Sa 24-12-22 Das vierundzwanzigste – und für dieses Jahr letzte – Türchen …

Die Welt von gestern …

So schnell kann’s gehen. Auch die längsten 24 Tage des Jahres – das gilt zumindest, wenn wir die Welt durch Kinderaugen betrachten – gehen einmal vorüber. Heute schon also feiern die Christenmenschen die Menschwerdung ihres Heilandes.

Und so wollen wir schwer hoffen, daß die letzten Wochen Euch in der Grundstimmung eher besinnlich waren denn übermäßig turbulent – auch wenn das wohl nicht immer ganz einfach sein mag. Aber so ist das nun mal mit dem Seelenfrieden. Er stellt sich nicht von alleine ein. Vielmehr muß man andauernd was dafür tun. Aber wir arbeiten ja dran.

Gestern jedenfalls war Bolle Ente essen – oder war es Gans? Der Unterschied hat sich ihm bislang nicht so recht erschließen wollen – wohl weil es bislang an einem Direktvergleich gemangelt hat und die Erinnerung, wie dieses gemundet hat und wie jenes, im Laufe der Monate in Bolles Hirn so sehr verblaßt, daß ihm eine klare Unterscheidung bislang noch nicht gelungen ist. Heute vormittag jedenfalls steht der traditionelle Weihnachtsbummel an: Hände tief in die Manteltaschen und dort belassen. Ohne jegliches Gepäck – und vor allem ohne jede Absicht, irgendwas zu tun – außer den Leuten dabei zuzusehen, wie sie last minute ihre letzten Besorgungen erledigen.

Wie dem auch sei. In erster Linie geht es Bolle um die Würdigung der Jahreszeit. Ähnlich wie er zumindest versucht, im Sommer wenigstens einmal Erdbeeren zu essen (mit Schlagsahne, of course, und nur mit Schlagsahne), im Herbst Zwetschgenkuchen nach dem Rezept seiner lieben guten alten Großmama – und so fort.

Wir wünschen Euch also frohe und besinnliche Weihnachten und allen Menschen auf Erden – gleich, was sie sonst so glauben mögen – ein Wohlgefallen.

Hier noch ein Hinweis in eigener Sache: Im abgelaufenen Jahr haben wir Euch neben dem agnostisch-kontemplativen virtuellen Adventskalender ja nur zweimal ein Frühstückchen serviert – einmal im Januar und einmal im April, zum Osterfeste. Das ist natürlich äußerst dürftig und soll keinesfalls so bleiben. Wir hoffen also, daß wir im kommenden Jahr – falls uns nicht der Himmel auf den Kopf fällt, of course – etwas öfter voneinander hören werden.

Übrigens: Das letzte mal, daß Bolle ›Die Welt von gestern‹ gelesen hat, muß wohl mindestens schon vorgestern gewesen sein. Aber darauf kommt es nicht wirklich an. Wichtiger ist es wohl, einen gewissen Abstand zum Gewühle der Welt zu pflegen und sich zu bewahren. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Fr 23-12-22 Das dreiundzwanzigste Türchen …

Ein Unterschied, der einen Unterschied macht …

Zwar ist noch lange nicht Silvester – die guten Vorsätze können also noch warten. Gleichwohl kann es kaum schaden, über die besinnlichen Weihnachtstage hinweg agnostisch-kontemplativ nicht ganz untätig zu bleiben – falls das nicht ein Widerspruch in sich ist. Nicht umsonst unterscheiden sich seit alters her vita contemplativa und vita activa, das tätige Leben. Bolle allerdings meint: papperlapapp! die Unterscheidung ist ein reines Konstrukt – ohne dabei rasend konstruktiv zu sein. Und wer würde sich schon ausgerechnet zum Fest der Liebe mit Bolle anlegen wollen?

In jüngeren Jahren hatte Bolle einmal eine Disputation mit seiner Yoga-Schülerschar (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) über die Frage, ob es möglich sei, daß ein Yogi Manager sein könne. Bolle meinte seinerzeit: Wenn nicht der – wer dann? Die Geschichte endete damit, daß Bolle einen nicht unerheblichen Teil seiner Lebenszeit als selbiger verbracht hat – ohne seine Yoga-Schülerschar dabei zu vernachlässigen, of course.

Aber all das soll heute nicht unser Thema sein. Vielmehr wollen wir ein weihnachtliches Lichtlein auf die kleinen Shit-happens-Momente werfen, wie sie etwa die allfälligen Besorgungen mit sich bringen können.

