Mi 27-01-21 Wahn und Wirklichkeit

Wahn und Wirklichkeit in der Dreigroschenoper.

„Wahn“ – das ist den meisten nicht klar – ist ein uraltes Wort. Der Ursprung läßt sich zurückverfolgen bis ins Althochdeutsche und darüber hinaus ins Germanische, Gotische und Altnordische. Und überall bedeutet es das gleiche – nämlich ›Hoffnung, Erwartung‹. Man könnte auch sagen: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Die semantische Nähe zu „Wahnsinn“ dagegen ist vergleichsweise jung. Um vermeidbaren Konfusionen vorzubeugen, sollten wir uns besser auf „Wunsch und Wirklichkeit“ verständigen.

Die Wirklichkeit taucht regelmäßig im Singular auf – auch wenn die Perspektiven darauf höchst vielfältig sein mögen. Der Wünsche dagegen gibt es furchtbar viele. Auf den Brecht’schen Punkt gebracht: Wer plant, muß wählen. Damit ist zwar noch lange nicht gesagt, daß der Plan dann auch „geht“. Aber immerhin: It’s a start. Aber wählen – man könnte auch sagen: entscheiden – ist beileibe nicht jedermanns Sache. Und das ist karrieretechnisch ja auch durchaus klug. Wenn einer sagt: Dieses will ich, jenes nicht – dann hat er, namentlich in einer pluralistischen und massenmedial gesteuerten Gesellschaft, sofort alle am Hals, die exaktemente das Gegenteil wollen. Und wenn sich – rückblickend betrachtet – mehr oder weniger „nachweisen“ läßt, daß das ursprünglich Gewollte in eine Sackgasse geführt hat oder zumindest schwere „Nebenwirkungen“ mit sich gebracht hat, dann steht’s schlecht um die weitere Karriere. Folglich produziert „das System“ scharenweise Leute, die sich vernünftigerweise immer schön bedeckt halten. Einer Problemlösung, die den Namen verdient, kommt das allerdings  weniger zugute. So ist das nun mal bei Nash-Gleichgewichten. Sei’s drum.

Was hat das alles mit Corönchen zu tun? Corönchen – das scheint Bolle das Gute daran – wird uns zwingen, unsere vielfältigen Wünsche mit der einen Wirklichkeit abzugleichen. Im Zweifel gewinnt die Wirklichkeit – egal, was wir für wünschenswert halten. Im Moment sieht es ganz danach aus, als würden die „Markt-Taliban“ – die die letzten Jahrzehnte absolut die Oberhand hatten –  ein wenig in die Defensive geraten. Und das ist wohl auch gut so – andererseits dann aber doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 26-01-21 Live forever, again

Relative Corönchen-Anfälligkeit nach Lebensalter.

Nach unserem Beitrag von gestern (Mo 25-01-21 Live forever?) haben uns einige Rückmeldungen erreicht: Der wundersame Rückgang bei den über 90-jährigen könne ja wohl nur daran liegen, daß es von denen nicht mehr allzu viele gebe. Besten Dank dafür. Bolle – wie geht man mit so etwas um? Kein Problem – wir rechnen die Verteilung der verschiedenen Altersgruppen einfach raus. Gesagt, getan. Damit ergibt sich eine neue Graphik – die das Gemeinte allerdings nur noch unterstreicht.

In den Psaltern 90, 10 heißt es: Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.

Das aber ist – man kann es kaum anders sagen – die conditio humana auf den Punkt gebracht. Kommen wir damit klar. Sagen wir so: Die Wahrscheinlichkeit, das nächste Jahr (oder die nächsten Jahre – darauf kommt es nicht an) zu überleben, sinkt mit zunehmendem Lebensalter. Und nichts anderes spiegelt sich in unserer Corönchen-Anfälligkeits-Statistik: Je älter, desto anfälliger fürs Ableben. Kann man unter diesen Umständen sagen, daß Corönchen ursächlich ist – oder ist es einfach nur auslösend? Ein Trigger, auf neudeutsch. Bolle vermutet letzteres.

