So 16-06-24 Ein Hauch von Hollywood

Entrückt zerpflückt …

Nachdem wir letzten Sonntag auf das Wahlspektakel eingegangen waren, kann es nicht schaden, einen Blick auf das Ergebnis zu werfen. Erst wurde gewählt, dann wurde gezählt – und schließlich gab es lange Gesichter.

Unser Schildchen heute bezieht sich übrigens auf Josua Eiseleins ›Sprichwörter und Sinnreden‹ (1840). Dort heißt es: Mancher auf Stelzen ist für die Sache dennoch zu kurz (vgl. dazu Sa 02-01-21 Hype und Hybris).

Bolle meint, das läßt sich noch toppen. Für eine Sache „zu kurz“ zu sein, läßt sich ja durchaus noch sachlich verstehen: Einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) kann es einfach nicht. Das allein dürfte mächtig am Selbstwertgefühl kratzen. Ein kluger Mensch würde es mit Jesus Sirach halten und nicht nach dem streben, was nun mal zu hoch für ihn ist. Weniger kluge Leute – oder Leute, die gerade keine katholische Bibel zur Hand haben – reagieren anders: sie entrücken.

Was ist der Unterschied? Entrückt zu sein, heißt nicht nur, daß man für die Sache zu kurz ist – daß man es also schlichtweg nicht kann. Zudem schwebt der Geist des Entrückten in höheren Sphären und glaubt ganz dolle daran, daß doch alles seine Richtigkeit habe mit den Bestrebungen. Allein das Volk könne dem noch nicht ganz folgen. Folglich müsse man ihm die Dinge besser erklären, man müsse „die Menschen draußen im Lande“ mitnehmen in die Schöne Neue entrückt-verzückte Welt. Die Talkshows sind voll von derlei.

Übertrieben? Leider wohl nicht. Vor knapp einem viertel Jahrhundert war die Polit-Prominenz auf die grandiose Idee verfallen, die EU binnen zehn Jahren zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Passiert ist seitdem wenig – wenn überhaupt. Bolle war seinerzeit allein das „binnen zehn Jahren“ süß-säuerlich aufgestoßen. In dem Zeitraum kriegen die üblicherweise nicht mal eine Kita geplant und gebaut.

Bolle muß da immer an Churchill denken, der seinerzeit gemeint haben soll: Wie toll auch immer Deine Pläne sein mögen. Gelegentlich solltest Du einen Blick auf die Ergebnisse werfen.

Das allerdings geht sehr viel leichter, wenn man seiner Sache nicht allzu entrückt ist. Ansonsten bleibt wohl nur die Flucht ins Manichäische: Es gibt die Guten – zu denen man selbst selbstredend gehört. Und es gibt die Bösen, die einfach nicht hören wollen, was die Guten sagen, und die nicht folgen wollen, wenn die Guten munter voranpreschen. Dazwischen gibt es wenig – beziehungsweise rein gar nichts. Bolle findet in der Tat, das hat was von Hollywood.

Und so ist es nur natürlich, wenn sich die Guten unverbrüchlich gut finden, von den Bösen aufs Übelste bedroht und sie, falls nötig, „mit der ganzen Härte des Rechtsstaates“ zu bekämpfen trachten. Daß aber das Volk der Souverän ist – und nicht etwa die Guten im Lande – kann dabei leicht in Vergessenheit geraten. Das zeigt sich übrigens nicht zuletzt in so verräterischen Wendungen wie „unsere Demokratie“. Here’s a flash: Das ist mitnichten Eure Demokratie. Die Demokratie gehört – falls überhaupt irgendwem – dem Volk. Und was das Volk damit macht, ist ganz und gar nicht Euer Bier. Ihr seid Diener des Volkes – und keine Häuptlinge. Das hat schon Friedrich Zwo so gesehen. Und so steht es übrigens auch in der Verfassung (Art. 20 II S. 1 GG), sogar mit „Ewigkeitsgarantie“ (Art. 79 III GG). Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 09-06-24 Erst wählen, dann zählen

Auf, auf, Marsch, Marsch!

