Mi 09-12-20 Das neunte Türchen …

Hier das 9. virtuelle Türchen …

Ein Spruch wie ein Hammer: Wumm! Und sitzt! In Zeiten wichtigtuerischer „Lebensretter“ – als ob man Leben jemals „retten“ könnte: man kann es allenfalls verlängern –, in Zeiten hysterisch-hybriden Corönchen-Hypes, der auch vor den Pfaffen nicht haltmacht – vergleiche dazu etwa das von manchen System-Sexarbeitern („Huren“ oder „Nutten“ soll man ja nicht mehr sagen) regelmäßig sonnabends zu später Stunde ausgestrahlte „Wort zum Sonntag“ – in solchen Zeiten tut es gut, Freunde wie Bolle zu haben. Welch erfrischende Perspektive auf das Sein an sich. Daß Bolle es mit der kanonischen Orthographie nicht immer allzu genau nimmt, wenn seiner Ansicht nach der Ästhetik der Vorrang gebührt: geschenkt. Leute, macht Euch doch mal klar: Wir alle waren die letzten 13,8 Milliarden Jahre nicht existent, davor – als es noch gar keine Zeit gab – waren wir ebenfalls nicht existent. Und in den kommenden Jahrmilliarden werden wir wiederum nicht existent sein – „töt“ eben, wie Bolle das nennt. Genießen wir die klitzekleine Spanne, die wir haben. Viel ist es wirklich nicht – egal, ob wir 50 werden, 60, 70, oder auch 100. Genießen wir das vor allem in der Adventszeit – der Zeit also, in der ein wenig Raum zur Besinnung (vornehm: Kontemplation) bleibt oder zumindest bleiben sollte (egal, ob Christenmensch oder nicht / vergleiche dazu nicht zuletzt auch das 4. Türchen). Wir werden auf das Thema zurückkommen. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Di 08-12-20 Das achte Türchen …

Hier das 8. virtuelle Türchen …

Hier finden wir, einmal mehr, Original und Abklatsch – sozusagen das O&A der vom Fuße auf den Kopf gestellten Flach-Welt. Massenmedial eingebürgert hat sich „Denn erstens kommt es anders // Und zweitens als man denkt.“ Aber machen wir uns nichts vor: Im Vergleich zum Original kann das nur Abklatsch sein. Wo genau liegt der Unterschied? Fassen wir es so: Es geht um Feinheiten …, es geht um Stil …, es geht um Ästhetik …, es geht um, neudeutsch, „feeling“. Muß man nicht verstehen – könnte man aber. Wie heißt es doch, zeitlos klassisch, Faust zu Wagner: Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Mo 07-12-20 Das siebte Türchen …

Hier das 7. virtuelle Türchen …

Es könnte alles so einfach sein, meint Bolle. Menschen haben – neben ihren physiologischen Bedürfnissen wie essen, trinken, schlafen, und so weiter – auch kognitive Bedürfnisse. Eines davon ist das Problemlösungsbedürfnis: Es fühlt sich gut an weiterzukommen. Der „ehrwürdige Meister Kong“ (Kong Fu Zi bzw., latinisiert, Konfuzius) wußte das schon vor 2.500 Jahren. Höchste Zeit, daß auch die Pädagogen der Neuzeit das langsam mal zur Kenntnis nehmen. Wir können also – und tun das ja auch überwiegend – den „Stoff“ in „Module“ und „Lerninhalte“ zerschreddern, um abschließend den „bausteinbezogenen Qualifikationsstand [zu] messen“. „Listen-Lernen und wieder auskotzen“ nennt Bolle das. Wir könnten aber auch, und zwar sehr viel geschmeidiger und vor allem fruchtbarer, „Lernen als Leistung“ durch „Lust am Lernen“ ersetzen – und zwar ersatzlos und rückstandsfrei. Brauchen wir dazu übertriebenen Digital-Schnickschnack? Natürlich nicht.

Daß die Schredder-Technik nicht unbedingt Sinn macht, war nicht nur Konfuzius klar, sondern, unter vielen anderen, zum Beispiel auch Goethe, dem Dichterfürsten. In seinem Faust I (Zeile 1936-1939) läßt er Luzifer in Gestalt des Mephistopheles luzid ablästern:

Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist herauszutreiben,
Dann hat er die Teile in seiner Hand,
Fehlt, leider! nur das geistige Band.

