Mi 31-03-21 Pieks!

Die Nadel und das Ei.

Eins, zwei, drei! Im Sauseschritt // Ostern naht; wir eilen mit. Natürlich nur, soweit sich das mit unseren Kontemplationsbestrebungen in Einklang bringen läßt, of course. Das mit dem Sauseschritt stammt natürlich aus Wilhelm Buschs »Julchen«. Wir haben es nur der Jahreszeit entsprechend angepaßt.

Gestern haben wir uns, eher am Rande, gefragt, was Ostern mit Osterhasen zu tun haben mag. Die Antwort steht noch aus. Grundlegender ist die Frage: Was hat Ostern mit Eiern zu tun? Nun, das Osterfest wurde, wie übrigens so ziemlich alle anderen Feste auch, von der aufstrebenden Christenheit rein zeitlich auf heidnische Feste aufgepfropft, um die Heiden daran zu hindern, ihre traditionellen Feste weiter feiern zu können. Schließlich kann niemand auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Nun sind Eier einfach nur ein heidnisches frühlingsgemäßes Fruchtbarkeitssymbol, das von den Christenmenschen gleich mit adaptiert wurde.  Dabei wurden ursprünglich sämtliche Eier angeblich rot eingefärbt, um das Blut Christi zu symbolisieren. Etwas eklig ist das schon, meint Bolle, aber bitteschön. Wenn’s dem religiösen Fortschritt dient …

Eier-Piekser schließlich sind, zusammen mit einer ganzen Reihe „fortschrittlicher“, bei Lichte betrachtet vielleicht aber doch eher überflüssiger Haushaltsgerätschaften, wohl erst in den 1970er Jahren aufgekommen. Bolle jedenfalls piekst traditionell mit einer schlichten Nadel (siehe Bildchen). Indes: kaum eine Idee ist so daneben, daß sich daraus nicht doch noch etwas sinnvolles ergeben könnte.

Und schon sind wir bei Corönchen im allgemeinen bzw. der noch immer völlig unzureichenden medizinischen Vollversorgung des Volkes mit den ersehnten Vakzinen im speziellen. Warum, so Bolle, das Prinzip Eier-Piekser nicht einer wirklich lebenspraktischen Anwendung zuführen? Selbst ist der Mann (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course)!

Kurzum: Die ganze Distributions-Logistik ließe sich dramatisch vereinfachen. Pieksen kann schließlich jeder. Eine „Durchimpfung“ des Volkes sollte sich so in wenigen Tagen bewerkstelligen lassen. Hinzu kommt, und hier wird es sozialpsychologisch, daß das den „Impflingen“ ein gesteigertes Gefühl von wiedererworbener Situationskontrolle vermitteln würde – statt sich rein passiv den professionellen Pieksern hingeben zu müssen. Das könnte die Stimmung im Volke deutlich aufhellen. Schließlich haben wir es hier mit einem veritablen kognitiven Grundbedürfnis zu tun. Auch wiederholte Impfungen, die, etwa aufgrund neuer, fieser Virus-Varianten notwendig werden könnten, wären fürderhin kein Problem mehr. Alles Unsinn? Möglich. Vor dem gegebenen Hintergrund macht das den Kohl aber auch nicht mehr fett. Also: Nur Mut! Avanti dilettanti.

Was aber, wenn es zu Anwendungsfehlern kommt? Wenn also, nur zum Beispiel, jemand seinen Arm grob verfehlt und mit dem Piekser ausgerechnet mitten ins Herz trifft und stante pedes von hinnen scheidet? Seien wir ehrlich: No risk, no fun. Außerdem, da weiß sich Bolle mit den Virologen dieser Welt völlig einig: Keine Anwendung ohne mögliche Nebenwirkung. Im übrigen könnte man den Betroffenen einen, dann ja wohl auch hochverdienten, Darwin Award zusprechen. Ehre, wem Ehre gebührt. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

So 21-03-21 Die Entdeckung der Minderheit

Freiheit, die ich meine.

Solange es Menschen gibt, gibt es auch Entdeckungen. Denken wir nur zum Beispiel an das Feuer oder das Rad. Und schon wird es kompliziert. Das Feuer wurde ja nicht etwa „entdeckt“. Im Gegenteil: Es war schon immer da. Es wurde lediglich „gezähmt“ und in den Dienst menschlicher Bedürfnisse gestellt. Und auch das Rad macht erst dann Sinn, wenn man zusätzlich die Achse erfindet und einigermaßen befestigte Wege.

