So 07-02-21 Shit happens

Shit happens.

Es gibt Regeln, die sind so elementar, daß sie unmittelbar jedem einleuchten sollten. Eine dieser Regeln – vielleicht die Regel überhaupt – postuliert, daß nicht immer alles so läuft, wie wir uns das wünschen mögen. Shit happens, halt. Trotzdem tun sich viele schwer damit, das einsehen zu wollen. Solange wir im Ungefähren bleiben – Shit happens, schon klar – mag die Einsicht noch vergleichsweise hoch sein. Sobald es aber konkret wird – Hey, shit is happen­ing to you, and it’s happening right now – ist es mit der Einsicht schnell vorbei. Why me, me, me? Mein Gott, warum gerade ich? Die Antwort: Weil Du eine zu vernachlässigende Größe in Gottes großem Schöpfungsplan bist. Darum. Komm damit klar.

Waren die Leute immer schon so doof? Vermutlich Ja – zumindest mehrheitlich. Natürlich gab es in der Geschichte der Philosophie auch immer Leute, die sich selber intellektuell nicht so billig abspeisen wollten – in erster Linie wohl die Kyniker (mit Diogenes und seinem Faß) und vor allem auch die Stoiker (mit Marc Aurel, dem römischen Philosophenkaiser). Für diese Leute war die Anerkennung der „Shit happens“-Regel eine agnostisch-kontemplative Selbstverständlichkeit – zumindest aber Notwendigkeit.

Und? Was machen wir heute? Wir nennen einen Kyniker einen „Zyniker“ – und heißen ihn einen schlechten Menschen. Wie kann sich einer dem Elend der Welt nur so verschließen? Aus der Einsicht vielleicht, daß es schlechterdings keinen Sinn macht, sich über Dinge aufzuregen, die man ohnehin nicht ändern kann? Daß man klugerweise einfach lernen sollte, manche Dinge auszuhalten – wenn man sie schon nicht ändern kann? Zugegeben: In einer Welt, die den herkömmlichen (und zugegebenerweise höchst zweifelhaften) Heldenkult nonchalant durch einen (im übrigen nicht weniger zweifelhaften) Opferkult ausgetauscht hat, ist das eine durchaus anfechtbare Position.

Im Rahmen unserer agnostisch-kontemplativen Bestrebungen sollte es uns aber weniger darum gehen, ob und inwieweit unsere Position anfechtbar ist – was stört’s den Mond, wenn ihn der Mops anbellt – sondern vielmehr darum, ob wir sie für uns, nach Prüfung aller Fürs und Widers (neudeutsch: pros und cons), für gut und richtig halten: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders.“ (Luther 1521). Leute, tut was. Aber denkt daran: Bevor Ihr Euch daran macht, die Welt zu verbessern: Kehret dreimal vor Eurer eigenen Tür – auf daß Ihr nicht als klugscheißerischer mainstream-konformer Dummdödel enden möget (vgl. dazu auch Sa 05-12-20 Das fünfte Türchen …). Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 06-02-21 Multiples Organversagen: Der Globus quietscht und reihert …

Trösterchen — in Mainzer Mundart.

Der Begriff »Trösterchen« (zumindest in der Form »Trostpflaster«) findet sich schon im Grimm’schen Wörterbuch von 1885. Doch das nur am Rande.

Das „multiple Organversagen“ als Analogie zum Zustand der Erde hat Bolle in einem Interview mit Matthias Glaubrecht aufgeschnappt, der 2019 ein Buch mit dem doch etwas reißerischen Titel »Das Ende der Evolution« vorgelegt hat. Laßt uns lieber nicht hysterisch werden. Allerdings könnte es durchaus sein, daß manches, was da in absehbarer Zukunft auf uns zukommen könnte, so manchem (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) so rein gar nicht schmecken wird. Seit Malthus (1798) – das ist auch schon wieder über 200 Jahre her – ist klar, das ein System, das nicht gesteuert wird („preventive check“) dazu neigt, sich selber zu steuern („positive check“) – mit welchem Ergebnis auch immer. Übrigens war Malthus seinerzeit vorsichtig genug, sein Werk zunächst nur unter Pseudonym zu veröffentlichen.

Was können wir an dieser Stelle tun? Mehr als eine Shortlist der drängendsten Probleme ist hier unmöglich drin – immerhin verbunden mit dem Versprechen, auf diesen oder jenen Punkt zu gegebener Zeit zurückzukommen.