Daß es Menschen gibt, die ihrer Zeit am liebsten immer in etwa 10 Minuten voraus wären, hatten wir schon erwähnt (vgl. dazu So 04-12-22 Das vierte Türchen – der 2. Advent …). Von solchen Anfängerfehlern einmal abgesehen, kann man gleichwohl einiges erleben – auch im Weihnachtstrubel.

Dieses Jahr zum Beispiel hat sich die Post nebst ihrer Späti-Derivate recht unvorteilhaft hervorgetan. Da sollte etwa ein Päckchen, das an Herrn „Dipl.-Ing. Müller“ adressiert war, an „Ina Mühler“ ausgeliefert werden. Aus dem „Ing.“ wurde also „Ina“ – und was man bei „Müller“ falschmachen kann, wollte sich Bolle rein gar nicht erschließen. Obwohl – das läßt sich toppen: So wurde ein Päckchen, daß nach „Glinde“ in Schleswig-Holstein gehen sollte, nach „Indien“ verschickt. Zumindest fast. Irgendein Postler muß dann doch noch geschnallt haben, daß Glinde kaum in Indien liegen wird – auch wenn es rein phonetisch eine gewisse Ähnlichkeit geben mag. Auch war das Päckchen ganz regulär mit Inlandsporto versehen.

Über derlei könnte man sich amüsieren – wäre es nicht so, daß man sich doch wünschen würde, daß die Weihnachtsschoki spätestens zum Feste ihren Bestimmungsort erreicht und nicht etwa unter der heißen Sonne Indiens dahinschmilzt.

Ein dritter Vorfall – bleiben wir bei der Post als vorweihnachtlichem Abenteuer-Spielplatz: Bolle stand in einer (langen) Schlange, als vor ihm am Schalter ein rechter Rüpel seinen Unmut laut vernehmlich in die Schalterhalle ergoß. Der Grund: „aus technischen Gründen“ sei eine Bezahlung mit Bargeld „heute leider nicht möglich“. So stehe es auch auf einem Schild am Eingang. Man könne aber gerne mit der Bankkarte bezahlen. Natürlich hatte auch Bolle nur Bargeld dabei – zum Glück aber seine Weihnachtsgrüße in Heimarbeit schon ausreichend frankiert. Das war noch einmal gutgegangen. Knapp verfehlt ist schließlich auch getroffen.

Beim Rausgehen hatte Bolle in der Tat besagtes Schild gefunden. Man konnte es klar erkennen – sofern man wußte, daß es da hängt. Laßt uns also froh und munter sein bei den letzten Weihnachtsvorbereitungen und uns in der Kunst der Kontemplation im richtigen Leben üben. Im Detail wär das dann aber doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 22-12-22 Das zweiundzwanzigste Türchen …

Wat den eenen sin Uhl …

Wat den eenen sin Uhl, is den annern sin Nachtigall. Die Einsicht ist, wie’s scheint, uralt. Die Geschmäcker sind nun mal so verschieden, daß es wenig Sinn macht, darüber zu streiten: de gustibus non est disputandum.

Wir haben hier eine x-beliebige Eigenschaft – nennen wir sie ›ping‹ – nebst ihrem Gegenteil – nennen wir es ›pong‹ – nebst deren möglichen Ausprägungen, ›maßvoll‹ vs. ›extrem‹, in eine 4-Felder-Tafel einsortiert. Die Technik läßt sich übrigens bis mindestens auf Aristoteles zurückverfolgen – auch wenn der, soweit wir wissen, noch keine 4-Felder-Tafeln benutzt hat.

Im Beispiel gehen wir davon aus, daß jemand von Haus aus ein vorsichtiger Mensch ist, ›ping‹. Das Gegenteil, ›pong‹, wäre demnach, mutig zu sein. Wir hätten übrigens ebensogut ›Yin und Yang‹ sagen können. Das allerdings sind keine Adjektive im engeren Sinne. Bleiben wir also bei ›ping‹ und ›pong‹ für Teil und Gegenteil.

Das interessante an dieser Stelle: Jemand, der sich selbst als vorsichtig einstufen würde, würde jemanden, der das Gegenteil verkörpert, also eher „mutig“ ist, keinesfalls als mutig einstufen, sondern eher als – leichtsinnig. Umgekehrt würde jemand, der sich selbst für eher mutig hält, sein Gegenstück nicht etwa vorsichtig nennen, sondern eher „ängstlich“. Kurzum: Es gibt eine gewisse Neigung, alles, was uns fremd oder zumindest unverständlich anmutet, zumindest sprachlich abzuwerten. Daß eine solche pejorative Kategorisierung wenig der Toleranz und erst recht nicht der Akzeptanz förderlich sein kann, dürfte unmittelbar einleuchten. Und doch scheint es so zu sein.