Zur Erhellung hier ein kleiner Mikro-Dialog, wie er sich in einer Mathematikstunde allen Ernstes zugetragen haben soll:

Schüler: Wozu brauchen wir das?
Lehrer: Keine Ahnung. Steht so im Lehrplan.

Na toll. That leaves no room for discussion, indeed. Könnte das, bitteschön, mal jemand den Lehrenden dieser Welt – von der Kita bis zur Uni – beibiegen? Wäre langsam an der Zeit. Aber das ist ein anderes Kapitel.

So 06-12-20 Das sechste Türchen — Nikolausi …

Hier das 6. virtuelle Türchen …

Eigentlich dachte Bolle ja immer, Demokratie sei die Herrschaft des Volkes. Da ist er wohl, wie’s scheint, seiner humanistischen Grundausbildung auf den Leim gegangen. Da lernt man zwar die ein oder andere altgriechische Vokabel – wie etwa demos ›Volk‹ und kratein ›herrschen‹ – aber leider nicht allzu viel über formale Logik und auch nicht über praktische Plausibilität. Was, wenn das  Volk „gespalten“ ist? Was, wenn es ausländischer Propaganda auf den Leim geht? Oder inländischer? Verschwörungstheorien? Was, wenn es überhaupt das „falsche Bewußtsein“ hat? Kann alles nicht sein? Kann es wohl! So geht es also nicht. Schon deshalb nicht, weil es „das Volk“ in dieser Klarheit nun mal ohnehin nicht gibt. Da war Rousseau, einer der Vordenker der französischen Revolution, 1755 (also vor stolzen 265 Jahren) schon weiter, als er fein säuberlich zwischen „allgemeinem Willen“ (volonté générale), der „Summe der Einzelinteressen“ (volonté de tous) und dem „Willen der Mehrheit“ (volonté de la majorité) unterschieden hat.

Der „Wille der Mehrheit“ ist klar – auch wenn er hin und wieder alberne Züge annehmen kann. Wenn eine handvoll Leute mehr für den Brexit sind, dann heißt es, „die Briten“ hätten „für den Brexit“ gestimmt. Wenn eine handvoll Leute mehr für „Sleepy Joe“ sind, dann heißt es, „die Amerikaner“ hätten „Donald Trump abgewählt“. Kann man so sehen – muß man aber nicht. Auf keinen Fall aber sollte man dem Volk den „Willen der Mehrheit“ als den „Willen des Volkes“ verkaufen. Etwas komplizierter ist das schon. Die „Summe der Einzelinteressen“ dagegen ist schon rein mathematisch nicht definiert. Excusez-moi, M. Rousseau.

Beim volonté générale schließlich, dem dritten Begriff aus Rousseaus Dreifaltigkeit, wird es endlich richtig weihnachtlich – oder doch zumindest richtig religiös. Der Begriff stammt aus der katholischen Gnadenlehre. Damals – 100 Jahre vor der Französischen Revolution – ging es um die Frage, ob ein allmächtiger Gott seine Schäfchen mit „absolutem Willen“ (volonté absolue) im Griff habe – was jegliche Willensfreiheit besagter Schäfchen per se ausschließen würde – oder ob sich der allmächtige Gott nicht vielmehr mit einem „allgemeinen Willen“ (volonté générale) bescheiden würde – was den Schäfchen immerhin einen gewissen Spielraum in puncto Willensfreiheit ließe.

Übertragen auf die weltliche Bühne würde das bedeuten, daß das Volk seiner Regierung einen gewissen Spielraum in ihrer Willensbildung einräumt. Nicht weiter brauchbar, aber durchaus raffiniert. Chaupeau, M. Rousseau. Bei so viel Entgegenkommen können wir auch gleich auf Bolles Umschreibung zurückgreifen: Demokratie ist die Herrschaft der Guten. Und wer die Guten sind, entscheidet … die Regierung, of course. So wird ein Schuh draus. Viel Spaß beim Nüsseknacken.