Betrachten wir als erstes die Weltbühne: Da hätten wir zunächst Corönchen – ein Virus, das die Frechheit hat, auch noch zu mutieren. Kiek ma eener an. Dann hätten wir aktuell noch Endlager – wo allein der Begriff auf eine ziemlich naive Vorstellung von „Ende“ schließen läßt. Sagen wir so: Eine Zivilisation, die von den ersten Anfängen an (neolithische Revolution) seit maximal 10.000 Jahren besteht, schickt sich an, ihren Zivilisationsmüll für die nächsten 100.000 Jahre, oder länger, zu verbuddeln. Was soll man da noch sagen? Da gehören die aktuellen Probleme mit Rußland (pöser, pöser Putin) fast schon in die Kategorie Petitessen. Deutlich krasser steht es da ums Klima – von dem man übrigens schon länger nicht mehr allzu viel gehört hat. Im Gegenteil: die politischen Eliten versuchen uns einzureden, daß wir nach der „Rückkehr zur Normalität“ aus den Corönchen-Schulden rucki-zucki (also zu Lasten des Klimas) wieder „rauswachsen“ werden. Bolle meint: Geht’s noch? Sonst keene Idee? Migrationsprobleme? Klären wa nach Corönchen. Dabei war es ausgerechnet Migration, die 1.000 Jahren römischer Weltherrschaft den Garaus gemacht haben. Das aufkommende Christentum hat dann nur den Rest erledigt. Platz 1 der Probleme auf der Weltbühne gebührt aber wohl unangefochten der desaströsen Bevölkerungsentwicklung. Hier ist zur Zeit keinerlei Lösung in Sicht – nicht einmal die Einsicht in das Problem.

Auf der politischen Ebene haben wir es mit einem veritablen blinden Fleck in puncto Verantwortung zu tun. Alle schreien laut und gut hörbar nach Freiheit. Daß Verantwortung aber nun mal unbestreitbar die große Schwester der Freiheit ist? Sollen doch kommende Generationen klären. Dazu kommt der fehlende Sinn für jede Form von Beißhemmung. Wenn’s der „guten Sache“ dient, ist jedes Mittel recht. Wobei die „gute Sache“ selbstredend immer nur die eigene Sache ist – also nicht etwa und schon gar nicht die von Putin, zum Beispiel. Sancta simplicitas, meint Bolle. Drittens schließlich müssen wir hier auch das unzureichende Verständnis dessen, was es heißt, ein Volk zu „einen“, erwähnen. Alle haben sich lieb? Bolle könnte glatt kotzen ob so viel Einfalt.

Die Hauptprobleme auf der wissenschaftlichen Ebene sind und bleiben wohl das unzureichende Verständnis der Exponential-Funktion sowie der Bedeutung von NashGleichgewichten.

Auf der sozialen Ebene schließlich haben wir es in erster Linie mit Geschichtsblindheit zu tun („Geschichtsvergessenheit“ wäre hier das falsche Wort: vergessen setzt voraus, daß da mal was gewußt wurde – wovon wir aber durchaus nicht ausgehen können). Dazu kommt eine ausgeprägte Erregungsneigung (hier von „Kultur“ zu sprechen wäre wiederum schamlos überzogen). So richtig zur Geltung kommt das allerdings erst durch den Journalismus 2.0 als veritablem Erregungsverstärker – so eine Art soziales Viagra, was durchaus nicht dem ursprünglichen Verfassungsauftrag als „vierte Gewalt“ entspricht. Immerhin: So hat man was zu berichten. Wie aber wär’s mit einfach mal stille schweigen? Hinzu kommt schließlich und letztlich noch die offenkundige Unfähigkeit bzw. zumindest Unwilligkeit, anstehende Probleme zu priorisieren und einer gebührlichen Reihenfolge nach abzuarbeiten. Nein – gendergerechtes Gequatsche ist derzeit nicht das wichtigste Problem, das wir haben auf der Welt.

Soweit unsere Abarbeitungs-Liste. Lang genug isse ja …

Wenn Bolle ein Spielautomat wäre, dann hätte er – ohne das auch nur im entferntesten  defaitistisch zu meinen – vermutlich längst ein fröhliches „Game over“ ausgespuckt (vgl. dazu Di 22-10-19 Rente mit 69). Vor allem bei gepflegteren Spielen wie etwa Schach gibt man die Partie ja auch verloren, bevor der König endgültig umgehauen wird.