Ähnlich verworren verhält es sich mit jenen „Entdeckungen“, die bei Lichte betrachtet eigentlich eher Ideen sind, wie zum Beispiel Luthers „Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) oder die grundlegende Idee der Französischen Revolution (1789), die in der Losung „Egalité, Liberté, Fraternité“ ihren knackigen Ausdruck fand. Die Übersetzung „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ meint das gleiche, klingt aber weniger musisch. Aber darauf soll es uns hier nicht ankommen.

Auch wollen wir nicht vertiefen, daß es bislang niemandem gelungen ist, auch nur einigermaßen bündig klarzulegen, was genau wir uns denn unter »Freiheit« vorzustellen haben. Thomas Hobbes (1588–1679) etwa hat darunter „das Fehlen jeglicher Bewegungsbehinderung“ verstanden, was Bertrand Russell (1872–1970) spöttisch als „wunderbar präzise Definition“ eingestuft hat. Das Problem: Wenn jeder (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) auf „ungehinderte Bewegung“ bestehen würde, wäre absehbar Hauen und Stechen angesagt. Auch hauptamtlichen Denkern wie etwa Kant (1724–1804) oder Hegel (1770–1831) ist hierzu nicht allzuviel eingefallen – außer „Was Du nicht willst, das man Dir tu …“ (Kant) bzw. „Einsicht in die Notwendigkeit“ (Hegel) als begrenzendes Prinzip. Kurzum: Freiheit im Hobbes’schen Sinne mag zwar „wunderbar präzise“ definiert sein, ist aber leider praktisch völlig unbrauchbar. Warum?

Den ultimativen Grund liefert, einmal mehr, die Mathematik – genauer gesagt die formale Logik. Man nennt es dort Polylemma. Egal, was man macht: Man kann es nicht allen rechtmachen. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist vielleicht die »Vater/Esel/Sohn«-Allegorie: Ein Vater ist mit seinem Sohn und einem frisch erworbenen Esel unterwegs. Anfangs gehen alle drei zu Fuß und werden von einem entgegenkommenden Wanderer ausgelacht: „Warum geht Ihr denn beide zu Fuß, so Ihr doch einen Esel habt zum reiten?“ Als dann der Vater aufsitzt, kommt der nächste Wanderer des Weges und bezichtigt den Vater der Kinderschänderei. Also läßt der Vater den Sohn aufsitzen – was von einem weiteren Wanderer dem Sohn als mangelnder Respekt vor dem Alter ausgelegt wird. Also sitzen beide auf – nur um sich den Vorwurf der Tierquälerei einzuhandeln. Schließlich nehmen die beiden ihre ganze Kraft zusammen und tragen den Esel nach Hause …

Kurzum: Wir haben es hier mit fünf Möglichkeiten zu tun, den Weg vom Markt nach Hause zurückzulegen – und keine davon bleibt unbekrittelt. Eine allgemein anerkannte Lösung (i.S.v. ›von allen anerkannt‹) ist nicht in Sicht. Game over.

Wir können das Thema an dieser Stelle nicht ausleuchten. Nur so viel: Die „Entdeckung der Minderheit“ führt mit mathematischer Notwendigkeit dazu, daß sich immer irgendwer in seinem höchstpersönlichen „Für-richtig-halten“ (im weiteren Sinne also in seiner „Freiheit“) eingeschränkt fühlen wird. Immer, immer, immer. Und – das kommt erschwerend hinzu: Je mehr Minderheiten wir als solche anerkennen, desto krasser wird es werden mit der gefühlten Einschränkung der Freiheit. Sind wir nicht letztlich alle „Andersdenkende“?

Schon aus diesem Grunde hält Bolle die Idee für noch nicht ganz zuende gedacht. Was dann? Begnügen wir uns an dieser Stelle mit einem Verweis auf Do 28-01-21 Sozialisation. Wird schon? Oder Hohn? Ansonsten ist das dann wohl doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 18-03-21 Empörend verstörend

Stoa 1808.

Es ist aber auch verstörend – empörend verstörend. Klären wir zunächst die Begriffe: »verstören« meint svw. ›aus der Fassung bringen‹, aus dem „seelischen Gleichgewicht“ gar.  »Sich empören« ist dabei kaum mehr als die affektive Reaktion auf eine kognizierte Verstörung. Kurzum: das Weltbild wackelt.

Und? Wer ist schuld? Die wahrgenommene Wirklichkeit? Oder das Weltbild? Eigentlich sollte man ja meinen, daß sich das Weltbild, mit dem einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) durch sein Leben rennt, im Laufe der Zeit an der wahrgenommenen Wirklichkeit ausrichtet – von jugendlichen Flausen einmal abgesehen. Warum so rum, und nicht umgekehrt? Nun, es ist sehr viel naheliegender (und auch sehr viel aussichtsreicher), das Weltbild anzupassen. Die Wirklichkeit ist einfach zu tough für ein einzelnes „Köpfchen“, wie Mephistopheles das nennt.