Sa 05-12-20 Das fünfte Türchen …

Hier das 5. virtuelle Türchen …

Bolle hegt unverhohlen eine gewisse Sympathie gegenüber manchen chinesischen Lebensweisheiten. Von der Weihnachtszeit inspiriert hat er bei Lukas 10, 25-37 nachgeschlagen und ist auf folgendes gestoßen: Ein Schriftgelehrter wollte wissen, was er tun müsse, damit er „das ewige Leben ererbe“? Vom Meister getriggert, fiel ihm die Antwort selber ein: Er müsse Gott, seinen Herrn, lieben von ganzem Herzen und seinen Nächsten wie sich selbst. Um sein Gesicht zu wahren und doch noch etwas Kluges zu äußern, setzte er nach: „Definiere Nächster“ – woraufhin der Meister mit der Geschichte vom barmherzigen Samariter ein Gleichnis zum Besten gab. Hier der Sachverhalt in Kürze: Ein, so wörtlich, „Mensch“ kam auf Reisen unter Räuber und blieb „halbtot“ im Graben liegen. Nachdem ein Priester und ein Levit – also „echte“ Juden – vorbeigezogen waren, ohne sich zu kümmern, war es ausgerechnet ein Samariter – also ein Mitglied einer aus jüdischer Sicht abtrünnigen Sekte – der sich schließlich des „Menschen“ annahm, Erste Hilfe leistete und aus eigener Tasche („zwei Groschen“ mit der Option auf Erstattung weiterer anfallender Kosten) einen Herbergsvater mit der nötigen Pflege beauftragte.

Um das Gleichnis auf den Punkt zu bringen: „Nächster“ ist nach des Meisters Definition also buchstäblich jeder – noch allgemeiner als einfach nur „Mensch“ kann man sich nicht fassen. Statt also dreimal vor der eigenen Tür zu kehren – was auf Reisen auch nicht ganz einfach sein dürfte – hat sich der Samariter darangemacht, die Welt zumindest im Kleinen ein klein wenig zu verbessern. Liegen die Chinesen mit ihrem Sprichwort also falsch? Die meisten Leute, die Bolle kennt, würden „gefühlt“ mit dem Samariter sympathisieren. Ob sie sich, wenn es zum Schwur kommt, auch entsprechend verhalten würden, ist eine andere Frage.

Eng wird es erst, wenn wir das Gleichnis lebenswirklich erweitern und uns vorstellen, daß da nicht ein Mensch im Graben lag – sondern derer zehn, hundert oder auch tausend. Hier würden die meisten, wenn auch vielleicht unwillig, einräumen müssen, daß es wohl doch so etwas wie den „Vorbehalt des Möglichen“ (so nennt es das Bundesverfassungsgericht) gibt. Was also tun als Samariter auf verlorenem Posten? Ein zerknirschtes „Shit happens“ murmeln? Gott zürnen? Bloß nicht – das geht absehbar in die Hose. Sich demütig mit Psalm 95, 4 trösten (sinngemäß: „Das liegt in Gottes Hand“)? Oder, umgekehrt und hoch-modern, diesseitig-hybrid nach dem Staat rufen, auf daß er’s bitteschön richten möge?

Bleiben wir sachlich und auch ein wenig versöhnlich und wagen wir eine Übersetzung: (1) Kenne Deine Grenzen, (2) Halte aus, was Deine Grenzen sprengt, und (3) Mache den ersten Schritt möglichst vor dem zweiten. Damit wäre schon viel gewonnen. Vor allem mit dem Aushalten haben Bolles Zeitgenossen nach seiner Einschätzung ihre liebe Not. Im Alten Testament ist man da übrigens noch sehr viel pragmatischer: So heißt es im 5. Mose 23, 20 f.: „Du sollst von deinem Bruder nicht Zinsen nehmen, weder mit Geld noch mit Speise noch mit allem, womit man wuchern kann. Von dem Fremden magst du Zinsen nehmen, aber nicht von deinem Bruder […]“. Von „Jeder ist Dein Bruder bzw. Dein Nächster“ und somit gleich „liebenswert“ ist hier realistischerweise noch keine Rede. Wie auch? Übrigens: Morgen ist Nikolausi – auch das war so einer, der nicht immer nur vor seiner eigenen Tür gekehrt hat. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Fr 04-12-20 Das vierte Türchen …