Hier ein Beispiel aus dem richtigen Leben. Bolle war zu einer Geburtstagsparty eingeladen. Die Party wurde über eine WhatsApp-Gruppe organisiert. Nach Wochen des kommunikativen Hin und Her’s kam dann der erste damit raus, daß ja wohl alle getestet sein würden. Sonst könne er, leider, leider, nicht kommen. Aus seiner Sicht offenbar der Typ ›vorsichtig‹. Aus Bolles Sicht natürlich eher der Typ ›ängstlich‹. Also, was tun?  Helwigs Werte (so heißen solche 4-Felder-Tafeln) in der WhatsApp-Gruppe ausdiskutieren? Absehbar wenig erfolgversprechend und damit sinnlos. Bleibt wegbleiben. Mit oder ohne Abmeldung? Die guten Sitten verlangen nach einer Abmeldung – der Erhalt der guten Laune spricht allerdings dagegen.

Wie allgemein damit umgehen? Alles zu unterlassen, was irgend jemanden (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) auch nur stören könnte, kann aus rein mathematischen Gründen nicht die Lösung sein. Es gibt nun mal absehbar dermaßen viele Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten, daß die Lösungsmenge rucki-zucki auf die leere Menge zusammenschnurren würde. Eine Diskussion darüber zu führen, ob es „besser“ ist, vorsichtig zu sein oder ob es besser ist, mutig zu sein, ebensowenig. Wir befinden uns hier in der Domäne von Schwester Ethik (vgl. dazu So 24-01-21 Dreschflegel) – und die ist für Argumente nun mal völlig unzugänglich.

Und so wurde die Spaltungsdynamik, hier im ganz Kleinen schon, um einen weiteren Fall bereichert. Eine grundsätzliche Lösung ist, wie’s scheint, nicht in Sicht. Das soll uns aber nicht die Weihnachtsstimmung verderben – und wäre im übrigen auch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mi 21-12-22 Das einundzwanzigste Türchen …

Die Grenzen der Demokratie …

Hier der Vollständigkeit halber zunächst der ›Schiller‹, auf den sich Blumenthal gestern bezogen hatte (vgl. Di 20-12-22 Das zwanzigste Türchen …), im Zusammenhang. Wir wollen Euch das nicht vorenthalten – auch wenn es in dieser Verdichtung etwas deprimierend klingen mag.

Was also wären die Anforderungen, die an das Volk zu stellen sind, damit Demokratie, die mehr ist als nur ein Partizipations-Placebo oder gar nur eine fluffige Umschreibung für ›Herrschaft der Guten‹, funktionieren bzw. „gelingen“ kann – wie es in anderen Zusammenhängen in herrlichem Neusprech immer so schön heißt?

Eigentlich sind es, auf den Punkt gebracht, nur drei Zutaten, die nicht nur höchst wünschenswert wären, sondern die uns nachgerade unverzichtbar erscheinen wollen.

Zum einen bräuchte das Volk eine hinreichend ausgebildete Urteilsfähigkeit. Hierbei handelt es sich im Grunde nur um einen altmodischeren Ausdruck für das, was wir gestern ›prognostische Kompetenz‹ genannt haben.

Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Bolle hat einige Jahre in Folge bei Einführungsveranstaltungen für Erstsemester den folgenden running gag zum Besten gegeben: „Im wesentlichen geht es hier um Lesen, Schreiben, Rechnen.“ Damit hatte er erst mal einen Lacher. Einen leicht irritierten Lacher zwar – aber immerhin einen Lacher. Aber wie so oft ist auch hier der Scherz das Loch, durch das die Wahrheit pfeift. Urteilsvermögen fällt nicht vom Himmel und wächst auch nicht auf Bäumen. Vielmehr muß es sich entwickeln. Und das kann ganz schön dauern.

Zum zweiten bräuchte es eine gewisse Souveränität. Im Grunde liegt das mehr als nahe. Schließlich ist das Volk der Souverän. Und was wäre ein Souverän ohne Souveränität? Für den Anfang wäre schon einiges mit hinreichender Resistenz gegen Gruppendruck sowie einem gesunden Mißtrauen gegenüber aufgeblasenen Autoritäten gewonnen. Wenn alle (oder furchtbar viele) mit den Wölfen heulen, so sollte das für einen souveränen Souverän noch lange kein Grund sein einzustimmen. Und Autoritäten kochen schließlich auch nur mit Wasser.