Wenn da nur der belief in a just world (Lerner 1980) nicht wäre, der durch nichts zu rechtfertigende und jeder Empirie spottende Glaube, daß es im großen und ganzen „gerecht“ zugehe auf der Welt. Bolle meint: Den Zahn laß dir man ziehn.

Hier und heute ist es so, daß ausgerechnet Joe Biden, der 46. Präsident der Vereinigten Staaten, als Verstörungs-Trigger wirkt. Nach seiner „America first“-Ansage (vgl. dazu Fr 12-03-21 America first!) ballert er zur Zeit nach bester Cowboy-Manier gleichzeitig in Richtung Iran, China – und natürlich auch Richtung Russen. Kostprobe: Ein Journalist fragt: „So you know Vladimir Putin. You think he’s a killer?“ Von der Suggestiv-Frage mal abgesehen: „Sleepy Joe“ soll kurz und knackig, dabei aber alles andere als staatstragend oder auch nur diplomatisch, und überhaupt nicht schläfrig, schlicht mit: „I do.“ geantwortet haben. Mr Biden als upgrade von Mr Trump? Bolle meint: Den hamse woll als Kind zu heiß jebadet.

Immerhin: Die Empörung zur Verstörung, die affektive Reaktion also, ist bislang noch ausgeblieben. Warum? Nach allem und trotz allem sind die Amis doch die Guten – von wegen Weltbild. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 16-03-21 Null Toleranz!

Das optimale Leben.

An der Corönchen-Front ist mal wieder der Bär los. Es ist aber auch ärgerlich. Erst macht man das Volk über Monate jeden, wirklich jeden Tag mit den jeweils auf die Einerstelle genauen Inzidenz- und Todesfällen so richtig rappelig, um sie dann gezielt auf die nahende Rettung einzustimmen. Wahrlich, wir sagen Euch: Gehet hin und lasset Euch pieksen. Und Ihr werdet eingehen in das ewige Leben auf Erden. Bolle meint: Geht’s noch?

Und dann so was. „AstraZeneca tötet.“ Zwar hat das keiner so gesagt – aber so kommt es rüber. Wir hatten ja schon öfters mal angedeutet, daß es sich bei Corönchen zu einem guten Teil um ein sozialpsychologisches Phänomen handeln dürfte und weniger um ein virologisches. Aktuell scheint es so zu sein, daß sich beim Volk eine Art Frustrations-Reaktion einstellt. »Frustration« meint fachsprachlich die affektive Reaktion auf das Ausbleiben einer erwarteten Belohnung. Damit sind wir beim passenden Stichwort. Was erwarten die Leute? Sie erwarten offenbar, daß alles gut wird. So wie früher. Gelegentlich shoppen gehen, ab und an mal in ein Café, abends in die Kneipe oder ins Kino. Die Kinder morgens in die Schule schicken, damit man wenigstens den halben Tag lang seine Ruhe hat. Ins Büro dürfen – aus den gleichen Gründen. Gern auch mal ins Museum oder in ein Konzert. Unbeschwert reisen dürfen. Und so weiter, und so fort. Und all diese Erwartungen wurden an einem einzigen Punkt festgemacht: den „segenbringenden“ Vakzinen.

Und nun stellt sich, Wunder über Wunder, heraus, daß Vakzine eben nicht nur „segensreich“ wirken können, sondern gelegentlich, eher selten, höchst selten, auch Komplikationen mit sich bringen. Wir reden hier von zur Zeit 14 (in Worten: vierzehn) Fällen unter 10 Millionen. Mikro-Peanuts, im Grunde. Für eine ausgeprägte kollektive Frustrations-Reaktion aber anscheinend völlig ausreichend. Die Leute wünschen sich halt gerne „Das optimale Leben // Mit TÜV und Garantie“. Bolle meint: Habt Ihr mal einen Blick auf einen x-beliebigen Beipackzettel geworfen? Da bleibt wenig Raum für „Null Toleranz“. Keine Wirkung ohne mögliche Nebenwirkung – es sei denn, Ihr werft Euch wirklich nur noch Placebos ein. Und selbst da hätte Bolle so seine Bedenken. Indes: die Leute lesen ja nicht mal die Inhaltsstoffe beim Lebensmittel-Einkauf. Statt dessen begrüßen sie, wohl aus Gründen der kognitiven Sparsamkeit, den „Nutri-Score“. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

So 14-03-21 Licht am Ende der Trasse?