Das aber legt einmal mehr nahe, daß Corönchen eher ein psychologisches Problem auf der Ebene „letzte Fragen“ ist und weniger ein medizinisches. Wir haben es hier und überhaupt mit einer Population zu tun, die mit ihren dringend anzuratenden agnostisch-kontemplativen Exerzitien schwer ins Hintertreffen geraten ist. Bedauerlich – aber auf die Schnelle kaum zu ändern. Philister – alles Philister. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mo 25-01-21 Live forever?

Relativer Exitus nach Lebensalter.

Manche Dinge werden Bolle erst so richtig klar, wenn er eine Graphik vor Augen hat. Wenn die Angaben nicht lügen – wovon wir mangels besseren Wissens einmal ausgehen wollen – dann kann man Corönchen eigentlich nur als ›Rentnerproblem‹ einstufen. Nach entsprechender Datenverdichtung ergibt sich nämlich, daß 92,7% der Dahingeschiedenen auf Rentner entfallen. Das sind fast alle. Natürlich gönnt Bolle allen und jedem (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) ein möglichst langes und auch möglichst erfülltes Leben. Indes: Macht bei dieser Datenlage die feine Unterscheidung zwischen „an Corönchen“ und „mit Corönchen“ überhaupt noch irgendeinen Sinn? Oder ist Corönchen nur ein, zugegeben: auffälliger, Auslöser für den finalen Exit, der uns Menschen als sterblichen Wesen nun einmal bestimmt ist? Ist nicht jede andere denkbare Sichtweise im Kern frevelhaft, hybrid – oder gar gottlos?

Bevor wir hysterisch werden – hier die frohe Botschaft. Aus der Tatsache, daß 92,7% der Dahingeschiedenen Rentner sind, folgt nicht, daß furchtbar viele Rentner dahingeschieden sind. Noch liegt die Sterblichkeit insgesamt bei lediglich 0,6‰. Das ist so gut wie Null. Nun könnte man dagegenhalten und argumentieren, daß sie damit absolut gesehen bei über 50.000 liegt – und das seien 50.000 zuviel. Wiederum umgekehrt sollten wir uns aber auch klarmachen, daß in einem Land mit einer Wohnbevölkerung von etwa 80 Millionen und einer Lebenserwartung von in etwa 80 Jahren natürlicher- bzw. auch statistischerweise ohnehin 1 Mio Einwohner pro Jahr das Zeitliche segnen. Das, so meint zumindest Bolle, relativiert die 50.000 doch sehr. Könnte es nicht vielleicht sein, daß wir es hier weniger mit einem medizinischen Problem und nicht doch eher mit einer Form von anthropozentrischem Totalitarismus zu tun haben? Frei nach dem Motto: Let’s live forever. Fuck the rest of all. Das aber ist dann doch schon wieder ein definitiv anderes Kapitel.

So 24-01-21 Dreschflegel

Die drei Töchter der Philosophie.

Donald Trump ist erst mal „out“. Zeit für ein Comeback für Putin. Wir können und wollen uns hier nicht mit irgendwelchen Einzelheiten beschweren. Wenden wir uns lieber dem Grundsätzlichen zu. Menschliches Streben – im alten Wortsinne also die »Philosophie« – läßt sich rückstandsfrei unterteilen in die Bereiche Logik, Ethik und Ästhetik. Von Kant, der meinte, ein viertes erkennen zu können, wollen wir hier einmal absehen: Jeder kann sich mal verkanten. Die „drei Schwestern“ (wie Bolle sie in seinen Lehrveranstaltungen gerne nennt) haben zunächst einmal nichts, aber auch rein gar nichts miteinander zu tun – obwohl es in der Geschichte der Philosophie nicht an Versuchen gemangelt hat, das Gegenteil zu beweisen – vergeblich. Schwester Logik kümmert sich um Seins-Aussagen. Heute nennen wir das üblicherweise „Wissenschaft“. Schwester Ethik kümmert sich um das, was sein soll. Ihr Tummelfeld ist das Recht und die Religion – aber auch „Werte“ im weitesten Sinne. Schwester Ästhetik schließlich – die sleeping beauty unter den dreien – ist für die (mehr oder weniger) gefällige Darbietung des Gesagten zuständig.