Und drittens und letztens schließlich wäre eine hinreichende Freiheit von Bangbüchsigkeit – wir könnten auch sagen: Freiheit von Schissertum – wünschenswert. Genau so, wie es Friedrich von Logau (1605–1655) seinerzeit so trefflich auf den Punkt gebracht hat (vgl. dazu auch unser Türchen vom letzten Jahr: Mo 20-12-21 Das zwanzigste Türchen …).

Leb ich / so leb ich!
Dem Herren hertzlich;
Dem Fürsten treulich;
Dem Nechsten redlich;
Sterb ich / so sterb ich!

Warum ist das so? Nun – wer Schutz durch seinen Nächsten sucht, wird vor allem Herrschaft ernten.

Fassen wir zusammen: Urteilsfähigkeit, Souveränität sowie Freiheit von übertriebener Bangbüchsigkeit. Das in etwa ist das Holz, aus dem sich Demokraten schnitzen ließen, die mehr sind als nur gelegentliche Kreuzchen-Macher. Man könnte es auch so formulieren: Ein Demokrat braucht unbedingt ein Mindestmaß an agnostisch-kontemplativer Grundstimmung. Damit aber sind wir – Bolle meint, man kann das schwerlich anders sehen – himmelweit von den Zuständen in der hierzulande real existierenden Demokratie entfernt. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Di 20-12-22 Das zwanzigste Türchen …

Mehr oder minder …

Wir haben uns in diesem Jahr an dieser Stelle ja vergleichsweise gründlich mit der Klärung der Dreifaltigkeit ›Demokratie / Rechtsstaat / Verfassungsstaat‹ befaßt – einer der ersten Mehrteiler in unseren agnostisch-kontemplativen Frühstückchen überhaupt – und dabei festgestellt, daß da begrifflich doch noch einiges im Argen liegt. Wie aber soll konfusem bzw. diffusem Denken jemals klares Handeln entspringen?

Wir wollen unsere Trias morgen mit einem vierten Teil abschließen und uns dabei zweierlei fragen: Erstens, wie kann es sein, daß eine Trias aus vier Teilen besteht? Nun, das ist leicht erklärt: Seit Douglas Adams 1992 – also vor nunmehr 30 Jahren schon – den gar fünften Teil seiner Trilogie ›Per Anhalter durch die Galaxis‹ herausgegeben hat, sollten wir uns an derlei längst gewöhnt haben. Der Konfusionen gibt es durchaus drastischere.

Zweitens und vor allem aber wollen wir uns fragen, wie wir uns den Dreh- und Angelpunkt einer Demokratie (im weiteren Sinne) vorstellen wollen – den leibhaftigen Souverän. Ist das einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course), der einen Stift halten und ein Kreuzchen machen kann? Oder sollten wir die Latte hier nicht vielleicht ein wenig höher legen?

Begnügen wir uns für heute mit einem kleinen Gedankenexperiment. Stell Dir vor, Du seiest Mitglied eines 11-köpfigen Mikrokosmos und ihr habet Euch voll und ganz der Demokratie-Idee verschrieben. Alle Entscheidungen werden ausnahmslos per Mehrheitsbeschluß getroffen. Alles, was mindestens 6 Stimmen auf sich vereinigen kann, wird also gemacht. Alles andere nicht. Stimmengleichheit sei ausgeschlossen, da alle, so wollen wir annehmen, aus guter demokratischer Überzeugung an jeder Abstimmung teilnehmen und Stimmenthaltungen völlig verpönt sind und nie vorkommen.

So weit, so gut. Nun stell Dir vor, einer von Euch verfüge über eine geradezu überschießende prognostische Kompetenz. Der Einfachheit halber wollen wir annehmen, daß Du selbst das bist – obwohl es hierauf nicht ankommt. Not unlike Kassandra ist Dir immer klar, welche Konsequenzen eine bestimmte Entscheidung kurz-, mittel- und auch langfristig haben wird. Unter diesen Umständen wäre es gar nicht so einfach, Euch ein, sagen wir, trojanisches Pferd unterzujubeln.

Allerdings liegt hier die Betonung auf „wäre“. Annahmegemäß unterliegt ja auch diese Entscheidung dem Mehrheitsbeschluß. Was aber, wenn der Rest Deines Mikrokosmos von der netten Geste des Absenders völlig entzückt ist oder von der filigranen Maserung des Holzes fasziniert – und sich nach dem Motto „Ein Pferd ist nie verkehrt“ durchaus für die Aufnahme selbigens in Eure heiligen Hallen erwärmen kann?

