viral“ gemacht. Zeit für eine „Wende“ – noch so ein Wortwitz, übrigens. Bolle indes meint das ganz im kanonischen Sinne: 180 Grad zurück marsch, marsch! In seiner Peinlichkeit nämlich steht jeder – ähnlich wie im Tode – ganz für sich allein. Aber das ist dann schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 12-12-20 Das zwölfte Türchen …

Hier das 12. virtuelle Türchen …

Die „Kreativen“ dieser Welt meinen ja oft, sie seien schon deshalb kreativ, weil sie Ideen haben. Andy Warhol dagegen meint, man sei erst dann kreativ, wenn man etwas verwirklicht hat – also buchstäblich geschaffen. Und? Wer hat Recht? Von der Wortbedeutung her natürlich Andy Warhol – wobei sich die Quelle, wie so manches Wesentliche – im Dunkel der Zeiten verliert. Schließlich leitet sich »Kreativität« ab von lat. creare ›schöpfen, schaffen‹. Formal gesehen haben wir es mit einem zweistufigen Prozeß zu tun: Die Idee ist notwendige Bedingung für die Schöpfung. Hinreichend ist aber erst das vollendete Werk – ein Zusammenhang, der übrigens erst in der hier vorliegenden Bolle’schen Fassung in Descartes’scher Manier klar und deutlich (clare et distincte) zum Ausdruck kommt. Aber das ist schon ein anderes Kapitel.

Mo 16-11-20 Wirklich wahr?

Der trichotomisierte Wahrheitsraum
Wahrheitsraum trichotom

Hier Bolles trichotomisierter Wahrheitsraum. Alles drinne — von Verschwörungsopfern über Verblödungsopfer — die sich ihre fehlerhafte Sicht der Dinge teilen – bis hin zu Gläubigen und Ungläubigen, die sich mit Fug und Recht ihren Hochmut teilen. Mehr dazu in Kürze …

Mo 11-11-19 Logik vs Ethik

Gerade in einer Zeit, in der mehr und mehr Fakten ignoriert werden, ist es wichtiger denn je, dass sich die Wissenschaft zu Wort meldet und sich in Debatten einmischt.

Gefunden in der Tagesspiegel Morgenlage unter „Zitate“. Wer hat’s gesagt? Forschungsministerin Anja Karliczek. Bolle meint: Da hat jemand auf ganz grundsätzliche Weise mißverstanden, was die Aufgabe „der Wissenschaft“ ist – Forschungsministerin hin oder her. Aufgabe der Wissenschaft ist es erstens, Kenntnis von Tatsachen zu erlangen (zum Beispiel „Leute haben eine Leber“ oder „Es gibt Ethanol“) sowie zweitens Wissen um Zusammenhänge (zum Beispiel „Wenn eine Leber mit zu viel Ethanol in Kontakt kommt, dann tut ihr das nicht gut“). Wir hatten das übrigens schon mal (vgl. »Do 17-10-19 Homöopathie«). Ob es dagegen jemand in Anbetracht der wissenschaftlichen Erkenntnisse vorzieht, a) ein nüchternes, im Zweifel sozial ausgegrenztes, dafür aber leberfreundliches Leben zu leben, oder aber b) dem einen oder anderen Gläschen zuzusprechen (oder auch einem ganzen Faß), hat mit Wissenschaft rein gar nichts zu tun. Es handelt sich hierbei um eine Frage der Entscheidung. Der Unterschied könnte nicht grundsätzlicher sein. Wissenschaft, bzw., in klassischer Diktion, Logik fragt: Was ist / was ist nicht? Ethik dagegen fragt: Was soll / was soll nicht? Seins-Aussagen und Sollens-Aussagen miteinander zu vermengen ist dabei ebenso daneben wie verbreitet. Aus Entscheider-Sicht hat es ja auch einen gewissen Charme: (1) Die Wissenschaft hat festgestellt, […]. (2) Also müssen wir […]. Damit ist man der Entscheidung enthoben. Wenn’s schief geht, ist dann eben jemand anderes schuld. Na toll. Dumm nur, daß diese Logik aus Sicht der »Logik« ganz und gar unzulässig ist: Aus einer Seins-Aussage läßt sich unter keinen Umständen („never ever“) eine Sollens-Aussage ableiten.

Graphisch gestaltet sich das ganze wie folgt. Auch das hatten wir übrigens schon mal (vgl. »Fr 04-10-19 Klimabremse«) – aber man kann es offenbar nicht oft genug wiederholen.

Der Managementzirkel.