Was auch immer man auf den ersten Blick meinen mag. Die drei können wirklich was, wenn man sie auf die Phänomene dieser Welt losläßt – allen Unterschieden zum Trotze, oder vielleicht gerade deswegen. Wenn wir etwa – um ein tagesaktuelles Beispiel herauszugreifen – erfahren, daß in Rußland zur Zeit gegen Putin demonstriert wird, dann gehört das als Ist-Aussage in den Bereich der Logik. Leider läßt es sich der Journalismus 2.0 nicht nehmen, dem Leser bzw. Zuhörer oder Zuschauer nicht nur zwischen den Zeilen, sondern ganz offen und unverblümt zu vermitteln, wie „schlimm“ Putin im Grunde doch sei. Das aber sind wertende Aussagen (2. Tochter), die im Qualitätsjournalismus (von den Kommentarspalten abgesehen) nichts zu suchen haben. Bolle möchte aufgrund der vermittelten Ist-Aussagen gerne selber entscheiden, was er „schlimm“ finden will und was nicht. Um last but not least die 3. Tochter, die sleeping beauty, nicht zu kurz kommen zu lassen: Wenn ein Reporter am Rande des Geschehens, also definitiv außerhalb der eigentlichen „Gefahrenzone“, dem Zuschauer mit aufgeregtem Gestus hautnahe Berichterstattung vorzugaukeln versucht, dann ist das einfach nur eine wenig gefällige Darbietungsform – mithin also schlechter Stil. Wir hatten diesen Punkt neulich schon mal gestreift – vgl. dazu Do 07-01-21 Journalismus 2.0. Warum der Beitrag »Dreschflegel« heißt? Das läßt und wird sich klären – ist dann aber doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 23-01-21 In vino veritas

Wahrer Wein und weiches Wasser.

Selbst der Erlöser der Christenmenschen fand offenbar, daß Wasser keine wirklich prickelnde Partydroge sei. Warum sonst hätte er bei der Hochzeit zu Kana (Joh. 2, 1–11) beträchtliche Mengen davon in Wein verwandeln sollen? Seine erste Wundertat, by the way.

Als das mit den Talk Shows seinerzeit auch im deutschen Fernsehen losging, saßen die Leute an so einer Art Küchentisch und haben sich, leicht alkoholisiert, alles mögliche um die Ohren gehauen. Außerdem wurde ohne Ende gequalmt. Das kam einer Show deutlich näher als alles, was wir heute erleben müssen. Heute halten sich weichgespülte Wichtigtuer in aufgemotzten Studios jeweils an einem Schlückchen Wasser fest – und verplempern die Hälfte der Sendezeit damit, ihrer „Besorgnis“ Ausdruck zu verleihen und zu betonen, wie entschieden sie doch die Ansichten der anderen „teilen“. Bolle meint: Fetzt überhaupt nicht. Wasser ist wohl wirklich nicht die Partydroge der Wahl – auch nicht für Talk Shows. Ist es wenigstens „gesünder“? Mag sein – wer weiß. Bolle indes beschleicht zunehmend der Eindruck, daß die Leute immer gesünder leben wollen und dabei immer kränker werden – und befürchtet, das könnte was mit dann doch nicht ganz leicht zu durchschauenden Autoimmunreaktionen zu tun haben. Wir sind nun mal aus einem Erdenkloß erschaffen (Genesis 2, 7) – und nicht etwa aus Plaste. Von wegen „Je zivilisierter, desto sterilisierter“ (Huxley’s ›Schöne neue Welt‹). Also doch lieber Wein?

Im Laufe der Menschheitsgeschichte haben sich zwei grundsätzliche Beobachtungen ergeben: In vino veritas – im Wein liegt die Wahrheit, aber eben auch in vino feritas (letztlich schon Sprüche Salomos 20, 1) – im Wein liegt  das Ungestüm. Für eine Talk Show, die wenigstens ein wenig Wert auf den Show-Aspekt legt und nicht nur auf Talk, wäre beides keine schlechte Grundlage und beileibe kein Gegensatz. Der Satiriker Moritz Gottlieb Saphier hat es schon 1832 auf den Punkt gebracht: Der Wein und die Wahrheit sind sich insofern ähnlich, als man mit beiden anstößt. Na denn: Prost! Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Fr 22-01-21 Vom Wollen und Verwirklichen

Der Turing-Test in Bolles Adaption.