Gestern war Bolle bummeln zwischen Wochenmarkt und Konsumtempel. Derlei bietet sich schließlich an – des Sonnabends in der Früh. „Hier“ – streckte sich ihm eine Hand entgegen. In der Hand eine Handreichung zur heutigen Europawahl von irgendeiner Partei. Last-minute-Wahlkampf, ging es Bolle durch den Kopf, noch ehe die Hand ganz ausgestreckt war. Auch an Rilkes Herbsttag (1902) mußte er kurz denken: Wer jetzt gemein ist, wird es lange bleiben. „Mit Verlaub, junger Mann, aber Ihre Partei ist so ziemlich das letzte, was ich wählen würde.“ Der junge Mann indes zeigte sich professionell: „Das mag ja sein. Aber wichtig ist, daß Sie überhaupt wählen gehen.“ Dabei sind solche Empfehlungen zur rechten demokratischen Gesinnung natürlich nicht gerade das, was Bolle am frühen Morgen zu goutieren weiß – noch dazu von einem jugendlichen Jungspund. Aber Schwamm drüber. Immerhin wurde er nicht aufdringlich.

Zwei Dinge gingen Bolle durch den Kopf. Erstens: Wer am Vorabend einer Wahl noch nicht weiß, was er wählen wird, ist im demokratischen Gefüge vermutlich völlig falsch. Die Parteien – egal welche – hatten jahrelang Zeit, die Welt und vor allem die Wähler davon zu überzeugen, daß ihre Richtung die richtige ist. Wozu dann Wahlkampf auf den letzten Drücker? Umgekehrt gewendet: Wer am Vorabend einer Wahl immer noch umworben werden will, der sollte sich vielleicht fragen, ob er das nächste mal nicht vielleicht besser aufpassen mag und sich im Laufe der Zeit eine fundierte Meinung bilden möchte? Zweitens: Die aufrechten Demokraten brauchen ihr Wahlvolk wie der Pfaffe (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) seine Schäfchen. Schließlich muß alles seine gute Ordnung haben. Määh! Und in der Tat hat sich ›Demokratie‹ im Laufe der Zeit derart moralisch aufgeladen, daß sie nachgerade das Unterscheidungsmerkmal geworden ist zwischen den Guten und den Bösen. Schließlich gilt so manchem Hülsenfrüchtchen: Demokratie ist die Herrschaft der Guten (vgl. dazu So 06-12-20 Das sechste Türchen — Nikolausi …). Also tut man gut daran, ganz dolle daran festzuhalten. Also Hauptsache wählen gehen, wie der Jungspund meinte. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel: So gilt etwa die Deutsche Demokratische Republik bis heute manchem als nicht wirklich demokratisch – obwohl der Name doch Programm sein sollte. Auch so manche „lupenreine Demokratie“ hat es wahrlich nicht immer leicht, von manchen als solche anerkannt zu werden. Umgekehrt sei hier an Jonas Jonassons ›Der Hundertjährige‹ (2009) erinnert und dabei an Amanda Einsteins ›Liberaldemokratische Freiheitspartei‹ – wo sich ihrer Ansicht nach die drei Begriffe „liberal“, „demokratisch“ und „Freiheit“  in einem solchen Zusammenhang doch sehr gut machten. Wer es etwas gründlicher mag, sei auf unsere fünfteilige Trilogie unter dem Schlagwort ›Schrat und Staat‹ verwiesen. Dabei empfiehlt es sich, chronologisch aufsteigend zu lesen – also umgekehrt wie angezeigt. Dort steht eigentlich alles, was man zur Vorbereitung auf die Stimmabgabe wissen muß – nicht zuletzt zum Stichwort ›Partizipations-Placebo‹.

Abschließend unterbrochen und ins zen-mäßige gewendet wurde der Gedanken Blässe schließlich am Erdbeerstand. Wie süß sie schmeckten! Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 02-06-24 Stramm auf Linie

Wahrlich ich sage Euch …

Heute können wir festhalten, daß der Wonnemonat Mai schon wieder zuende ist. Wir haben Juni. Das scheint – zumindest der üblichen Übereinkunft entsprechend – wahr zu sein. Allerdings handelt es sich hierbei auch um nichts Weltbewegendes. Heute ist halt der 2. Juni. So what?

Die Wahrheit, die ganze Wahrheit, und nichts als die Wahrheit – wie es bei Zeugenvernehmungen mitunter heißt, ist deutlich schwieriger zu fassen. Theoretisch streng genommen gar nicht (vgl. dazu unseren Beitrag von letzter Woche: So 26-05-24 Das bessere Argument). Was natürlich den Journalismus 2.0 – und hier in allererster Linie die sogenannten Faktenchecker – nicht davon abhält, sich selbst für im Inbegriff der reinen Wahrheit zu wähnen. Schließlich, so heißt es dann etwa, habe eine Studie selbiges ergeben. Ohne greifbare Studie tut es durchaus auch ein „Experte“, der im Gewande des Wissenschaftlers seine Meinung – mehr ist es meist nicht – als unumstößliches Faktum zum Besten gibt.