Licht am Ende der Trasse.

Dieser Tage wurde uns von höchster wissenschaftlicher Stelle verkündet, wir befänden uns, was Corönchen angeht, im letzten Drittel eines Marathons, und das sei bekanntlich das schwerste. Bolle meint: Na denn. Der Mann ist Wissenschaftler. Der muß es ja wissen.

Rechnen wir mal nach und gehen dabei davon aus, daß der „Marathon“ der Einfachheit halber ziemlich genau heute vor einem Jahr angefangen hat. Und nehmen wir an, daß das „letzte Drittel“ gerade eben erst begonnen habe. Sich „im letzten Drittel“ zu befinden, könnte ja durchaus auch heißen, daß man unmittelbar vor der Ziellinie steht. Aber das war sicherlich nicht gemeint von höchster Stelle. Demnach hätten wir also weitere sechs Monate „Marathon“ vor uns und würden die Ziellinie Mitte September erreichen. Na toll!

Dumm nur, daß Mitte September in unseren Breiten üblicherweise der Herbst beginnt: Grippezeit! Bolle findet es eher unwahrscheinlich, daß sich Corönchen ausgerechnet dann geschlagen geben wird. Aber wenn wir bis dahin doch alle „durchgeimpft“ sein werden? Vermutlich ist das gemeint. Von möglichen Mutanten, die nach dem „Hase und Igel“-Prinzip durchaus schneller sein könnten als die noch zu entwickelnden Vakzine, wollen wir hier einmal absehen. Reine Spekulation!

Schwerer wiegt folgendes: Es gibt Sportarten, die werden auf Zeit gespielt. So dauert ein Fußballspiel 90 Minuten, plus meist ein wenig Verlängerung und ggf. Nachspielzeit. Hier läßt sich also durchaus abschätzen, ob man sich „im letzten Drittel“ befindet oder nicht. Bei anderen Wettkampfarten, wie etwa Tennis, ist das aber nicht der Fall. Hier wird ergebnisorientiert gespielt – man braucht, um zu gewinnen, soundso viele Sätze Vorsprung vor dem Gegner. Das hat Konsequenzen. Das kürzeste offizielle Match, das Bolle bekannt ist, hat zum Erstaunen der Fachwelt nicht einmal eine halbe Stunde gedauert, das längste in einem Grand-Slam-Finale der Herren über 11 Stunden. Hier von irgendwelchen „Dritteln“ zu reden, in denen man sich befinden mag, ist demnach völlig sinnlos. Es dauert, solange es dauert.

Und? Wie ist es bei einem Marathon-Lauf? Hier wird sozusagen „auf Raum“ gespielt. Wir haben es weder  mit einer Spielzeit zu tun wie beim Fußball noch mit einem Spielstand wie beim Tennis. Es geht schlicht und ergreifend darum, die 42.195 Meter hinter sich zu bringen – und das möglichst schnell.

Und? Was hat Corönchen mit einem Marathonlauf zu tun? Nach allem rein gar nüscht. Es gibt keine Ziellinie – so sehr sich mancher die auch wünschen mag. Corönchen gleicht eher einem Tennismatch – und kann dabei, um im Bild zu bleiben, ein halbes Jahr dauern oder eben auch 11 Jahre. Aber laßt uns nicht hysterisch werden.

Was richtig schwer wiegt: Wir kennen aus der Sozialpsychologie den sogenannten »Halo-Effekt« als eine von mehreren möglichen Formen von Wahrnehmungsverzerrung. Der unmittelbare Eindruck, den eine Person (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) auf uns macht, umgibt die Person wie ein sozialpsychologisches „Kraftfeld“. Wer beim ersten Eindruck attraktiv wirkt, charmant ist und auch redegewandt, hat bei uns üblicherweise schon mal einen Stein im Brett und gute Chancen, mit allem, was er sonst so bringen mag, auf sprichwörtlich offene Ohren zu stoßen. Im Grunde ist das die Kernkompetenz aller Blender und Betrüger – was umgekehrt natürlich nicht heißen muß, daß jeder, der charmant rüberkommt, ein Blender oder Betrüger ist. Wichtiger ist die Feststellung, daß das „Kraftfeld“ auch nach hinten losgehen kann: Wer at first glance mit Unsinn um die Ecke kommt, hat’s schwer.