Hier hilft kein Zetern und kein Schreien, kein Haareraufen und kein Kleidzerreißen (wie es bei Esra 9, 3 in einem ähnlich gelagerten Fall heißt). Wenn es Dir also nicht gelingt, wenigstens fünf Deiner Stammesbrüder (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) von Deiner besseren Einsicht zu überzeugen, dann steht es schlecht um die Entwicklungsperspektiven Eures Stammes.

Natürlich ist ein solches Verfahren zumindest anstrengend – zuvörderst für Dich, letztlich aber auch für Deine Sippe. Geschmeidige Entschließung stellt sich Bolle anders vor – von „Effizienz“ gar nicht zu reden. Kurzum: ob und inwiefern Du für Dich und Deinen Mikrokosmos Erfolg haben wirst mit Deiner prognostischen Kompetenz, hängt nicht allein von Deinen Fähigkeiten ab – die wir hier im Gedankenexperiment als gegeben unterstellt haben – sondern gleichermaßen von der Einsichtsfähigkeit des Dich umgebenden Volkes.

Das aber wirft unmittelbar die Frage auf, welche Anforderungen an das Volk zu stellen sind, damit Demokratie, die mehr ist als nur ein Partizipations-Placebo oder gar nur eine fluffige Umschreibung für ›Herrschaft der Guten‹, funktionieren kann. Das wollen wir morgen kurz skizzieren. Für heute nämlich wär das doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mo 19-12-22 Das neunzehnte Türchen …

Seelenfrieden …

Wir hatten gestern ja angedeutet, daß alles – oder jedenfalls sehr vieles – letztlich auf etwas so altmodisch oder gar schon mystisch klingendes wie ›Seelenfrieden‹ hinausläuft. Dabei ist Seelenfrieden – wie wohl alle tiefergehenden Begriffe – ein Teekesselchen. Damit kann einmal die Stimmung gemeint sein, mit der man sich einer Sache – egal welcher – zuwendet. Zum anderen kann damit das Ergebnis ebendieser Zuwendung gemeint sein – also die Stimmung, in der man sich befindet, wenn ein System funktioniert und man weiß warum. Das würde also dem Fall #1 unseres gestrigenTürchens (So 18-12-22 Das achtzehnte Türchen – der vierte Advent …) entsprechen.

In Pirsigs ›Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten‹ ist Phaidros (gewissermaßen der Protagonist und Ich-Erzähler) mit anderen zu Gast bei einem befreundeten Künstler. Phaidros schreibt zum Broterwerb technische Handbücher und Gebrauchsanleitungen. In einem früheren Leben, das er umständehalber aufgegeben hat, war er Hochschullehrer für das Fach Englisch. Phaidros hat ein Anliegen und wirft es als Thema in die Runde:

„Ich wollte nur sagen“, fange ich nochmal an, als ich mich endlich durchsetzen kann, „daß ich zu Hause eine Anleitung habe, die ungeahnte Möglichkeiten zur Verbesserung technischer Texte erschließt. Sie beginnt mit den Worten: ›Die Montage japanischer Fahrräder erfordert großen Seelenfrieden.‹“

Damit erntet er natürlich als erste Reaktion einen freundschaftlichen Lacher. Gleichwohl spürt die Runde, daß dahinter sehr viel mehr stecken könnte als nur ein guter Joke, und er erweckt ernstliche Aufmerksamkeit. Einer der Freunde fordert den „Herrn Professor“ auf, das Gesagte näher zu erläutern, und Phaidros hebt an:

„Seelenfrieden ist genaugenommen überhaupt nichts Oberflächliches“, erläutere ich. „Es ist das einzige, was zählt. Was ihn fördert, ist gute Mechanikerarbeit; was ihn stört, ist schlechte Mechanikerarbeit. Was wir als die Brauchbarkeit einer Maschine bezeichnen, ist nur eine Objektivierung dieses Seelenfriedens. Der letzte Prüfstein ist immer unsere eigene Gemütsruhe. Wenn man die nicht hat, wenn man beginnt, und sie sich nicht während der Arbeit bewahrt, dann läuft man Gefahr, seine eigenen persönlichen Probleme buchstäblich in die Maschine einzubauen.“

Hier finden sich also, in bestmöglicher Verdichtung, die beiden Begriffsinhalte des Teekesselchens. Einerseits die Stimmung, mit der man an eine Sache herangehen sollte – etwa wenn man ein „japanisches Fahrrad“ montieren will, und andererseits die Stimmung, in die „gute Mechanikerarbeit“ – also etwa das fertig montierte Fahrrad – einen versetzt.