Übrigens: Den Begriff „reihern“ gibt es wirklich. Bolle hat das überprüft. Es bedeutet ›heftig kotzen‹ und findet sein Bedeutungsmotiv erstaunlicherweise im dünnflüssigen Kot (!) des einschlägigen Federviehes. Aber erstens weiß so etwas heute ohnehin kaum einer mehr – darum erwähnen wir es ja – und zweitens wäre das ohnehin ein durchaus anderes Kapitel.

Fr 05-02-21 What a wonderful world …

What a wonderful world.

Wat meenste, Bolle? Übersetzen? Besser isset. Wir ham so viel Leserschaft, die besser Russisch kann als Englisch. Nun denn:

Der bunte Regenbogen hoch am Himmelszelt
Leuchtet in den Augen der Leute auf der Welt.
Freunde schütteln die Hand, fragen: Hey, alles frisch?
Aber meinen im Grunde: Ich liebe Dich.

Und ich denke für mich: Was eine herrliche Welt.

Das war 1967. Schon damals war nicht alles Gold, was glänzt – auch und vor allem nicht in den USA. Dort gab es seinerzeit schwere Rassenunruhen mit dem „long, hot summer of 1967“. Manches hat sich seitdem zum Besseren gewendet. Manches aber durchaus nicht. Freunde, die sich, weil sie sich lieben, die Hand schütteln? In Corönchen-Zeiten völlig undenkbar. Abstandsgebot! AHA-Regeln!

Bolle fragt sich: Könnte es nicht vielleicht doch sein, daß es (wie Bolles Freund Franko San das vor vielen Jahren schon postuliert hat) so eine Art „kosmische Freud-/Leid-Konstante“ gibt – daß also jeder Fortschritt, den wir als Menschheit an irgendeiner Stelle erzielen, mit einem entsprechenden Rückschritt an anderer Stelle bezahlt werden muß? In der Summe also Null? Probleme also nur auf höherem Niveau – wenn überhaupt? Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 04-02-21 Höret auf den Herrn …

Höret auf den Herrn.

Die Blöße des Fleisches bedecken von der Nase bis ans Kinn wider seinen Nächsten? Kommt einem bekannt vor. Offen bleiben muß indes, ob es in dieser Adaption in der Tat der Herr ist, der das fordert – und bei Zuwiderhandlung seinen Zorn ergrimmen läßt –, oder ob es sich hierbei nicht doch eher um schnödes Menschenwerk (in Gestalt von Bolle, etwa) handelt.

Für ein solides Zwischenfazit ist es – auch ein Jahr nach „Ausbruch“ der „Pandemie“ – wohl noch zu früh. Vorläufig bleibt nur das Erstaunen darüber, was plötzlich alles möglich ist und vor allem, wo, wenn es zum Schwur kommt, die Werte der Gesellschaft liegen. Was geht, Alter? Was guckst Du? Leben sticht Würde – das haben wir schon geklärt (vgl. dazu Mi 16-12-20 Das sechzehnte Türchen …). Was anderes war von notorischen Bangbüchsen auch nicht zu erwarten. Allerdings versteht Bolle unter diesen Umständen immer noch nicht, wieso bei der gegebenen Prioritätenlage Autofahren nach wie vor erlaubt ist (vgl. dazu So 03-01-21 Step by step …). Von öffentlichem Nahverkehr – der zur Zeit vermutlich noch sehr viel gefährlicher sein dürfte als Autofahren – ganz zu schweigen.

Was Bolle einleuchten würde: Wir steuern mit Schmackes auf eine Gerontokratie zu (neudeutsch: „Seniorendemokratie“) – und ausgerechnet dieses Jahr wird ein „Superwahljahr“ werden. Wenn Bolle sich nicht verzählt hat, dann stehen neben der Bundestagswahl nicht weniger als 5 Landtagswahlen an. Und Senioren sind nicht zuletzt auch Wähler – so ist das nun mal in einer Demokratie. Wie heißt es doch sinngemäß bei Faust? Zum Amte drängt, // Am Amte hängt // Doch alles. Ach wir Armen! (Zeilen 2802–2804). Das würde auch erklären, warum ein Impfstoff in der Hand so viel wichtiger ist als ein Impfstoff auf dem Dache – also in anderen Ländern. Im übrigen wünscht Bolle allen und jedem (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) ein langes, glückliches und erfülltes Leben. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mi 03-02-21 Von Quatsch und Quark …

Von Quatsch und Quark.