Hier das 4. virtuelle Türchen …

In diesen Tagen wissen zumindest die Christenmenschen ausnahmsweise ganz genau, wo sie hinwollen. Direktemang in Richtung Weihnachtsfest – was sonst? Auf Tucholskys nur zu treffendem  „Na, und denn –?“ (zweites Türchen) wollen wir an dieser Stelle nicht weiter rumhacken. Obwohl: ganz von der Hand zu weisen ist die Nähe zum „Meister am Steilhang“ dann aber auch wieder nicht (erstes Türchen). Wie wir leicht erkennen können: Zwar hängt nicht alles mit allem zusammen – aber durchaus vieles mit vielem. Hermann Hesse hat das schon 1943 in einer wunderschönen Wendung „Glasperlenspiel“ genannt – und nicht weniger als 613 Seiten gebraucht, um dem geneigten Leser darzulegen, daß das „besinnungslose Leben“ (vita activa) unbedingt durch gelegentliche Zeiten der Besinnung (vita contemplativa) bereichert werden sollte. Was böte sich da eher an als ein corönchenbedingtes slow down? Kurzum: Die Christenmenschen nennen es Zeit der Ankunft („Advent“). Wer mag, mag was draus machen, wenn er kann. Egal, was er sonst so glauben mag – oder eben auch nicht.

Do 03-12-20 Das dritte Türchen …

Hier das 3. virtuelle Türchen …

Sich zu fürchten – bzw. gar Panik zu schieben – scheint offenbar so eine Art Grundstimmung menschlicher Existenz zu sein. Kann aber auch viel schiefgehen im Leben – von biblischen Zeiten bis hin in die unendlichen Weiten des Universums. Kümmern wir uns besser um das Naheliegende: Bolle hat recherchiert und anhand einer recht seriösen Quelle herausgefunden, daß „Fürchtet Euch nicht“ (einschließlich der Singular-Form „Fürchte Dich nicht“) im Alten Testament knapp drei mal so oft vorkommt wie im Neuen (94 zu 32 Textstellen). Offenbar war Jesus von Nazareth (oder, wie er ursprünglich wohl hieß: Jeshua Ben Joseph) von Haus aus kuscheliger und weniger furchterregend: Typ „Netter Chef“ – wie wir das heute nennen würden. Die Ansicht der Gelehrten ist damit allerdings zumindest ein wenig irreführend. Ebenso gut bzw. sehr viel eher noch könnte das nämlich auch der Leitsatz des Alten Testamentes sein. Übrigens: Jeshua Ben Joseph war zeitlebens Jude. Vielen Christenmenschen ist das nicht bewußt. Sei’s drum. Schließlich ist das ein anderes Kapitel.

Mi 02-12-20 Das zweite Türchen …

Hier das 2. virtuelle Türchen …

Bolle findet, dieser Sinnspruch — von keinem geringeren als dem Mathe-Superstar Carl Friedrich Gauß — greift tiefer als man auf den ersten flüchtigen Blick vermuten könnte. Vor allem aber schließt er sich an das „Türchen“ von gestern an: Es kommt, wie mancher Yoga-Novize vielleicht meinen mag, eben nicht darauf an, oben auf dem Gipfel rumzulümmeln. Wer dem Aufstieg nichts abzugewinnen vermag, wird sich auf dem Gipfel absehbar nur langweilen. „Instant fun“ ist ähnlich unbefriedigend wie „No fun at all“. Aber im Grunde muß das jeder (beider- bzw. vielerlei Geschlechts, of course) mit sich selber ausmachen. Nur möchte Bolle hinterher keine Klagen hören. Ist schon kompliziert mit der Kunst, froh zu leben …

Auch paßt der Sinnspruch gut in die Adventszeit der Christenmenschen. Was, bitteschön, ist denn der Sinn eines Adventskalenders — wenn nicht, sich des „Hinkommens“ (wie Gauß das nennt) bewußt zu werden? „Na, und denn —?“ (wie Tucholsky sich in „Danach“, einem bittersüßen Gedicht von 1930, schon gefragt hat). Na, denn kieken wa ma …

Di 01-12-20 Das erste Türchen …

Hier das 1. virtuelle Türchen …

Wir wollen — und zwar gleich zu Beginn der Adventszeit — nicht vergessen, daß Jesus, der Heiland der Christenmenschen, mitnichten der einzige ist, der versucht hat, ein wenig Licht (oder zumindest ein wenig bessere Laune) in dieses Jammertal zu bringen.

PS: In „Corönchen-Zeiten“ wäre es vielleicht nicht ganz unangebracht, die letzte Zeile dem Zeitgeist anzupassen:

Hört Ihr? Er hustet.

Das würde dem ganzen sowohl sprachlich als auch inhaltlich zusätzlichen Schwung verleihen — und das ist ja schließlich Sinn und Zweck von Aphorismen. Das aber soll jeder (beider- bzw. vielerlei Geschlechts, of course) mit sich selber ausmachen …