Wenn also einer herkommt und Corönchen mit einem Marathonlauf vergleicht statt mit einem Tennismatch, so führt das, zumindest bei Bolle, sofort und unmittelbar zu schwerem Punktabzug. Bolle glaubt so einem erst mal gar nichts mehr und wittert allenthalben Unrat. Das mag bei vertiefter Betrachtung unhaltbar sein und ungerecht, ist aber erst mal so – und letztlich auch schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 11-03-21 Sputnik-Schock 2.0

Sputnik-Schock 2.0.

Damals, 1957, war der Teufel los. Nur 12 Jahre nach dem Endsieg über Nazideutschland und mitten im damals so genannten Kalten Krieg hatten sich die Russen erfrecht, ein Flugobjekt in den Weltraum zu schießen und damit ein Leuchtfeuer technischer Kompetenz gezündet. Im freien Westen war seinerzeit allen Ernstes von „Sputnik-Schock“ die Rede. Die Russen: Nüscht anzuziehen, keen Dach überm Kopp – aber sich im Weltraum tummeln.

Zwar meinte Bolle damals schon, ein Begriff wie »Weltraum« sei ja wohl doch ein wenig sehr euphemistisch, wenn man sich die Proportionen auch nur grob vor Augen hält: Von der Erde bis zu einer Umlaufbahn braucht ein Lichtstrahl in etwa eine zehntel Sekunde. Bis zu unserer Sonne sind es immerhin schon gut 8 Minuten, und bis zu den Außenbereichen unseres Planetensystems, dem Kuipergürtel, fast 7 Stunden. Nun ist eine zehntel Sekunde im Vergleich zu 7 Stunden doch eher wenig. Mikro-Peanuts, sozusagen. Doch es kommt noch dicker: Bis zur nächsten Sonne um die Ecke, Proxima Centauri, würde unser Lichtstrahl schon über 4 Jahre brauchen. Soviel zum Thema »Weltraum«. Das allerdings hat damals keinen interessiert – und tut es wohl bis heute nicht.

Aber davon ab: Der Sputnik-Schock saß tief. So tief, daß der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, unbedingt bemannt zum Mond fliegen wollte, und zwar rucki-zucki, binnen eines einzigen Jahrzehntes – einfach nur um klarzustellen, wer hier Master of the Universe ist.

Und dann das mit den Atomkraftwerken. Als den Russen 1986 ihr Tschernobyl um die Ohren geflogen war, da hieß es im freien und fortschrittlichen Westen: Keen Wunder – sind halt Russen. Dumm gelaufen, war aber absehbar. Uns kann so was nicht passieren. Wir können schließlich Mond.

Erst als den Japanern, genau heute vor 10 Jahren, in Fukushima genau das gleiche passiert war, begann im Westen das große Flattern – allen voran bei den Deutschen: Ausstieg aus der Atomenergie sprichwörtlich über Nacht. Gerade erst beschlossene Laufzeitverlängerungen wurden, von einer Physikerin übrigens, über Nacht suspendiert – whatever it takes.

Und jetzt erfrechen sich die Russen, in Rekordzeit einen Impfstoff zu entwickeln, der anscheinend tadellos funktioniert – und allen Ernstes auch noch ›Sputnik‹ heißt. Zufall? Sprach-Design? Treppenwitz der Geschichte? Wir wissen es nicht.

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Wundert sich, daß einige Länder der EU – einschließlich Thüringen übrigens – lieber Sputnik „verimpfen“ als gar nicht impfen. Berichtet, daß kein Land der EU häufiger von „Falschinformationen“ aus Rußland betroffen sei als Deutschland – und führt das auf ein hierzulande unzureichendes Maß an Vorurteilen zurück. Zeigt sich befremdet, daß eine AfD-Delegation dieser Tage nach Rußland reist, um im Gespräch zu bleiben. Miteinander reden – das geht ja wohl gar nicht. Fragt sich, warum denn North Stream 2, fünf Minuten vor Fertigstellung, nicht doch lieber wieder eingestampft wird, um den Weg freizumachen für amerikanisches Fracking-Gas. Das ist zwar deutlich teurer und auch sehr viel umweltschädlicher. Dafür kommt es aber aus einem freien Land – und das ist ja wohl die Hauptsache für lupenreine Demokraten (vgl. dazu auch Fr 04-09-20 Die Recken des Rechtsstaates).

Kurzum: Die Rußland-„Skepsis“ (wie das neudeutsch neuerdings heißt) sitzt so richtig, richtig tief bei den „Eliten“ im Lande. Das scheint Bolle aber eher sozialpsychologisch bedingt und weniger geschichtlich. Die letzte ernstliche russische Invasion nach Europa liegt mittlerweile immerhin zwei- bis dreihundert Jahre zurück. Damals waren russische Adelige in Scharen in Pariser Cafés und Salons eingefallen, weil sie sich zuhause, zwischen Tundra und Taiga, einfach zu sehr gelangweilt hatten. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mi 03-03-21 Wolle mer se eroilosse?