Das ist Bolle nach einer Überdosis System-Medien mal eben so rausgerutscht. Betrachten wir es als kleine sprachliche Pointierung nach fast 100 Jahren Dreigroschenoper (vgl. dazu Mi 27-01-21 Wahn und Wirklichkeit). Anlaß war die Berichterstattung zum putistischen Rußland im allgemeinen bzw. zum Umgang mit Nawalny im speziellen. Dabei ist „Er“, wohlgemerkt, natürlich beider- bzw. allerlei Geschlechts gemeint, of course. Wir wollen ja niemanden zurücksetzen. Dieser Hinweis muß genügen, da gendergerechte Dichtkunst Bolles Fähigkeiten bislang bei weitem übersteigt.

Egal, wie man zu Putin oder Rußland oder Nawalny inhaltlich stehen mag. Diese selbstgerechte Pose – oder gar Posse? –, mit der dem geneigten Zuschauer das eigene journalistische Weltbild untergejubelt werden soll, ist schon bemerkenswert. Im Grunde haben wir es hier mit einem Autoimmun-Argument zu tun. Bolle versteht darunter ein ›Argument, das sich gegen alles, was es sonst noch so geben mag, automatisch immunisiert‹ – hier also in etwa wie folgt:

(1) Wir sind die Guten – die freie Presse in einem freien Land. Folglich geht das, was wir sagen oder senden, per se in Ordnung. (2) Die anderen dagegen sind die Bösen – von korrupten Leadern angepaßt bzw. unterdrückt. Folglich geht das, was die sagen oder senden, per se nicht in Ordnung. (3) Summa summarum grenzt es an Frechheit, das eine mit dem anderen zu vergleichen oder auch nur in die gleiche semantische Ecke zu rücken.

Als Hans-Georg Maaßen im Juli 2019 meinte, Die »Neue Zürcher Zeitung« zu lesen sei für ihn wie „Westfernsehen“, da war richtig der Teufel los im Blätterwald. Wie kann man sich nur so erfrechen? Das – genau das – ist es, was Bolle HypnoPresse nennt. Nicht, daß die wirklich „lügen“ würden. Lügen setzt schließlich Wissen und Wollen voraus (fachsprachlich: Vorsatz). Vielmehr glauben die vermutlich selber an all das, was sie da so sagen oder senden. Bolle empfiehlt einen Hauch von agnostisch-kontemplativer Distanz, gegebenenfalls gewürzt mit einem Hauch von Humor und Selbst-Ironie – als Gegengift zur gegebenen Schlagseite (neudeutsch: bias). Ein Hauch von historischem Hintergrundwissen könnte übrigens auch nicht schaden. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 02-02-21 Von Gänseblümchen und Brennesseln

Von Sümpfen und Chinin.

Bolle meint, wir sollten das besser übersetzen. Wohlan, denn: Die Malaria wurde in erster Linie durch das Trockenlegen der Sümpfe zurückgedrängt – und nicht etwa durch Chinin. Ganz ähnlich verhält es sich mit ökonomischen Ungleichgewichten. Wenn es nicht gelingt, die Probleme an der Wurzel zu packen, dann wird sich für jedes einzelne Problem, das wir erfolgreich lösen, ein ganz ähnlich gelagertes Problem an irgendeiner anderen Stelle einstellen. Darum ist es so wichtig, auf das gesamtwirtschaftliche Klima zu achten.

Was hat das mit uns zu tun? Nun – nicht minder ähnlich verhält es sich auch mit sozialen und sonstigen Ungleichgewichten. Das Thema reicht furchtbar weit, und wir werden es hier nicht abschließend abhandeln können. Nur so viel: Vor einigen Jahren – und nach Monaten vergeblicher „Unkrautbekämpfung“ – hatte Bolle auf seiner Datsche ein Transparent ausgerollt. Darauf stand zu lesen: „Nieder mit den Brennesseln und auch den viel zu vielen Gänseblümchen.“ Die Pflanzenwelt war, wie erwartet, schwer beeindruckt.

Nach dieser dann doch etwas aktivistischen Phase hatte es Bolle mit Nachdenken und vertiefter Informationsbeschaffung probiert und folgendes herausgefunden: Es gibt sogenannte Zeigerpflanzen. Wenn auf einer Datsche übermäßig viele Brennesseln wachsen, dann bedeutet das einfach nur, daß der Boden übermäßig stickstoffreich ist. Und wenn zu viele Gänseblümchen wachsen, dann deutet das auf über Gebühr verdichteten Boden hin. Und genau da gilt es anzusetzen – und nicht etwa bei dann letztlich doch sinnloser „Unkrautbekämpfung“.