Die IT-Technologie hatte in den 1940er Jahren für damalige Verhältnisse gigantische Fortschritte gemacht. Weder der Bau der Atombombe noch die Entschlüsselung der ENIGMA wäre ohne „Maschinen“ – wie die Rechner damals noch hießen – möglich gewesen. Damit kam die Frage auf, was passieren müsse, um eine Maschine als „intelligent“ einstufen zu können bzw. gar zu müssen. So kam es 1950 schon zum (später) so genannten „Turing-Test“: Wenn ein Mensch sich über längere Zeit mit einer Maschine austauschen würde, ohne seinen „Gesprächspartner“ als Computer „entlarven“ zu können, dann müsse man – so Turing – davon ausgehen, daß die Maschine „intelligent“ sei. Der Clou dabei: Wir reden hier nicht von humanoider Intelligenz. Der konnten und wollten die frühen Nerds schon damals nicht allzu viel zutrauen. Falls Ihr Zweifel habt: Fragt Euch doch mal kurz, was die dritte Wurzel aus 4711 ist? Und dann fragt mal Euren Taschenrechner. Die Antwort ist etwa 16,76374. Und? Wer war schneller? Oder zählt mal kurz durch, wie oft der göttliche Zuspruch „Fürchte Dich nicht“ in der Bibel vorkommt. Eine Maschine erledigt so etwas in sekundenschnelle. Oder versucht mal, einen modernen Schachcomputer zu schlagen. Fassen wir zusammen: Maschinen ticken anders – und können dabei sehr, sehr vieles sehr viel besser als humanoide Intelligenz das jemals können wird. Damit stellt sich früher oder später – nach heutigem Stand eher früher – die Frage: Wer hat auf Dauer das Sagen? Maschinen oder Menschen? Diese und ähnliche Überlegungen veranlaßten Turing damals schon zu der verschärften Fassung – daß also Maschinen auf die Idee kommen könnten, daß Menschen letztlich gar nicht denken können.

Und? Was sagt Bolle? Schlimmer geht immer. Wir hatten diesen Punkt am Rande schon mal kurz gestreift – vgl. dazu Fr 04-12-20 Das vierte Türchen … Bei ›Alice in Wonderland‹ heißt es ganz treffend:

– Könntest Du mir bitte sagen,
wie ich von hier aus am besten weiterkomme?
– Das hängt schwer davon ab, wo Du hin willst …

Kurzum: Solange man nicht weiß, wo man hin will, muß man sich nicht wundern, wo man ankommt – falls überhaupt irgendwo. Können die Maschinen das nicht für uns ausrechnen? Nein, können sie nicht. Wo wir hinwollen, müssen wir schon selber wissen. Und wenn wir uns nicht trauen zu wollen, sieht’s finster aus – furchtbar finster. Übertrieben? I wo. Hier ein einziges, klitzekleines Beispiel aus den heutigen Nachrichten: Wir wollen (1) „Freie Grenzen in Europa“ und wir wollen (2) „Die Pandemie eindämmen“. Ja, was denn nun? Idealerweise beides – und zwar gleichzeitig. Das funktioniert aber absehbar nicht.

Eine Maschine würde kühl zwei Eingaben erwarten:
Was sind die Zielparameter (was wollt Ihr erreichen)?
Was sind die Aktionsparameter (an welchen Stellschrauben ließe sich drehen)?