Wolle mer se eroilosse?

Seinerzeit schon, vor über 50 Jahren, hatte sich Pippi Langstrumpf im Namen der Ideosynkrasie souverän nicht nur über die Mathematik bzw. Arithmetik an sich, sondern sogar über deren Axiomatik hinweggesetzt. Damals war das noch spaßig und erfrischend. Allerdings dürfte kaum ein Schüler (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) auf die Idee gekommen sein, das bei Pippi Langstrumpf gelernte im Rechenunterricht praktisch anzuwenden. Heute, 50 Jahre später, wird aus Spaß langsam Ernst. Wenn man den aktuellen Meldungen Glauben schenken darf, dann keimt in den USA, dem Land of the Free, allen Ernstes eine Debatte auf, die Pippi Langstrumpf locker in den Schatten stellt. Damit aber hätte der Ideosynkrasie-Virus eine Artengrenze übersprungen – vom Sozialen zum Formalen. Aber der Reihe nach.

Hier zunächst ein Beispiel für das Soziale: Wolfgang Thierse, der ehemalige Bundestagspräsident und SPD-Urgestein, hat neulich in einem Gastbeitrag in der FAZ beklagt, daß Debatten über Rassismus, Postkolonialismus und auch Gender-Sprech immer aggressiver geführt würden, und sich dabei über Cancel Culture eher kritisch geäußert. Auch sei Blackfacing nicht weiter bedenklich. Prompt zeigte man sich in der SPD-Spitze „beschämt“ über ein solch „rückwärtsgewandtes“ Bild, das so nicht länger zur Partei passen würde. Bolle meint: Woher wissen die eigentlich immer so genau, wo vorwärts und wo rückwärts ist? Und aus welcher Quelle speist sich eigentlich das Schamgefühl?

Hier nun das Formale. Anscheinend wird in den USA neuerdings ernstlich darüber debattiert, ob die Idee, daß  2 + 2 = 4 sei, nicht doch eher kulturelle Gründe habe, und nicht letztlich eine Folge von westlichem Imperialismus sei bzw. der Kolonisierung der Welt.

Dabei scheint sich die Virulenz bereits in einem fortgeschrittenem Stadium zu befinden: So heißt es in einem Rundbrief des Kultusministeriums (!) in Oregon, die Forderung an Mathematik-Schüler, in ihren Klausuren nur ein einziges, überdies auch noch möglichst zutreffendes Ergebnis vorzulegen, sei ein Zeichen „weißer Vorherrschaft“. Recht so, meint Bolle. Nieder mit den alten, weißen Männern und ihrer rassistischen Arithmetik – von Mathematik zu reden wäre hier wohl schwer übertrieben.

Bolle fragt sich ernstlich, ob er nicht vielleicht übertrieben stumpf ist bzw. zu wenig aufgeschlossen für neue Wege der Mathematik. Auch ist ihm klar, daß man eine Mathematik auch auf anderen Axiomensystemen aufbauen könnte. Weiterhin ist ihm allerdings auch klar, daß kein einziges dieser Axiomensysteme dazu führen würde, daß für ein und dieselbe Aufgabe mehrere „korrekte“ Lösungen möglich sind. Mehrere Lösungswege wohl – das aber ist hier offenkundig nicht gemeint. Und so kommt er nicht umhin, sich in Anspielung an einen running gag bestimmter Karnevalssessionen zu fragen, wer diese Leute reingelassen haben mag in die Uni oder ins Kultusministerium – und überdies ein Hygienekonzept zu fordern. Das aber ist vielleicht dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 27-02-21 Wahrheit ohne Klarheit

Wahrheit ohne Klarheit.

Neulich hat Bolle gehört, daß Corönchen in den USA jetzt schon mehr Tote „gefordert“ hat als der 2. Weltkrieg insgesamt. Krass. Ein glattes Faktum, das. Aber ist es auch „wahr“? Nun, nach Angabe des US-Veteranenministeriums belaufen sich die Weltkriegs-Toten auf 405.399. Die Corönchen-Toten dagegen belaufen sich auf bislang 507.800. Also wahr. Aber sind die 405.399 Weltkriegs-Toten wahr? Möglich, aber unwahrscheinlich. Warum? Nun, je genauer eine Zahlenangabe, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß irgendein Statistiker an irgendeiner Stelle irgendein Häkchen falsch gesetzt hat. Also „Fake News“? Strenggenommen Ja. Aber kommt es darauf überhaupt an? Natürlich nicht. Das aber ist keine Frage der Fakten – es ist eine Frage der Einordnung.