Nach unserem Brückenschlag von ökonomischen über botanische Probleme: Was hat das mit der sozialen Welt zu tun? Nun – alles, was passiert, passiert auf einem geeigneten Nährboden. Statt also die Phänomene – wie hier im Beispiel  Brennesseln oder Gänseblümchen – zu bekämpfen, sollte es uns vornehmlich darum gehen, den Phänomenen ihren Nährboden zu entziehen. Kurzum, und in Beantwortung von Sternchens Kommentar von gestern: Jede Unmutsäußerung, jede Demo für oder gegen was, braucht einen geeigneten Nährboden. Ohne den läuft nichts – wirklich gar nichts. Wem der Bogen zu weit gespannt erscheinen mag: Muß ja nicht jeder ein Glasperlenspieler sein (vgl. dazu etwa Fr 04-12-20 Das vierte Türchen …). Obwohl: Bolle meint, daß es lohnt, weiter zu denken. Credo: Man kann alles – wirklich alles – mit allem vergleichen – auch Äpfel mit Birnen. Die Frage ist nur, ob es dann auch gleich ist. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mo 01-02-21 Tua culpa!

Streitgespräch im Kindergarten.

Eigentlich sollte es heute ja um abgefeimte Demokratie-Umschreibungen gehen. Aber das kann warten. Das läuft uns nicht davon. Kümmern wir uns also lieber um Sternchens Kommentar-Anfrage von gestern: Kurz gefaßt: Warum sind die Juden immer schuld an allem? Schlechte Menschen? Das wohl eher nicht. Sich immer wieder wiederholende Geschichte? Möglich – als Antwort aber nicht wirklich befriedigend. Was dann?

Das Leben in größeren Gruppen schafft naturgemäß Konflikte – wobei wir unter »Konflikte« nichts weiter als widerstreitende Interessen verstehen wollen. Warum nur „in größeren Gruppen“? Easy. In kleineren Gruppen funktioniert das, was wir neulich »Sozialisation« genannt haben (vgl. dazu Do 28-01-21 Sozialisation. Wird schon? Oder Hohn?). Oder kann sich jemand vorstellen, daß sich ein kleiner Unter-Indianer in einem Pueblo in New Mexiko oder Colorado nach Nawalny-Art gegen seinen Big Chief, den Ober-Indianer, auflehnt? Wohl kaum. Da ist seine Sozialisation vor. In größeren sozialen Verbänden ist das anders. Man läuft sich nicht jeden Tag über den Weg, man kann sogar völlig anonym rumpupsen – kurzum: Man kann völlig fehlsozialisiert seine „Freiheit“ ausleben, ohne sich sonderlich um irgendwelche Konsequenzen kümmern zu müssen.

Soweit leuchtet das womöglich ein. Was aber ist die Ursache des Unbehagens? Nun – in einer Welt begrenzter Möglichkeiten und potentiell ungegrenzter Wünsche bzw. gar Ansprüche ist Frustration vorprogrammiert. Warum ist das Gras in Nachbars Garten regelmäßig grüner? Houston – wir haben ein Problem. Und zwar ein Problem der potentiell unlösbaren Art. Wie geht man mit Problemen um? Die naheliegendste Möglichkeit wäre, das Problem schlicht und ergreifend zu lösen. Wenn das nicht geht – und das ist bei potentiell unlösbaren Problemen höchst wahrscheinlich – dann tut es gut, wenigstens zu wissen, wer Schuld ist am Problem. Das kann man herrlich in jedem Kindergarten beobachten – treffen hier doch unzureichende Problemlösungskompetenz und überschießendes Bedürfnis nach sozialpsychologischer Bereinigung aufs Feinste aufeinander: Du bist schuld. Nein, Du. Nein, Du. Jeder, der jemals ein, zwei Stündchen in einem Kindergarten zugegen war, weiß, was Bolle meint. Aber in real life? Ist es kaum anders. Auch hier geht es regelmäßig darum, hilfsweise zu klären, wer jeweils schuld ist am jeweiligen Schlamassel. Das löst zwar kein einziges Problem, dient aber der Sozialhygiene. Danach fühlen sich alle gleich wieder besser – und das Leben kann weitergehen. Tua culpa, Deine Schuld – im Gegensatz zu mea culpa, meine Schuld. Aber außerhalb der katholischen Kirche sagt so was ja ohnehin keiner mehr. Bestenfalls hört man gelegentlich ein schnodderiges „Sorry – my fault“.