Für heute wollen wir uns damit bescheiden – bis auf einen kleinen Hinweis in eigener Sache, vielleicht. Bolle liebt ja ganz grundsätzlich Selbstbezüglichkeit – wenn also etwa die Dinge, über die man redet, plötzlich im richtigen Leben in Erscheinung treten. So war es auch hier. Nach einem System-Update, das nicht wirklich zwingend nötig gewesen wäre, sah sich Bolle unversehens mit einer ganzen Reihe von Fall #4-Konstellationen konfrontiert und hatte reichlich Gelegenheit, das Dozierte – Wie bewege ich mich möglichst geschmeidig in der 4-Felder-Tafel, ohne einen Knall zu kriegen? – ganz lebenspraktisch anzuwenden. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 18-12-22 Das achtzehnte Türchen – der vierte Advent …

Murphy totalmente …

Bekanntlich gibt es immer zwei Möglichkeiten. Zumindest in einer dichotomen Welt ist das so. Gleichzeitig bedeutet das, daß es in einer zweidimensionalen dichotomen Welt immer vier Möglichkeiten gibt. So auch hier. ›Etwas‹ – in der 4-Felder-Tafel etwas hochtrabend ›System‹ genannt – kann entweder funktionieren oder nicht funktionieren. Und es ist möglich, daß man weiß, warum es funktioniert oder nicht funktioniert. Oder man weiß es eben nicht.

Wenn etwas funktioniert und man weiß warum (Fall #1), ist alles fein. Der Fall, daß etwas nicht funktioniert, man aber weiß, warum das so ist (Fall #2), ist weniger schön. In diesem Fall muß man den Fehler halt beheben, das System reparieren. Wenn etwas nicht funktioniert und man weiß nicht warum (Fall #4), dann ist die sprichwörtliche Kacke am Dampfen. So etwas führt unmittelbar zu innerer Unruhe. Hier hilft es nur, solange zu insistieren, bis man weiß, warum es nicht funktioniert. Rücke vor zu Fall #2, sozusagen. Oft genug allerdings reichen die eigenen Fähigkeiten nicht aus und man ist auf fremde Hilfe angewiesen. Immerhin ist das allemal besser als mit nicht-funktionierenden Systemen zu arbeiten – was ja schließlich per se sinnlos wäre.

Eine sehr eigenartige Konstellation ist Fall #3. Etwas funktioniert, wir haben aber keine Ahnung, warum. Hier scheiden sich die Geister. Während die einen froh sind, daß es überhaupt funktioniert und die Gründe hierfür Gründe sein lassen, gibt es andere, die so etwas schier in den Wahnsinn treibt. Es soll so mancher schon bei der Erklärungssuche so lange am System rumgefummelt haben, bis es schließlich nicht mehr funktioniert hat. Immerhin wußte er (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) dann, warum und fühlte sich gleich besser. So weit würde Bolle – bei aller Aversion gegen Fall #3 – dann allerdings lieber doch nicht gehen wollen. Manchmal muß man eben einfach ganz pragmatisch die sprichwörtlichen Fünfe gerade sein lassen.

Natürlich gibt es im richtigen Leben oft doch noch mehr Möglichkeiten als in der binären Logik. So kann es etwa sein, daß etwas nicht funktioniert und man weiß nicht, daß es nicht funktioniert. Die Warum-Frage stellt sich hier also gar nicht erst. Genau das ist uns vorgestern abend passiert. Die Ankündigungs-Email war geschrieben, ins System eingetütet – und tschüß. Sollte man meinen. Daß sie aber nicht ankommen würde wie vorgesehen, hatte sich erst am nächsten Morgen herausgestellt. Und schon waren wir wieder in vertrauten Bahnen – in diesem Falle Fall #4. Nach ein bißchen Insistieren sind wir dann über Fall #2 zu Fall #1 gekommen: es funktioniert und wir wissen, warum. Zumindest wollen wir davon bis zum Erweis des Gegenteiles ausgehen.