Was Bolle damit sagen will: Selbst auf der Ebene schlichter, unverbundener Zahlen kommen wir ohne Einordnung nicht aus. Die „nackten Fakten“ vermitteln allenfalls eine erste, ungefähre Orientierung – und bedürfen dringend der Interpretation. Interpretation aber ist eine höhere kognitive Funktion, eine Kunst geradezu, und mit keinem Taschenrechner der Welt zu bewältigen. Die Wahrheit läßt sich nun mal nicht ausrechnen.

Noch bedenklicher wird es, wenn wir nicht auf der Ebene schlichter, unverbundener Zahlen bleiben, sondern zum Beispiel den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen absoluten vs. relativen Zahlen einführen. Hier ergibt sich, daß bislang nur (?) 1,5 Promille der Amerikaner wegen Corönchen verschieden sind (507.800 geteilt durch 328 Millionen). Dem 2. Weltkrieg dagegen sind doppelt so viele, nämlich 3,0 Promille, zum Opfer gefallen (405.399 geteilt durch damals 132 Millionen). Wahr oder nicht wahr? Offenkundig wahr – paßt aber nicht zu unserem Ergebnis von oben. Was nun? Was tun? Wir kommen nicht drum rum: Schon wieder müssen wir einordnen bzw. interpretieren.

Mit den reinen „Fakten“ kommen wir keinen Schritt weiter. Und dabei haben wir erst die Ebenen „schlichte, unverbundene Zahlen“ bzw. „absolute vs. relative Zahlen“ abgehandelt – also voll die Froschperspektive.

Wie steht es um die „nackten Fakten“, wenn wir Attribution ins Spiel bringen – also die Neigung des menschlichen Gehirns, den Tatsachen Ursachen zuzuschreiben? Auch hierfür hat Bolle ein passendes Beispiel gefunden. In einem Beitrag einer an sich seriösen Zeitung heißt es, der Corönchen-Overkill, also der Zeitpunkt, da die Corönchen-Toten die Weltkriegstoten überschritten haben, sei justamente auf den Amtsantritt von Joe Biden gefallen. Fakt oder Fake? Könnte man als Fakt durchgehen lassen. Allerdings müßte man dann alles, was wir bislang gesehen haben, nonchalant ausblenden. Umgekehrt könnte man es also auch als subtile Form von Trump-Bashing durchgehen lassen. Das wäre nicht weniger wahr.

Richtig dumm wird es indes, wenn wir, viertens, „interessengeneigte Wahrheit“ ins Spiel bringen. Auch das ist alles andere als neu. Francis Bacon hat sich schon 1620, also vor nunmehr 400 Jahren, einschlägig geäußert: „Intellectus humanus luminis sicci non est; sed recipit infusionem a voluntate et affectibus, id quod generat Ad quod vult scientias.“ Übersetzen? Übersetzen. „Der menschliche Intellekt leuchtet nicht aus sich heraus. Vielmehr wird er von Wünschen und Leidenschaften gespeist – was dazu führt, daß wir es mit ›Wissenschaft ganz nach Wunsch‹ zu tun haben.“ Kurz und knapp: Wissenschaft wie’s g’rade paßt. Entsprechend können wir „Ad quod vult veritas“ (wörtlich: Wahrheit, wie man’s gerne hätte) knapp mit: „Wahrheit ohne Klarheit“ übersetzen.

Kurzum: Die nackten Fakten könnt Ihr knicken. Nice to have und als Grundlage unverzichtbar – aber ohne Einordnung bzw. Interpretation in keiner Weise zielführend. Warum dann das ganze doch eher unreflektierte „Fakten eintakten“? Nun, jeder tut, wie er kann, meint Bolle. Die solidere Erklärung: Menschliches Orientierungsbedürfnis, eines der kognitiven Grundbedürfnisse. Lieber irgendeinen Plan haben als gar keinen. Wer mag, mag dazu den kurzen Beitrag unter Sa 16-01-21 Wirklich wahr? nachlesen. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mi 17-02-21 Na, und denn — ?

Na, und denn — ?

Die Textstelle stammt aus Kurt Tucholskys bitter-süßem Gedicht »Danach«. Das ist auch schon wieder 90 Jahre her bzw. für alle, die kleine Zahlen und große Einheiten lieber haben, drei Generationen. Ja, passiert denn nie was wesentliches auf der Welt? Und so endet Tucholskys Gedicht auch recht nüchtern:

Der olle Mann denkt so zurück:
wat hat er nu von seinen Jlück?
Die Ehe war zum jrößten Teile
vabrühte Milch und Langeweile.
Und darum wird beim happy end
im Film jewöhnlich abjeblendt.