Fassen wir zusammen: Leute haben Probleme, weil sie fehlsozialisiert sind. Da die Probleme aus guten Gründen nicht lösbar sind, muß wenigstens jemand her, der Schuld ist am Schlamassel. Warum aber ausgerechnet die Juden? Das bliebe hier noch zu klären. Begeben wir uns zu den Quellen – ad fontes, sozusagen. Im 5. Buch Mose, im 7. Kapitel, lesen wir:

3Und sollst dich mit ihnen nicht befreunden: eure Töchter sollt ihr nicht geben ihren Söhnen, und ihre Töchter sollt ihr nicht nehmen euren Söhnen. 4Denn sie werden eure Söhne mir abfällig machen, daß sie andern Göttern dienen; so wird dann des Herrn Zorn ergrimmen über euch und euch bald vertilgen. […] 6Denn du bist ein heiliges Volk dem Herrn, deinem Gott. […] 14Gesegnet wirst du sein über alle Völker.

So etwas hätte man im viktorianischen England splendid isolation genannt. Ob das heute – mit Ausnahme vielleicht von ultra-orthodoxen Juden (Charedim) – noch jemand wirklich wörtlich nimmt, sei dahingestellt. Rein sozialpsychologisch bleibt aber festzuhalten: Wer dazugehören will, ohne dazugehören zu wollen, hat es, gruppendynamisch gesehen, nicht ganz leicht und prädestiniert sich geradezu für die Rolle des Sündenbocks. Ist das fair? Natürlich nicht. Sind „die Juden“ also „selber schuld“? Wenn Bolle so was hört, dann muß er, ob soviel Dummheit  – auch und insbesondere angesichts der mittlerweile salonfähig gewordenen „Täter/Opfer-Dichotomie“, als gäbe es keine Watzlawick’sche Interpunktion – regelmäßig kotzen. Allein: eingespielte sozialpsychologische Strukturen orientieren sich nun mal nicht an Dummheit (oder Intelligenz), sondern „zünden“ eher auf der affektiven Ebene – also „da, wo’s fühlt“. Solche Strukturen aber mal eben locker par ordre du mufti auszuhebeln, dürfte nicht ganz easy sein. Damit müssen wir leben – oder aber uns gründlich ändern. Allerdings wird das ganz auf die Schnelle – wie manche sich das wünschen mögen – wohl nicht zu machen sein. Und bis dahin? Wir wissen es nicht. Weiterwurschteln, wohl. Im Zweifel sind und bleiben also die Juden schuld. „Die besten stehen immer auf den schwierigsten Plätzen“ – so Bolles lieber guter alter Management-Coach. Das allerdings ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

So 31-01-21 Wissen, wohin …

Wissen, wohin.

Hier ein knapper Auszug aus unserer Reihe »Der historische Text«. Bolle hat ihn seinerzeit im Rahmen seiner Abschlußprüfung in Soziologie verfaßt. Hat sich seitdem was wesentlich Neues ergeben? Mitnichten. Es gibt Dinge, die ändern sich nie. Auch scheint Bolle der Zeitpunkt für eine Veröffentlichung günstig, da erstens sein lieber guter alter Soziologie-Professor kürzlich seinen 80. Geburtstag gefeiert hat und auch Franz, der Weise, dieser Tage immerhin 63 wird. Wohlan, denn. Hier der Text:

Die zukünftig Herrschenden haben den zukünftig Beherrschten eines voraus – und das ist ihre Ausrichtung. Meine These ist, daß die Ausrichtung alleine hinreichend sein kann – unabhängig von etwaigen Machtmitteln wie etwa „Kapital“ im weitesten Sinne. In den Beispielen bei Popitz 1992 (»Phänomene der Macht«) unterscheiden sich die zukünftigen „Liegestuhlbesitzer“ von den Nichtbesitzern nur darin, daß sie – aus welchen Gründen auch immer – einen eigenen Liegestuhl beanspruchten. Mit anderen Worten: Sie wußten, was sie wollten – sie waren auf ein Ziel ausgerichtet. Dabei braucht Machtentfaltung und vor allem ihre Etablierung als Herrschaft Zeit – sie entwickelt sich in aller Regel nicht spontan.