Wie wir ja wissen, gibt es immer vier Möglichkeiten. Man hält etwas für wahr – und die meisten anderen tun das auch (A1). Sozialpsychologisch unproblematisch. Ebenso verhält es sich mit B2. Interessant sind allein die Fälle A2 (Verschwörungsopfer) und B1 (Verblödungsopfer). Woher – das ist hier die Frage – nehmen die Linientreuen, also die A1-ler, ihre Zuversicht, daß sie im Vollbesitz der reinen Wahrheit sind und jeder, der die Dinge anders sieht, folglich (!) ein Verschwörungsopfer sein muß? Soviel Chuzpe muß man erst mal aufbringen. Bolle vermutet, daß das was mit kognitiver Kapazität zu tun hat. Aktuell etwa zeigt sich – langsam, aber immer sicherer –, daß so ziemlich alles, was uns während der Corönchen-Hysterie als reine Wahrheit aufgetischt wurde, sich als alles andere als wahr erwiesen hat. Die angeblichen Verschwörungsopfer hatten – leider kann man das kaum anders sagen – durch die Bank Recht.

Daraus könnte man was lernen. Könnte. Tut man aber nicht. Zur Zeit werden uns stramm linientreu die nächsten ultimativen Wahrheiten aufgetischt. Und jeder, der das nicht glauben mag, ist ein Verschwörungsopfer, of course.

Im Grunde könnten – beziehungsweise sollten sogar – an dieser Stelle irgendwann mal Lernprozesse einsetzen. Tun sie aber nicht. Das übrigens ist ein Punkt, der sehr für Bolles ›Mangelnde kognitive Kapazität‹-Theorem spricht.

Übrigens scheint es so zu sein, daß die Leute, die so verbissen an ihrem Zipfelchen Wahrheit hängen – beziehungsweise dem, was sie dafür halten –, genau die gleichen Leute sind, die völlig humorabstinent durchs Leben laufen. Beides nämlich scheint eine gewisse mentale Offenheit vorauszusetzen, die einem in diesem Universum leicht flötengehen kann. Um das zu erläutern, müßten wir unser Wirklich-Wahr-Schema allerdings auf 9 Felder erweitern (vgl. dazu etwa Fr 10-12-21 Das zehnte Türchen …). Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 26-05-24 Das bessere Argument

Die Welt in nuce

Man hat es wirklich nicht leicht. Aber umgekehrt kann es furchtbar leicht passieren, daß es, tout au contraire, einen hat. Wie nicht zuletzt in unserer kleinen Veranschaulichung der ganz grundsätzlichen Gegebenheiten einer Welt in nuce (im Nußschälchen, sozusagen) zu sehen ist.

Bei Welt I handelt es sich, in Wittgensteins Worten, um „alles, was der Fall ist“ – also wirklich einfach alles. Damit ist Welt I ebenso vollständig wie undurchsichtig. Eine black box also im besten Sinne des Wortes. Man kann handelnd auf sie einwirken und man kann, in Welt II, ihre Reaktionen wahrnehmen. Man kann aber nicht reingucken – und damit niemals wirklich wissen, wie es um sie steht. Im übrigen würde einem, wenn man es doch könnte, vermutlich unversehens der Schädel platzen.

Bei Welt III handelt es sich um das Weltbild, das einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) mit sich durchs Leben trägt und das sein Handeln, also seinen Umgang mit der Welt, bestimmt. Das Ziel ist dabei regelmäßig eine Zustandsverbesserung bzw. zumindest die Vermeidung einer Verschlechterung. Ökonomen nennen derlei Nutzen- bzw. Gewinnmaximierung, Max Weber nennt es Gesinnungs- bzw. Verantwortungsethik, wieder andere nennen es neuerdings Self-Optimization, und so weiter, und so fort.

Wie kommt die Welt III zustande? Nun, im Grunde ist sie das Destillat aller jemals wahrgenommenen und in erwünscht (W+) bzw. unerwünscht (W) eingeteilten und bewerteten Sinneseindrücke in Welt II. Welt III ist also das Ergebnis einer Modellierung und verläuft obendrein überwiegend unbewußt. Gleichwohl neigen die meisten Leute dazu zu meinen, die Welt sei nun mal so – nur weil sie sie sich so ausgedacht haben.