Die Gesellschaft bzw. deren designierte Entscheider legen fest, wo sie hin wollen: »Ziel-Definition«. Die Wissenschaft versucht dann zu ergründen, wie man (beim gegebenen Stand der Technik) da hin kommen kann bzw. was zu tun ist, um das Ziel zu erreichen: »Plan«. Dabei kann es passieren, daß die Wissenschaft im Rahmen von »Check der Mittel« (ein unverzichtbarer Bestandteil jeglicher Planung) zu dem Schluß kommt, das in der Aufgabenstellung zu viele Zielgrößen vorkommen und zu wenige Aktionsgrößen – daß das Problem also überbestimmt ist. Zum Beispiel: (1) Wir wollen unseren CO2-Ausstoß bis dann und dann halbieren – und zwar so, (2) daß sich niemand auch nur im geringsten einschränken muß. Natürlich würde kein Entscheider das so platt formulieren. Wenn wir uns aber umgucken auf der Welt, läuft es zur Zeit exaktemente darauf hinaus. In diesem Fall bleiben einem aufrechten Wissenschaftler nur zwei Optionen. Er kann sagen: „Überdenkt Euer Ziel und meldet Euch dann noch mal bei mir“, Pfeil a). Oder er kann sagen: „Laßt uns uns anderen Problemen zuwenden. Das hier kriegen wir vorläufig nicht gelöst“, Pfeil b). Auch hier würde kein Wissenschaftler das so platt formulieren. Aber auch hier läuft es exaktemente darauf hinaus. Kurzum: Von der Wissenschaft zu erwarten, daß sie uns „ausrechnet“, was wir wollen, geht nach allem rein gar nicht. Aus Entscheider-Sicht (»Ethik«) ist das natürlich eine ultra-charmante Lösung – weil sie sich dann nicht entscheiden müssen (obwohl sie genau dafür bezahlt werden). Aus Wissenschaftler-Sicht (»Logik«) dagegen ist das aber leider voll „unlogisch“ (siehe oben) und somit im Ansatz und damit auch als Ansatz unbrauchbar. Aber das ist ein anderes Kapitel.

So 27-10-19 Tag der Befreiung

Es gibt Dinge, die kriegt man erst mit, wenn man seinen Kalender einrichtet. Bei Durchsicht der Feiertage 2020 ist Bolle aufgefallen, daß es in Berlin am Freitag, dem 8. Mai, einen „Tag der Befreiung“ als offiziellen, gesetzlichen Feiertag geben soll. Neben dem „Weltfrauentag“ am 8. März – der nächstes Jahr allerdings leider auf einen Sonntag fällt und damit zum Feiern verlorengeht – legt der Berliner Senat also eine erstaunliche Kreativität im Ersinnen zusätzlicher Feiertage an den Tag. Das ist aber auch nur gerecht: Schließlich gilt Berlin seit jeher – ganz im Gegensatz zu Bayern etwa – als „Schlußlicht“ in puncto Feierlaune. Das leuchtet im Kern natürlich auch ein. Berlin ist im wesentlichen protestantisch – und überdies, zumindest im weiteren Sinne (fragt Friedrich II), auch preußisch. Da wird nun mal eher gearbeitet oder gekämpft als gefeiert. Wer mehr wissen will, möge bei Max Weber und seiner „Protestantischen Ethik und dem Geist des Kapitalismus“ nachschlagen.

Im übrigen wird das Feierlaune-Engagement des Berliner Senats doch ein wenig eingetrübt, da der „Tag der Befreiung“ nur ein einmaliger Feiertag sein soll. Ein einmaliger Feiertag aber ist – da ist sich Bolle formal sicher – kein Feiertag im definierten Sinne. Aber geschenkt.

Wirklich Sorgen macht Bolle das folgende, formale Problem: Wenn der 8. Mai der „Tag der Befreiung“ sein soll, dann bedeutet das rein logisch, daß die „Befreiten“ – wer auch immer das sein mag, die Berliner oder die Deutschen an sich – vorher eben nicht „frei“ gewesen sein können. Wenn sie aber nicht frei waren, dann heißt das, daß sie für ihr Tun auch nicht verantwortlich gemacht werden können. Das liegt nun mal im Wesen der Freiheit. Also entweder a) die Berliner wurden befreit – dann kann man ihnen nichts weiter vorwerfen – oder b) man besteht darauf, ihnen ihr Tun vorzuwerfen: dann bedeutet der 8. Mai aber nichts weiter als die Niederschlagung derangierter Bestrebungen. Damals übrigens war – rein sprachlich und weniger inhaltlich gesehen – eher von „entartet“ die Rede. Doch das nur am Rande. Auf den boole’schen Punkt gebracht ergeben sich demnach genau zwei Möglichkeiten: a) unschuldig und befreit oder b) schuldig und besiegt. There is no alternative („TINA“ in Maggie Thatcher’s Manier – übrigens das Unwort des Jahres 2010) – bzw., in klassischer Diktion: Tertium non datur. Bolle ist immer wieder fasziniert, wieviel Klarheit und Wahrheit doch in althergebrachter formaler Logik zu stecken vermag. Dumm nur, daß sich von IT-Fachleuten abgesehen kaum noch einer mit so etwas auskennt – geschweige denn, es anzuwenden weiß. Jetzt fehlt nur noch, daß jemand auf die Idee kommt, einen „Tag der Niederlage“ auszurufen – als kalendarisches „Mahnmal der Schande“, gewissermaßen. Mit so was will Bolle aber lieber rein jar nüscht zu tun ham. Aber das ist ein anderes Kapitel.