Versteht man unter »Institutionalisierung« etwa ›Verfestigung und Verstetigung‹ von Strukturen und faßt man »Strukturen« (begrifflich klarer) als ›Relationen‹ auf, dann ist es wohl nicht nur so, daß Herrschaft nach Institutionalisierung strebt, sondern auch – gerade umgekehrt – daß Institutionalisierung Herrschaft hervorbringt. Historisch gesehen wurde und wird die Zeitgebundenheit der Machtentfaltung unterstützt durch Institutionen, vor allem (1) Privateigentum und (2) Erbrecht – funktional betrachtet also die Möglichkeit, Erfolge zu akkumulieren, und zwar über die Lebensspanne einer einzelnen Person hinaus.

Nun sind Privateigentum und Erbrecht in vielen Gesellschaften schon sehr lange institutionalisiert. Aber erst mit dem Kapitalismus – also dem Vordringen des Kapitals als wichtigste materielle Machtgrundlage – entstand eine bis dahin undenkbare Akkumulationsmöglichkeit von Macht. Die herkömmliche Machtgrundlage – Eigentum an Grund und Boden und vor allem die daraus resultierenden Einkünfte – ließ sich nur durch Erwerb weiteren Bodens erweitern, also im Regelfall durch Eroberungen. Der Bodenertrag war im wesentlichen eine Funktion der Fläche. Erst mit der Erfindung des Kunstdüngers (Justus Liebig) wurde eine (vergleichsweise mäßige) Steigerung des Bodenertrags pro Hektar möglich. Auch die „Wachstumsrate“ etwa einer Viehherde hält sich in engen, natürlich vorgegebenen Grenzen.

Die Produktivität von technischen Anlagen (Kapital) ist dagegen fast grenzenlos steigerbar. Durch die Trias (1) Privateigentum, (2) Erbrecht und (3) Kapital als Produktionsfaktor ist also der „Belohnungswert“ einer langfristigen Ausrichtung so hoch wie noch nie. Der Kapitalismus war demnach auch nicht das Werk von (eher kurzfristig orientierten) „Nutzenmaximierern“, sondern – ganz im Gegenteil – das Werk von „innerweltlicher Askese“ (Max Weber), also einer langfristig und sogar generationenübergreifend angelegten Ausrichtung auf ein Ziel hin. Ganz analog verhält es sich mit anderen Kapitalformen – etwa kulturellem Kapital (Bourdieu) in Form von Ausbildung oder Titeln: Je länger eine Ausbildung regelmäßig dauert, desto höher ist in der Regel das damit verbundene Prestige und somit auch das potentiell erzielbare Einkommen. Warum ist Ausrichtung so wichtig? Zwei Gründe scheinen mir wesentlich:

  1. Der time-lag zwischen Aufwand und Ertrag. Vorzeitiges Abbrechen einer Handlungskette bringt einen um den Ertrag – zurück bleibt der Aufwand, und nur der Aufwand. Ein Beispiel wäre ein Bauer, der im Herbst auf die Idee kommt, seine Zäune zu streichen, statt die Ernte einzufahren.
  2. Die Reduktion von Kontingenz bzw. Transformation von Kontingenz in Realität. Die Wirklichkeit wird „wirklicher“, wenn sie sich nicht im Raum der Möglichkeiten verzettelt.

Soweit der Text. Wem das zu theoretisch war: Überlegt doch mal, wie sich Ausrichtung bzw. „Entschlossenheit“ heute ganz lebenspraktisch äußert: „Schnabel aufreißen“ heißt die Devise. Je lauter, desto besser. Wer schreit, hat Recht. Unglücklicherweise hat sich der Journalismus 2.0 offenbar dieser Deutung angeschlossen und verkauft dem Publikum Lautstärke als Ausweis von Engagement. Die Gediegeneren begnügen sich derweil damit, ihre Anliegen nach allen Regeln der Kunst zu institutionalisieren. Zwar dauert das länger – ist aber um so wirkungsvoller. Wer schließlich mehr über das „Liegestuhl“-Beispiel erfahren möchte – die Lektüre lohnt unbedingt, und sind auch nur knapp 10 Seiten –, der (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) möge das Bändchen erwerben oder bei uns anfragen. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 30-01-21 Denken nützt …

Denken nützt.