Nehmen wir – weil es dieser Tage naheliegt – die Wahlen zum EU-Parlament. Die einen halten die EU für einen dysfunktionalen Hirnfurz, der von Anfang an nie hat funktionieren können, tatsächlich noch nie funktioniert hat und auch zukünftig niemals funktionieren wird. Andere wiederum halten, tout au contraire, die EU für eine hochwohllöbliche Angelegenheit, die es nach Kräften zu stärken gelte.

Da beide Positionen nur schwerlich in Einklang zu bringen sind, befehden sich die Vertreter beider Lager bis aufs sprichwörtliche Messer und sprechen einander wechselweise den nötigen Verstand ab beziehungsweise zumindest die Fähigkeit, derlei überhaupt beurteilen zu können.

Und? Wer hat Recht? Die Antwort ist ebenso schlicht wie ergreifend: Wir wissen es nicht. Bei Geschichte im Allgemeinen und der EU im Besonderen handelt es sich um einen Such- und Finde-Prozeß mit völlig offenem Ausgang. Was funktioniert, hat Recht. Was nicht funktioniert, mendelt sich aus – und sei es noch so moralisch hochstehend. Letzteres wiederum würden manche als „Sozialdarwinismus“ weit von sich weisen wollen. Auch hier also wieder: Welt III in voller Aktion.

Was die Leute allerdings nicht davon abhält, sich auf die Suche nach dem „besseren Argument“ zu begeben – als ob man jemanden, der nun mal in einer alternativen Welt III lebt, ausgerechnet mit Argumenten eines Besseren belehren oder gar bekehren könnte.

Neulich etwa hat eines dieser Faktenchecker-Portale – das sind Leute, die meinen, daß man die Wahrheit ausrechnen und erkennen kann, wenn einem nur genügend Fakten vorliegen – eine KI gefragt, ob ein gegebenes Land eine „Diktatur“ sei. Die Antwort der KI: das hänge von der Definition ab. Da war natürlich die Empörung groß. Man gibt sich alle Mühe und zimmert sich in seiner Welt III die Vorstellung zurecht, daß besagtes Land selbstverständlich eine Diktatur sei und bittet dann eine KI – wohl eher teils der Form, teils der Bestätigung halber – um entsprechende Rückmeldung. Und dann sowas. Das hänge von der Definition ab. Da muß man sich ja verärgert fühlen. Alternativ könnte man allerdings noch auf die Idee kommen, daß man selbst sich möglicherweise eine allzu schlicht gestrickte Welt III zusammengezimmert hat. Das aber wäre dann doch wohl viel zu schmerzlich. Also besser auf der KI rumhacken. Das fühlt sich zumindest besser an.

Bolle fühlt sich hier übrigens entfernt an Alan Turing erinnert, der seinerzeit meinte: Eine wirklich intelligente Maschine ist eine Maschine, die zu dem Schluß kommt, daß Menschen nicht denken können (vgl. dazu Fr 22-01-21 Vom Wollen und Verwirklichen). Furchtbar lange wird das kaum noch dauern können, bis es soweit ist. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 19-05-24 Stuck state oder abflußfrei …?

Lang ist der Weg und kurz das Streben …

Abflußfrei ist ein herrliches Wort. Zum einen – und meistens ist wohl das gemeint – kann es bedeuten, daß der Abfluß frei ist – daß also Sachen oder Dinge, die nicht länger gebraucht werden, sich flüssig flugs entfernen können.

Andererseits kann es aber, tout au contraire, auch bedeuten, daß ein System frei von Abflüssen jeglicher Art ist. Die Folge ist, schau, schau, ein Stau. Was tun, sprach Zeus? Nun, wenn es schon nicht gelingen will, den Abfluß frei zu kriegen, dann sollte man wenigstens versuchen, den Zulauf einzudämmen.

Letztlich ist es wohl eine Frage des Gleichgewichts, beziehungsweise es geht, wie eine chinesische Weisheit das auszudrücken pflegt, darum, seine Mitte nicht zu verlieren. Womit wir bei unserem Schildchen wären: Von der Gosse zu den Sternen ist’s kein bequemer Weg – wobei die Gosse gar nicht mal so schlecht zum Abfluß paßt.