Und wenn wir dann bei Zielparameter „Friede, Freude, Eierkuchen“ nebst „Demokratie und Freiheit“ und vielleicht auch noch „heal the world“ eingeben, dann wird jede Maschine – und sei es die intelligenteste – ein fröhliches „Error“ ausspucken: Gleichungssystem nicht lösbar. Ein humanoides soziales System – insbesondere eine Demokratie – braucht da deutlich länger, um zum gleichen Ergebnis zu gelangen. Das indes geht absehbar so lange so weiter, bis die Maschinen dann letztlich doch zu dem Ergebnis kommen, daß Menschen in der Tat nicht denken können – und nicht einmal zu wollen wissen. Aber das ist dann wirklich doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 21-01-21 Heil everybody

Heal the world …

Wenn ein alter weißer Mann – bzw. auch, wie hier, ein deutlich jüngerer, originär schwarzer Mann – von „healing“ redet, dann klingt das doch gleich sehr viel sympathischer als wenn ein derangierter Österreicher „Heil“ im Munde führt. Dabei ist der Begriff an sich ebenso alt wie unschuldig: Von „Heile, heile Gänschen“ bis hin zum Heiland der Christenmenschen – überall kommt er vor. Nur ist er im deutschen Sprachgebrauch halt völlig verbrannt. „Heal“ kommt da sehr viel unverfänglicher rüber. Doch das ist gar nicht unser Thema heute.

Jetzt haben die Vereinigten Staaten also endlich einen großen weißen – vielleicht sogar ja weisen? – Heiler am Start. Was indes das „Heilen“ oder auch nur – geht’s ne Nummer kleiner? – das „Einen“ angeht: Die Amerikaner hatten dafür nunmehr 400 Jahre Zeit. Und doch ist das Land heute noch immer ähnlich zerrissen wie das England der nach-elisabethanischen Zeit, dem die Pilgram Fathers (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) 1620 auf der Suche nach einem besseren Leben entflohen waren. 400 Jahre – das entspricht 13 Generationen und damit geradezu biblischen Maßstäben. Viel mehr kommen selbst im Alten Testament nicht zusammen.

Was läuft da schief? Nun – erst mal haben die zugereisten Amerikaner stolze 250 Jahre (von 1620 bis 1865) gebraucht, um auch nur die Sklaverei abzuschaffen. Und das auch erst nach einem regelrechten Bürgerkrieg – in dem es übrigens bestenfalls am Rande um die Sklavenfrage ging. Einheit der Nation? Bis zur (zumindest offiziellen) Aufhebung der Rassentrennung in Jahre 1964 sollte es übrigens noch weitere 100 Jahre dauern.

Daß es ausgerechnet jetzt darum gehe, „das zerrissene Land“ wieder „zu versöhnen“, hält Bolle daher mehr für professionelle Polit-PR und weniger für historische Gegebenheit. Und daß ausgerechnet der abgewählte 45. Präsident der Vereinigten Staaten, Mr. Donald Trump, mit albernen vier Jahren Regierungsverantwortung für die „Spaltung des Landes“ verantwortlich sein soll, ist durch die historische Brille betrachtet schon ziemlich naiv. Immerhin durfte J.Lo im Rahmen der Inauguration (Wörter gibt’s, die kennt keener …) This land is made for you and me zum besten geben – einen Woody-Guthrie-Song von 1940. Bei Lichte betrachtet war das seinerzeit wie heute mehr Wunsch als Wirklichkeit.

Hier die Gretchenfrage: Was ist, wenn es „for you and for me“ einfach nicht reicht – zumindest „gefühlt“ nicht? Dann kommt, das würde viel erklären, ein anderes ur-amerikanisches Leitmotiv ins Spiel: The winner takes it all – was sich übrigens bis heute im amerikanischen Wahlrecht unangenehm bemerkbar macht. „Einen“ oder gar „heilen“ – da ist sich Bolle sicher – läßt sich unter solchen Leitlinien kaum. Indes – das sind halt immer noch die alten Cowboys. Kurzum: The land of the free ist noch lange nicht the place to be – jedenfalls nicht für die unteren Schichten, die aus eigener Kraft eigentlich kaum eine Möglichkeit haben, sich aus ihrer Lage zu befreien – zumindest nicht in der Breite. Eine Chance zu haben ist die eine Sache. Diese Chance auch verwirklichen zu können, eine völlig andere. Aber genau darauf – diesen Unterschied nicht zu kapieren – baut der „amerikanische Traum“ auf. Bolle meint: Träumt weiter.