Vabrühte Milch und Langeweile. Herrlich. Bolle liebt es, wenn Dichter die Dinge auf den Punkt bringen. Zur Zeit tun wir so, als sei Corönchen – ein Begriff, der vielen nur als Determinativ-Kompositum und ohne Diminutiv, also ›Corona-Pandemie‹ über die Lippen gehen will – eine Ausgeburt des Leibhaftigen. Also nüscht wie weg – und zwar so schnell wie möglich.

Auch über den Weg zum „weg“ herrscht Einigkeit. Wir haben das an anderer Stelle einmal »Humans go Borg« genannt (vgl. Sa 09-01-21 Und? Wie geht’s weiter?). Na, und denn – ? Denn kieken wa ma. „Back to normal“ heißt die Devise. Which normal?, fragt sich Bolle. Aus den corönchenbedingten Staatsschulden wollen wir, wenn man den Verlautbarungen Glauben schenken darf,  mir nichts dir nichts mal eben „rauswachsen“. Na toll. Die Umwelt läßt grüßen – und Perspektive geht irgendwie anders.

Bolle hat es vor einiger Zeit unternommen, eine Liste zu erstellen mit allem, was uns seit längerem schon plagt, und ist dabei auf schlanke 19 Punkte gekommen. Auf zwei, drei Punkte mehr oder weniger kommt es hier nicht an. Das klingt im Grunde noch beherrschbar – geht aber wohl nicht ohne Plan. Hier Bolles abgespeckte Liste, gekleidet in drei grundlegende Fragen:

Erstens: Wie kann es sein, daß die Weltbevölkerung in toto so wenig kreislaufkritisch ist?  Die hervorstechendsten Punkte sind hier vor allem der Atommüll und, weit abgeschlagen, der Plaste-Müll. Zweitens: Wie kann es sein, daß die Weltbevölkerung in toto ernstlich glauben kann, daß dieser Planet Platz für 8 Milliarden Erdenbürger bietet? Und drittens: Wie können wir glauben, daß sich die zu lösenden Probleme auf dem Wege von Mehrheitsentscheidungen werden lösen lassen – wo uns doch die Nash-Gleichgewichte (übrigens ein weiterer Punkt auf Bolles Liste) regelrecht ins Gesicht springen? Wir werden darauf zurückkommen. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

So 14-02-21 Corönchen-Proportiönchen

Rechenschieber reicht. Allemal.

Bekanntlich hält Bolle ja nicht viel davon, wie das Kaninchen auf die Zahlenschlange zu starren – vor allem dann nicht, wenn sich die Schlange auf die Einerstelle genau aufplustert. Als ob Schlangen sich aufplustern könnten. Halten wir also einen Moment inne und werfen einen Blick auf die Proportionen. Bis heute sind, wenn man den Zahlen glauben mag, 64.990 Leute an Corönchen gestorben. Vor einem Monat, am 14. Januar, waren es 45.209. Demnach sind in den letzten 31 Tagen 19.781 Leute „an oder mit“ Corönchen gestorben. Das klingt auf den ersten Blick nach richtig viel – bedeutet pro Tag aber „nur“ 638. Nun ist es so, daß in Deutschland 82,8 Mio Leute leben, die im Schnitt (sagen wir) 82,8 Jahre leben. Das bedeutet, daß pro Jahr 1 Mio Leute sterben – so oder so. Conditio humana, eben. Pro Tag sind das 2.740. Wenn wir die Zahlen ins Verhältnis setzen, dann würde das bedeuten, daß zur Zeit fast ein Viertel aller Todesfälle (638 geteilt durch 2.740 = 23%) auf das Corönchen-Konto gehen. Bolle meint: Möglich, aber unplausibel. Selbst wenn wir davon ausgehen, daß die Corönchen-Toten samt und sonders zusätzlich sterben – wovon wir nach allem, was wir wissen, aber nicht ausgehen können – dann wären wir immer noch bei knapp einem Fünftel (638 geteilt durch die Summe aus 2.740 und 638 = 19%). Bolle hält auch das für noch nicht sonderlich überzeugend.

Eher deutet alles darauf hin, daß Corönchen weniger die Ursache der Todesfälle ist (egal ob „mit“ oder „an“) als vielmehr der Auslöser (neudeutsch: Trigger). Das wiederum könnte bedeuten, daß Corönchen in der Tat eher ein sozialpsychologisches Problem ist und weniger ein virologisches. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.