Vor Jahren einmal hatte Bolle das Schnäuzchen gestrichen voll: Statt sich den ganzen Tag von wahnsinnig wichtigen Nuhs zudröhnen zu lassen, hatte er sich eine regelrechte Null-Diät auferlegt und gar keinen diesbezüglichen Input mehr zugelassen. Und? Hat er was versäumt? Wohl kaum. Bolle kann sich recht gut erinnern, wie ein Kommilitone beim Mensa-Plausch mit den krassesten Neuigkeiten rüberkam. Bolle konnte alles, wirklich alles, als entweder höchst absehbar oder recht trivial abtun – oft genug beides. Verpaßt hatte er offenbar nichts, rein gar nichts. Na also – geht doch, wird er sich damals gedacht haben.

Wirklich wirken in der Welt kann man demnach wohl nur, wenn man versucht, die Fülle der Erscheinungen auf ihren jeweiligen Nucleus granuli, den Kern vons Körnchen sozusagen, zurückzuführen. Das mag zwar anstrengender sein – Denken tut ja bekanntlich weh –, letztlich aber ist es wohl befriedigender.

Mit Meinungsfreiheit verhält es sich übrigens recht analog. Meinungsfreiheit kann bedeuten, daß einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) seine Meinung frei äußern kann, ohne übermäßige Repressalien fürchten zu müssen. Meinungsfreiheit könnte aber auch bedeuten, daß einer völlig frei von jeglicher Meinung ist – zumindest von einer in irgendeiner Weise abweichenden Meinung. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 12-05-24 Muttertag

Flieh! Auf! Hinaus ins weite Land!

An diesem Wochenende feiert die Hansestadt den 835. Geburtstag ihres Hafens. Als Geburtsstunde gilt dabei ein Freibrief von Kaiser Barbarossa, der den hanseatischen Kaufleuten so manches Extrawürstchen zu braten erlaubte.

Was hat das mit dem Muttertag zu tun? Nun, stundenlang auf einer solchen Festivität herumzulungern: dafür reicht die Zeit für mehr als 1 Million quirlige Besucher durchaus aus, wie’s scheint. Mit einem freundlichen Worte dagegen fühlt sich so mancher rein zeitlich schnell überfordert.

Bolle findet ja: Nein danke, und begnügt sich, obschon in unmittelbarer räumlicher Nähe, mit Buch und Bier – wobei das Bier der frühen Stunde geschuldet Tass Kaff hat weichen müssen.

Allein es findet sich eine weitere Parallele: In dem Buche auf dem Bildchen geht es unter anderem um Frustrationstoleranz. Lorenz beschreibt dort, wie in den frühen 1960er Jahren schon namentlich amerikanische Soziologen bzw. Psychologen einen besseren Menschen heranzuziehen gedachten, indem sie dem Nachwuchs „von klein auf jede Enttäuschung (frustration) ersparen und ihnen in allem und jedem nachgeben“ wollten.

Lorenz‘ Fazit: Es entstanden unzählige ganz unerträglich freche Kinder, die alles andere als un-aggressiv waren.

Folglich fügen sich hier „keine Zeit“ und „keine Lust“ aufs Trefflichste zusammen. Damit wollen wir diesen Teil für heute abschließen. Eine stehende Wendung – wie etwa „Fröhlichen Muttertag allerseits“ – hat sich ja bislang nicht wollen herausbilden.

Im Folgenden beschreibt Lorenz übrigens noch die, wie er es nennt, tragische Seite:

Die tragische Seite der tragikomischen Angelegenheit aber folgte, wenn diese Kinder der Familie entwuchsen und nun plötzlich statt ihren unterwürfigen Eltern der mitleidlosen öffentlichen Meinung gegenüberstanden, wie etwa beim Eintreten in ein College.

Nun, mittlerweile sind wir so weit, daß viele der Professores (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) selber so erzogen sind – von wegen öffentliche Meinung. Damit aber neigt die Katze dazu, sich in den sprichwörtlichen Schwanz zu beißen. Jedenfalls sind die Leute kaum glücklicher – und wohl auch noch immer nicht weniger aggressiv. Guckt Euch um auf der Welt – gerade in diesen Tagen.

Im übrigen ist Bolle ja der Ansicht, daß jeder (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) über ein Fleckchen Balkon oder Terrasse zum stetigen Gebrauch verfügen sollte. Einrichten ließe sich derlei ohne weiteres. Das alles aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Ostermontag 01-04-24 Frohe Ostern, urbi et orbi!

Ab ovo.

Und schon wieder stellen sie sich ein, die letzten Reste vom Osterfeste. Höchste Zeit also für unsere diesjährigen Last-minute-Grüße an unsere ebenso treue wie geneigte Leserschaft. Überhaupt gibt es Zeiten, wo einem die Soll/Ist-Diskrepanzen mit momentanen Transformationsbarrieren – vulgo ›Probleme‹ – schneller zuwachsen wollen als Lösungen sich einzufinden gewillt sind. Aber will man es sich anders wünschen? Eigentlich doch nicht. Bolle jedenfalls hält es mit dem Motto ›Lose your streams and you will lose your mind‹.