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Rückt den Healer in bedenkliche Nähe zum Heiland der Christenmenschen. Das könnte durchaus als gottlos durchgehen – auch wenn das so wohl nicht gemeint sein mag. Aber so kann es gehen, wenn ein ganzer Berufsstand von jeglichem Ausbildungserfordernis freigestellt ist und dabei Leute anlockt, die professionelle Distanz für „nicht mehr zeitgemäß“ halten. Von wegen „Schreiben, was ist“ (Rudolf Augstein).

Im übrigen: Wenn ein alter weißer Mann als „Healer“ auftritt – wie sonst nur indigene Schamanen –, dann ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis jemand von der Sittenpolizei mit „kultureller Aneignung“ um die Ecke kommt. Wir werden sehen. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mi 20-01-21 Maaslosigkeiten

Recht haben — und Recht haben dürfen.

Neuerdings gibt es in Deutschland – falls man dem amtierenden Außen(!)-minister folgen mag, zwei Gruppen von Grundrechtsträgern: Solche, die ihre Grundrechte „ausüben“ dürfen – und solche, bei denen das nicht der Fall ist. Bolle meint – ketzerisch, wie er nun mal ist: Ein Grundrecht, daß ich nicht „ausüben“ darf, ist keinen Schuß Pulver wert. Dann kann man’s auch gleich knicken. Das wäre wenigstens ehrlich.

Rudolf von „Ih-Hering“ – wie er unter Jura-Studenten als kleine Gedächtnisstütze auch gerne genannt wird – hatte damals mit seinem Spruch einiges an Aufsehen erregt. Seinerzeit glaubte man überwiegend („herrschende Lehre“) noch daran, daß sich das Recht aus göttlicher Güte und Vollkommenheit naturgegeben ableiten ließe. Das indes ist 150 Jahre her. Heute – deutlich säkularisierter – glauben viele, daß die Demokratie (i.S.v. ›die Herrschaft der Guten‹) auch zu „gutem“ Recht führen müsse bzw. zumindest werde. Mit solchen „Hammer-Sprüchen“ dürften heutzutage viele nicht mehr allzu viel anfangen können. Hohe Zeit also, daß wir zumindest daran erinnern. Mit äußerst feinen Unterscheidungen indes wie „Rechte haben“ vs. „Rechte ausüben dürfen“ brillieren traditionsgemäß in erster Linie wohl nur Juristen – wie nicht zuletzt unser Außenminister. Gute Argumente? Lassen sich immer finden. So was lernt man im Studium. Aber das ist vielleicht schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Di 19-01-21 Total exponential

Total exponential.

Bolle, was soll das denn heißen? – Ick würde sagen: Det größte Manko von uns Menschen ist unsere Unfähigkeit, mit der Exponentialfunktion umzugehen. Sie ist einfach zu „kontra-intuitiv“. Daran hat auch Corönchen nüscht jeändert. – Geht’s nicht auch ein wenig konkreter? – Durchaus. Hier zwei aktuelle Meldungen aus dem Blätterwald:

Der Flughafen Frankfurt am Main meldet einen „Einbruch“ bei den Passagierzahlen von fast 75%. Das ist krass – entspricht aber dem Niveau von 1984. Umgekehrt bedeutet das, daß die Kinder vor Corönchen vier mal so viel geflogen sind wie ihre Eltern seinerzeit – und wundern sich dann, daß sie Fridays for Future kämpfen müssen. How dare you? Was hat das mit der Exponential-Funktion zu tun? Nun – eine Vervierfachung binnen 35 Jahren (1984 bis 2019) entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von albernen 4%. Hier macht’s nicht die Masse – hier macht’s der reine Zeitablauf.

Die zweite Meldung: George Soros  – den einen ein „Philantrop“, den anderen ein demokratisch nicht legitimierter Weltenlenker – hat einmal mehr „ewige Anleihen“ ins Gespräch gebracht. ›Ewige Anleihen‹ – das ist Geld, das man sich leiht, aber praktisch nie zurückzahlen muß. Macht das Sinn? Aber Ja doch. Für den Geldnehmer sowieso – das leuchtet ein. Für den Geldgeber aber auch – dauerhafte „Bonität“ des Schuldners vorausgesetzt, of course. Bei einem Zinssatz von realistischen 2,1% bedeutet das, daß ein Geldgeber nach etwas 33 Jahren, also wiederum nach etwa einer Generation, sein Geld in Form von Zinsen wieder eingespielt hat. Und das ganze „auf ewig“ gestellt. Ganz praktisch gesehen heißt das: Wer es fertigbringt, seinem (oder irgendeinem solventen) Staat einmalig ein Milliönchen zu leihen, kann sich ab sofort eines monatlichen Einkommens von 1.750 Euro (vor Steuern und Inflation, versteht sich) erfreuen – auf ewig. So macht Kapitalismus wirklich Spaß. Sozialneid? I wo. Wir reden hier rein von Mathematik im allgemeinen und Exponential-Funktionen im speziellen.