Was das alles mit der Adventszeit, der Ankunft des Heilands der Christenmenschen zu tun hat? Nun, wenn wir uns zu Weihnachten nicht zuletzt auch ›Frieden‹ wünschen, sollten wir nicht vergessen, daß es beim Navigieren durch die 4-Felder-Tafel auch um eine Art von Frieden geht, die wir aus rein kontemplativen Gründen niemals geringschätzen sollten: Den Seelenfrieden – wie ihn unseres Wissens Robert M. Pirsig in seinem ›Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten‹ (1974) präsentiert und popularisiert hat. Wir werden morgen oder in den nächsten Tagen darauf eingehen. Für heute aber wär das dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Sa 17-12-22 Das siebzehnte Türchen …

Das kann man so sehen – oder so …

Wir haben uns in diesem Jahr hier in unserem agnostisch-kontemplativen Adventskalender noch nicht ein einziges mal dem Thema ›Corönchen‹ zugewendet. Und das soll auch so bleiben. Schließlich hat sich die Lage – von gewissen Resterscheinungen etwa in den Öffis sowie wackeren „Get vaccinated“-Appellen seitens offizieller Stellen einmal abgesehen – ja auch wieder weitestgehend beruhigt. Man kann wieder ohne Negativ-Nachweis und ohne Maskenmätzchen auf den Weihnachtsmarkt – ja, man darf dort sogar wieder einen Glühwein trinken.

Aus der Distanz betrachtet stellt sich Bolle der ganze, völlig unweihnachtliche Zauber letztlich als Ausfluß des Weltbildes oder zumindest des Körperbildes dar. Für Bolles lieben guten alten Yogalehrer ist der Körper der Tempel, den seine Eleven – nicht anders als andere Leute auch – nun mal brauchen, um sich auf und in der Welt bewegen zu können. In dieser Welt sind Viren schlechterdings nicht definiert. Was aber, wenn trotzdem einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) einen Schnupfen kriegt? Dann ist das halt so. Schließlich hat auch der schönste Tempel von Zeit zu Zeit einen gewissen Renovierungsbedarf. Und wenn er daran sogar stirbt? Auch dann ist das halt so. So ein bißchen sterben kann einen echten Yogi nicht umhauen – wie der Meister stets, wenn auch mit rechtem Schalk im Auge, betont hat. Wieder eine Episode im ewigen Kreislauf des Werdens und Vergehens abgeschlossen.

Ganz anders die kontemporär-modernistische medizinisch-wissenschaftliche Sicht. Hier leben wir in einer Welt voller Widrigkeiten. An jeder Ecke lauern tödliche Gefahren. Ein mal nicht aufgepaßt, einmal die Impfung versemmelt – und zack, schon ist man tot. Wie furchtbar! Nicht einmal der Wetterbericht, der Bolle mehrmals täglich auf sein Handy flattert, kommt ohne dauernde „Warnungen“ aus. Da wird vor Hitze gewarnt, vor Kälte, vor Glätte, vor Regen, vor Sturm … Kurzum: vor dem Wetter an sich. „Volk unter Strom“ hat Bolle das an anderer Stelle einmal genannt.

Aber ist das nicht alles reichlich zynisch? Das wiederum hängt, wie so oft, schwer davon ab, was wir uns unter ›zynisch‹ vorstellen wollen. Ursprünglich, bei Diogenes und den anderen Kynikern – also den Vorläufern der Stoa – hatte man darunter die Einsicht verstanden, daß es keinen Sinn macht, sich das Leben mit der Angst vor dem Tode zu vermiesen. Und da ist durchaus was dran. Die moderne Deutung nebst pejorativem Beiklang (›Gefühllosigkeit gegenüber den Leiden anderer‹) kam jedenfalls erst sehr viel später auf – was unter den gegebenen Umständen natürlich nicht weiter verwundern kann. Gleichwohl bleibt es dabei: Hier haben die Kyniker bzw. die späteren Stoiker durchaus einen Punkt (wie man so etwas heutzutage zu nennen pflegt).

Die kontemplative Grundeinsicht – nämlich daß wir sterbliche Wesen sind und daß es uns ohnehin nicht vergönnt ist, uns mehr als nur eine sehr, sehr kurze Spanne auf dieser Wonderful World (Satchmo 1967) zu tummeln, und daß wir folglich nicht allzu viel Wind um das eigene Dasein machen sollten – vor allem dann nicht, wenn wir damit das Leben verfehlen – kann da schon mal leicht ins Hintertreffen geraten. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Fr 16-12-22 Das sechzehnte Türchen …

Das wahr’s dann wohl …

Ich muß Euch sagen, es weihnachtet sehr! So hat es Theodor Storm trefflich auf den Punkt gebracht – und so paßt es auch aufs Feinste zur Jahreszeit – und hoffentlich auch zu Eurer Stimmung. In unserem Bestreben, es etwas ruhiger angehen zu lassen auf die letzten Tage, hier ein kleiner Schnipsel Epiktet.