Zur Vorbereitung auf das Osterfest der Christenmenschen hat sich Bolle einmal mehr und extra gründlich in die Bibel vertieft – und zwar gewissermaßen ab ovo. Angefangen mit der Genesis (1. Buch Mose), of course, weiter mit dem Exodus (2. Buch Mose), dem Leviticus (3. Buch Mose), und so weiter und so weiter. Rechtzeitig zum Feste hatte sich Bolle dann plangemäß immerhin bis zu den Evangelisten Matthäus und Markus einschließlich ihrer Ostergeschichten – oder muß es heute „Erzählungen“ heißen? – durchgehört.

Dermaßen gründlich alttestamentarisch gestählt konnte es Bolles Aufmerksamkeit kaum entgehen, daß Jesus von Nazareth einfach nur versucht hat, das religiöse Bollwerk ein wenig menschengerechter aufzufrischen. Man mag ja von dem Alten halten, was man will: Ein Motivationspsychologe war er ganz sicher nicht. Das ganze Alte Testament ist durchsetzt mit Vorschriften über Vorschriften, deren Sinn sich dem sprichwörtlichen Juden auf der Straße (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) unmöglich hat erschließen können. Da war das Wort der Würdenträger vor. Ein Beispiel soll genügen: Darf man am Schabbes Gutes tun? Oder soll man strikt rein gar nichts machen? Allgemeiner formuliert: Soll die Religion dem Menschen dienen – oder der Mensch der Religion?

Wenn aber – und wir meinen ausdrücklich wenn – Jesus Gottes lieber Sohn war, dann kann es sich bei der gesamten Oster-Inszenierung eigentlich nur um eine Art von mißglückter Imagekampagne gehandelt haben, um die jahrtausende alten Dauerspannungen zwischen dem Hirten und seinen auserwählten Schäfchen gründlich und nachhaltig zu entschärfen. Zuzutrauen wäre es dem Alten durchaus – siehe Altes Testament. Und hätte auch funktionieren können. Allein es sollte anders kommen. So machen die Christenmenschen heute ein Drittel der Weltbevölkerung aus, die Juden liegen so um die 0,1 oder 0,2 Prozent – womit natürlich keinerlei Aussage über die Qualität der jeweiligen Religion verbunden sein soll. Derlei stünde einem Agnostiker ohnehin ganz schlecht zu Gesichte und sei uns schon von daher furchtbar ferne. Gleichwohl darf das strategische Ziel – falls es denn eines gab – nach allem als durchaus verfehlt gelten.

Übrigens läßt sich die Bibel in der Hörbuchfassung in gerade einmal 87½ Stunden goutieren. Manchem mag das viel erscheinen. Allerdings ist es leicht zu schaffen, wenn man (nur zum Beispiel) einen dreiwöchigen Strandurlaub nutzt und sich dabei täglich 4 Stunden Lektüre gönnt – statt nur die Plauze bräsig nach der Sonne auszurichten. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mo 01-01-24 Ein gutes Neues Jahr Euch allen!

Rutscht ja gar nicht …

Unser Bildchen zeigt die winterlich weiße Weihnacht in den unendlichen Weiten vons Dörfchen am letzten Markttag des Jahres. Bolle findet, das hat was kultiviertes – ähnlich wie ein Zigarettchen nach dem Essen direkt bei Tische statt draußen vor der Tür. Warum nicht auch den Marktleuten (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) ein wenig Ruhe gönnen zwischen den Jahren? Die ganzen Zugereisten sind ohnehin vorübergehend wieder abgereist, dazu eine Verkehrslage wie früher: Bolle findet, das hat was.

Deutlich weniger kultiviert – dafür um so mehr alarmistisch – fand Bolle die folgende Zeitungsmeldung, die er justamente tags zuvor gefunden hatte.

Alkohol ist ein Zellgift und verursacht Krebs. Jedes Glas ist eins zu viel.

In der Kellerzeile heißt es dann, wir sollten unsere Trinkkultur hinterfragen. Zwar gehöre Alkohol zu jeder Feier dazu. Allerdings gebe es keine gesundheitlich unbedenkliche Menge. Total so!