Heute konnten wir in den bildungsbürgerlichen Medien erfahren, daß Statistiker ermittelt haben, daß die sogenannte „Übersterblichkeit“ in Deutschland zur Zeit bei 5% liegt – daß zur Zeit also 5% mehr Leute sterben als sonst. Kiek ma eener an, meint Bolle und verweist auf unseren Beitrag von neulich, Mo 25-01-21 Live forever? Dort hatten wir locker überschlagen, daß in Deutschland regelmäßig und sowieso Jahr für Jahr 1 Mio Leute sterben – wobei gegenwärtig etwa 50.000 Corönchen zugerechnet werden. Nun ist es so, daß 50.000 geteilt durch 1 Mio zufälligerweise justamente 5% ergibt. Dafür braucht man weiß Gott keine Statistiker – und erst recht keine Mathematiker. Das kann jeder Taschenrechner.

Natürlich möchte Bolle mitnichten „arrogant“ rüberkommen. Aber ein wenig verwundert ist er schon, mit welcher Gründlichkeit – um nicht zu sagen: Scheingenauigkeit – seit Monaten neben den regulären Nachrichten in ungezählten „Extras“ und „Spezials“ über R-Werte, Inzidenzwerte, Verstorbene, „Genesene“ und weiß der Teufel was sonst noch auf die Einerstelle genau (!) berichtet wird. Besonders pikant findet Bolle den regelmäßigen Hinweis, daß es sich hierbei nur um Datenmüll handeln kann (so sagt das natürlich keener – aber genau darauf läuft es hinaus), unter anderem, weil „am Wochenende weniger Daten gemeldet“ würden. Bolle meint: Wie man aus Daten schwankungsbereinigte Trends ermittelt, ist den Statistikern seit mindestens 100 Jahren klar. Warum dann das Volk Tag für Tag sinnlos zumüllen? Weil es „gefühlt“ mehr zu berichten gibt? Weil es die Leute in „gefühlter“ Dauer-Alarmbereitschaft hält? Wenn das mal gutgeht auf die Dauer … Aber das ist dann doch vielleicht schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Fr 29-01-21 Humor und Haltung

Humor und Haltung.

Ich war zu meiner Zeit ziemlich berühmt. Manche haben sogar meine Bücher gelesen. Diese Mischung aus Humor und Haltung bringen vorzugsweise Briten auf den Punkt. Zum besten gegeben hat das Stephen Hawking in einer von der BBC frisch ausgestrahlten Version vom »Anhalter durch die Galaxis«. (Ja, ja – der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Schon klar …). Das war am 8. März 2018 – sechs Tage vor Hawking’s Tod, by the way. Was soll man da sagen? Kult meets Kult, vielleicht. Der »Anhalter« selbst konnte 2018 seinen 40. Geburtstag feiern. And still going strong. Selbst Bolles Studenten haben eine zumindest vage Vorstellung davon.

Wie aber erlangt man eine solche Popularität? Und vor allem: Wie bringt man Leute dazu, sogar die Bücher zu lesen, die man schreibt? Hawking selbst soll im Vorwort seiner »Kurzen Geschichte der Zeit« angemerkt haben, daß ihn sein Verleger gewarnt habe: Jede Formel im Buch würde die Leserschaft glatt halbieren. Das muß vor 1988 gewesen sein. Allerdings hätte Hawking das wissen können. Schon 1951, also über 30 Jahre zuvor, hatte ein nicht weniger prominenter Kollege aus der OxCam-Connection, Bertrand Russell, in einer kleinen Ansprache zu »The Use of Books« die Befürchtung geäußert, daß zu viele Formeln wirklich zu viele abschrecken. Dabei ging es allerdings ausgerechnet um die »Principia Mathematica« (Russell / Whitehead 1910-1913). Aber Russell ahnte schon, was fehlt: Zu wenig „moral uplift“, also moralische Erbauung, im Standardwerk der Mathematik.

Und?, fragt sich Bolle. Was hat das mit mir zu tun? „Terror, Ficken, Hitler“ (so das Känguru in Marc-Uwe Klings einschlägigen Chroniken) einschließlich entsprechender Inhalte kann’s dann wohl ja auch nicht sein.

Das führt uns zu der Gretchenfrage für heute. Lesen Leute überhaupt noch? Oder sind sie vollauf damit beschäftigt, ihre Emails zu checken, Follower zu beglücken oder selber brav zu „folgen“ – oder auch nur die nächsthöhere Stufe in irgendeinem Daddel-Ding zu erklimmen? Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.