Gibt es denn nichts konstruktiveres zu vermelden? Oh doch. Wenn wir, als „human race“, besser mit der Essential Exponential umgehen könnten, wäre das Rentenproblem (unter wenig kritischen Nebenbedingungen) auf einen Schlag gelöst – auch ohne Zinseinkommen von 1.750 Euro. Wer mehr wissen will: https://agenda2028.org/texte/zukunft-der-rente/. Da steht eigentlich alles drinne, was man wissen muß. Leider nicht gerade Lektüre „für unter der Bettdecke“. Andererseits aber auch kein Hexenwerk. Aber im Grunde ist das schon wieder ein anderes Kapitel.

Mo 18-01-21 So sein — oder so sein …?

So isset eben.

Och Mensch. So isset eben. Das Thema ist viel zu weit, um es hier auf die Schnelle abzuhandeln. Schon 2006 hatte der Göttinger Politologe Franz Walter ein Büchlein mit dem geradezu prophetischen Titel ›Die ziellose Republik‹ vorgelegt. Wo wollen wir eigentlich hin? Zurück zur „Normalität“? Mit high speed aus den Schulden „rauswachsen“, die zur Zeit ein Teil der Gesellschaft bei einem anderen Teil der Gesellschaft anhäuft  – und somit deren Macht ins ungeheuerliche steigert? Corönchen könnte eine so schöne Gelegenheit sein, kollektiv eine agnostisch-kontemplative Phase einzuläuten – ganz ähnlich, wie wir es im Dezember mit unserem einschlägigen Adventskalender versucht hatten. Was ist da eigentlich draus geworden? Irgendwelche Einsichten? Laßt hören. Im Moment hat es für Bolle wirklich den Anschein, daß außer „banal am Leben kleben“ nicht viel an Perspektive in Sicht ist. Bislang hat es nicht einmal gereicht, die Gunst der Stunde zu nutzen und über ein bedingungsloses Grundeinkommen wenigstens etwas vertiefter nachzudenken. Oder zumindest die teils wirklich üblen Arbeitsbedingungen der „Helden der Arbeit“ in den Kliniken, den Pflegeheimen oder auch in den Supermärkten und anderenorts deutlich zu verbessern oder wenigstens finanziell spürbar aufzuwerten. Außer einem Wust an warmen Worten ist da bislang nicht viel passiert.

Bolles vorläufige Prognose: Wir werden noch ein Weilchen weiterwurschteln – und zwar so lange, bis die Maschinen soweit sind, daß man ihnen einfach nur Ziel- und Aktionsparameter eingeben muß und sie uns dann mit kühler Logik mitteilen, was zu tun ist – bzw. daß wir die Zielparameter (also das, was wir erreichen wollen) gründlich abspecken müssen oder aber die Aktionsparameter (also das, was wir possibly überhaupt tun können) gründlich aufstocken, da die Gleichungssysteme ansonsten schlechterdings unlösbar sind. Bolle’s altes Credo: Was mathematisch nicht funktioniert, funktioniert nicht mal im Kapitalismus – und übrigens auch nicht im Sozialismus.

Alan Turing, Master Mind der künstlichen Intelligenz, soll einmal sinngemäß gesagt haben, daß eine wirklich intelligente Maschine eine Maschine ist, die zu dem Schluß kommt, daß Menschen nicht denken können. Bolle fürchtet, er hat Recht. Indes: Allet wird jut. Aber nicht so. Im übrigen wäre das auch ein definitiv anderes Kapitel.