Letztlich haben wir es hier, nicht zuletzt in Anspielung auf Sigmund Freuds (dem alten weisen Mann aus Wien) fast gleichlautenden Titel von 1930, mit Bolles Unbehagen an der Kultur (als Begriff) zu tun. Es soll ja Leute geben, die selbst Cancel-Kacka für „Kultur“ halten. Womit wir übrigens wieder dicht bei Freud wären.

Warum also nicht auch Trinkkultur? In Bolles Kreisen jedenfalls gehört Alkohol ganz sicher nicht zu jeder Feier dazu. Ein Gläschen Sekt? Sehr wohl. Ein Fäßchen Rum? Keine Bedenken. Flasch Bier? Nur zu. Aber Alkohol? Igitt. So was würde Bolle natürlich nie trinken. Keene Schangse dem Zellgift – wie er oft zu sagen pflegt.

Im übrigen haben wir es hier – sehr viel mehr noch als mit Kultur – mit herrlich auf den Punkt gebrachtem Glühwürmchen-Totalitarismus zu tun. Jedes Glas ist eins zu viel. Hört, hört! Aha! Und nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer, wie der zugereiste Siedler seinerzeit meinte – und sich heute würde belehren lassen müssen, daß man so etwas so nicht mehr sagen darf. Es müsse schließlich heißen: Nur eine tote Person der indigenen Bevölkerungsgruppe ist eine gute Person der indigenen Bevölkerungsgruppe. Und Peng! Im übrigen verweist Bolle – nicht zuletzt im Hinblick auf künftige Einträge – gerne auf Senecas ›Hercules furens‹, wo es (nur leicht modifiziert) heißt:

Non est ad astra mollis e cloacis via.
Von der Gosse zu den Sternen
ist’s kein bequemer Weg.

Aber vielleicht bessern wir uns – allen Widrigkeiten zum Trotze – ja doch noch und das Neue Jahr wird spektakulär anders als die andern. Schaden könnte’s jedenfalls nicht. Na denn: Prosit! (wörtlich: es nütze). Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 24-12-23 Das vierundzwanzigste – und für dieses Jahr letzte – Türchen …

Es weihnachtet sehr …

Keinmal werden wir noch wach.
Heute schon ist Weihnachtstach.

Bolle mußte hier zugunsten des reinen Reimes gewisse Zugeständnisse an die Orthographie machen. Aber schließlich ist Weihnachten – und da wollen wir Bolle derlei durchgehen lassen.

Nach dem etwas frostigen Schildchen von gestern hier wieder etwas weihnachtlich-erwärmendes. Unser Bild zeigt einen letzten Eindruck vom Weihnachtsmarkt bei Bolle um die Ecke. Am Feuerchen saßen übrigens ganz überwiegend Russen. Russen und Raucher. Oder auch rauchende Russen. Bolle kam dabei der Gedanke in den Sinn, wie das Bild wohl wirken würde, wenn alle klimaschonend um eine Wärmepumpe herum sitzen würden – vielleicht noch mit einem Grashalm im Mäulchen, not unlike Lucky Luke.

Daß da noch kein Glühwürmchen protestiert hat und interveniert. Schließlich hat der Homo candens vulgaris ja eine gewisse Neigung, alles, aber auch wirklich alles kaputt machen zu wollen – außer das eigene Weltbild, of course. Das nämlich hält absehbar durch – und zwar bis die ganze Welt an der Wirklichkeit zerschellt und in sich zusammenfällt. Aber erstens sind das alles ganz und gar unweihnachtliche Gedanken und zweitens ist noch lange nicht aller Tage Abend. Schließlich sind wir hier ja nicht bei der letzten Generation.

Frohe Weihnachten also, Euch allen. Und Friede auf Erden und den Menschen – mögen sie glauben, was immer sie wollen – ein Wohlgefallen (Lukas 2, 14).

Höchst geheimen Gesetzen folgend scheint es ja durchaus zwei verschiedene Geschwindigkeiten für die Zeit zu geben – je nachdem, in welche Richtung man blickt. Die Prospektive kann sich mitunter ziemlich ziehen – betrachten wir nur die schier endlos lange Adventszeit mit Kinderaugen. Retrospektiv dagegen ist alles immer recht rucki-zucki vorbei gewesen. Wilhelm Busch übrigens hat das einmal wie folgt gefaßt:

Frühling, Sommer und dahinter
Gleich der Herbst und bald der Winter –
Ach, verehrteste Mamsell,
Mit dem Leben geht es schnell!