Epiktet wurde etwa 50 oder 60 Jahre nach dem Heiland der Christenmenschen geboren und konnte, als es für ihn Zeit wurde zu gehen, auf ein langes Leben von etwa 80 oder 90 Jahren zurückblicken. Selber geschrieben hat er – wie vor ihm auch schon Sokrates – rein gar nichts. Aber wofür hat man tüchtige Schüler, die fleißig Mitschriften anfertigen? So also hat wenigstens sein ›Handbüchlein der Moral‹ die Jahrhunderte überdauert und dabei mal mehr und mal weniger Einfluß auf die Sinn- und Wahrheitssucher dieser Welt gehabt. Ganz weg vom Fenster war es nie.

Der letzte Satz des Schildchens – der das ganze auf den Punkt bringt – lautet in den Bolle vorliegenden Fassungen „Er meint, recht zu handeln“ oder „Es schien ihm eben richtig so“. Sehr verständnisvoll, das – für Bolles Dafürhalten aber auch etwas zu passiv und viel zu brav. Möglicherweise schimmert hier der freigelassene Sklave durch. Darum hier die „freche Fassung“ – wie sie Bolle seit jungen Jahren schon bekannt ist. Die Quelle allerdings ist alles andere als bekannt. Jedenfalls ergibt auch eine Google-Volltext-Suche genau Null Treffer – was nicht allzu häufig vorkommt.

„Dem scheint das so zu sein“ – auch noch unterfüttert mit „sprich zu Dir selbst“ – legt es weniger darauf an, den Anderen (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) zu verstehen, sondern ihn vielmehr ganz stoisch da stehenzulassen, wo er offenbar nun mal steht. Man muß schließlich nicht alles mit allen erörtern können. Vielleicht ist die freche Fassung einfach nur Bolles jugendlichem Hoch- bzw. Übermut entsprungen. Als praktische Verhaltensregel aber hat sie sich stets und allezeit bewährt.

Was aber ist, falls sich herausstellen sollte, daß man es selber war, der mit seiner Wahrheit danebenlag? Kein Problem: Hier hilft die nötige Portion Agnostik. Man muß ja schließlich nicht alles glauben, nur weil man selber es so sieht. Im übrigen ist der Kopf rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 15-12-22 Das fünfzehnte Türchen …

Dicht vorbei ist auch daneben …

Im Bestreben, es etwas gemütlicher angehen zu lassen, hatten wir gestern (Mi 14-12-22 Das vierzehnte Türchen …) Henry Ford, Automobilhersteller und Aphoristiker, zu Wort kommen lassen. Daß wir gegenwärtig in einer Welt leben, in der ein Begriff wie „Versteher“ bis in höchste Partei- und Pressekreise nachgerade zum Schmähwort mutieren konnte, hatten wir dabei nur am Rande erwähnt.

Hier noch ein kleiner Nachtrag zu Henry Ford. Nach einem Anekdötchen soll sich seinerzeit folgendes zugetragen haben. Eine von Fords Maschinen lief nicht rund und er ließ einen externen Mechaniker kommen. Der warf einen fachkundigen Blick auf das Problem und löste es binnen weniger Minuten. Auf der Rechnung stand: „Schraube anziehen: 20 Dollar“. Waas? 20 Dollar für Schraube anziehen? Henry Ford war entsetzt und wollte nicht zahlen. (Dazu muß man wissen, daß 2 Dollar in etwa dem Tageslohn eines Arbeiters entsprochen haben.) Woraufhin der Mechaniker – offenbar nicht nur der Mechanik kundig – eine neue Rechnung ausgestellt hat: „Schraube anziehen: 50 Cent. Wissen, welche Schraube: 19 Dollar 50 Cent.“ Ford soll anstandslos gezahlt haben.

Was will uns das sagen? Nun – wäre Henry Ford ein Spitzenpolitiker kontemporärer Prägung gewesen, hätte er den Mechaniker wohl unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt, die Rechnung wegen Annahmeverzuges (so heißt das zumindest im deutschen Recht) wohl trotzdem bezahlen müssen und überdies laut und vernehmlich „Mit dem Geschäfte machen? Nie wieder!“ gebrüllt.

Und so gibt es auch im Kleinen Unterschiede, die durchaus einen Unterschied machen. Die Ford Motor Company gibt es heute noch. Ob das für weitere Kreise der aktuellen Politprominenz demnächst auch noch gelten wird – darauf würde Bolle nicht mal einen Pfifferling verwetten. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.