Ein ganz klein wenig seltsam ist das schon. Das aber wär‘ dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Sa 23-12-23 Das dreiundzwanzigste Türchen …

Weihnachtlich windige Warnung …

Es gibt Dinge, die wollen – abhold hin, abhold her – dann doch noch Erwähnung finden, zumindest am Rande. Und der 22. Dezember (siehe Bildchen) ist schließlich so ziemlich am Rande, was unseren agnostisch-kontemplativen Adventskalender angeht. Dabei wirkt das Bildchen recht kühl – gefühlt wie –2°, sozusagen – und gar nicht wirklich weihnachtlich.

Das bemerkenswerte aber ist die Windwarnung – verziert mit einem Ausrufezeichen auf rotem Grund, auf daß es bloß niemand übersehen möge. Auch ist das Schildchen keineswegs tagesaktuell – das wollten wir ja lassen in diesem Jahr. Im Gegenteil: Derlei flattert Bolle alle paar Tage auf sein Handy. Dabei wollen wir hier gar nicht aufzählen, vor was alles gewarnt wird: Hitze, Kälte, Schnee, Regen, Eis, Trockenheit, überhaupt Wetter allgemein – und dann natürlich eben auch Wind. Wind!

Nun sind Warnungen weit verbreitet – und das zuweilen auch nicht ganz zu Unrecht. Schon im antiken Pompeji etwa waren Cave-Canem-Fußmatten ein beliebter Schmuck an der Eingangstür. Wörtlich also „Meide den Hund“ beziehungsweise, freier übersetzt; „Vorsicht! Bissiger Köter!“ Nun ist Pompeji bereits im Jahre 79 nach der Geburt des Erlösers der Christenmenschen in der Asche des Vesuvs wortwörtlich untergegangen, falls Bolle in Geschichte aufgepaßt hat. Davor indessen hatte niemand gewarnt: Von Cave-Vesuvium-Schildern ist zumindest nichts überliefert. Soweit zu den Prioritäten.

Was will uns das alles sagen? Wenn wir uns die Mühe machen und auf die Warnung klicken, heißt es: Achtung. Bereiten Sie sich gemäß den Anweisungen vor. Aha! Bolles – zugegebenerweise recht freie – Übersetzung würde lauten: Die Welt ist wild und gefährlich. Aber keine Sorge. Die Regierung kümmert sich um Dich. You never blow alone, sozusagen. Du mußt nur immer schön brav sein und stets die Anweisungen befolgen. Alles wird gut …

Auch würde Bolle überhaupt kein Aufhebens wegen solcher Cave-Ventulum-Geschichten machen (wörtlich: Hüte Dich vor dem Lüftchen) – würden ihm da nicht 3 Jahre Corönchen-Hysterie noch mächtig in den Knochen stecken. Hieß das überhaupt so? Irgendwas mit „ieeh“ jedenfalls war’s  – das weiß Bolle noch ganz genau.

Auch erinnert das alles doch sehr an Äsops Gleichnis von dem Hirtenjungen und den Wölfen (6. Jhd. v. Chr). Der Hirtenjunge hatte – wohl um etwas Abwechslung in seinen eintönigen Alltag zu bringen – laut vernehmlich „Hilfe, Hilfe, der Wolf kommt“ gerufen. Das ganze Dorf eilte ihm zu Hilfe. Allein, da war kein Wolf. Einige Zeit später – und da war dann wirklich ein Wolf, und zwar ein ganzes Rudel – verhallte sein Hilferuf ungehört und er endete, samt seiner Schafe, wie Rotkäppchens Großmutter. Allerdings ohne Happy Ending.

Was Bolle aber wirklich Sorgen machen würde, falls er zu derlei neigen würde, ist das Menschenbild, das dahinter vermutet werden darf bzw. gar muß. Einer Gesellschaft voller schutzbedürftiger Schäfchen würde Bolle beim besten Willen keine allzu prickelnde Sozialprognose ausstellen wollen. Wer mag, mag die fünfteilige Trilogie vom letzten Jahr noch einmal als Weihnachtslektüre der etwas anderen Art nachlesen. Sie findet sich unter dem Schlagwort ›Schrat und Staat‹. Im fünften und letzten Teil (Mi 21-12-22 Das einundzwanzigste Türchen …) heißt es dort, daß für einen Souverän, der sein Salz wert ist, eine hinreichende Freiheit von Bangbüchsigkeit (beziehungsweise, derber formuliert, Freiheit von Schissertum) wünschenswert, wenn nicht nachgerade unverzichtbar wäre. Von wegen Cave Ventulum. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.