Mi 17-03-21 Der Super-Schlau-GAU

Noch ist nicht aller Tage Abend.

Gelegentlich, das muß man ihr lassen, bringt die ›Bild‹ die Dinge kurz und knackig auf den Punkt. Zum Beispiel heute mit der Headline »Der AstraZeneca-Super-GAU«. Andere Blätter im Walde, die sich mehr der Seriosität verpflichtet fühlen, geben sich da deutlich zurückhaltender und berichten, eher blaß, daß laut EU-Behörde der Nutzen einer Impfung die Risiken eindeutig überwiege, bzw., noch blasser, daß die EMA den Impfstoff „verteidigt“. Allein die ›taz‹ weiß Rat: „Uns bleibt immer noch Mallorca.“ Gut zu wissen.

Kurzum: Die Kacke ist am dampfen. Allein: Haben wir uns wirklich sehenden Auges „in Gefahr begeben“? Sind wir wirklich so starrköpfige Menschen, wie das Buch Sirach das nahelegt? Nicht wirklich. Bolle hält das Bild für schief. Wir „begeben“ uns nicht regelrecht in Gefahr. Eher scheint es so zu sein, daß wir nolens volens und ganz allmählich in immer widriger werdende Umstände reinschliddern. Eine slippery slope, wie die Angelsachsen das trefflich nennen.

Wir hatten das Thema vor einiger Zeit schon mal angesprochen (Di 02-02-21 Von Gänseblümchen und Brennesseln) und dabei festgehalten: „Wenn es nicht gelingt, die Probleme an der Wurzel zu packen, dann wird sich für jedes einzelne Problem, das wir erfolgreich lösen, ein ganz ähnlich gelagertes Problem an irgendeiner anderen Stelle einstellen.“ Aber wie soll das gehen in einer Welt, die noch an isolierte Fakten glaubt? (vgl. dazu Sa 16-01-21 Wirklich wahr?) und von solidem Überblick nur wenig wissen will?

Dabei ist das alles nicht wirklich neu. Dietrich Dörner hat bereits 1989 in seiner, übrigens höchst lesenswerten, »Logik des Mißlingens« eine dringende Empfehlung auf den Punkt gebracht: Nicht schneller in komplexe Systeme eingreifen als man die Auswirkungen einigermaßen sicher überblicken kann. Komplizierter ist es nicht. Aber wie, bitteschön, soll das gehen in einer ›Time is money‹-Welt?

So richtig dumm wird es, wenn das, was man tut, erst mit einiger oder gar erheblicher Verzögerung seine Wirkung entfaltet: Wenn man jetzt die Heizung aufdreht, dann dauert es noch ein ganzes Weilchen, bis es warm wird in der Bude. Hysteresis (›Nachwirkung‹) nennt’s die Kybernetik. Licht dagegen kommt sofort. Als Faustregel mag gelten: Je „komplexer“ ein System, desto größer die Wahrscheinlichkeit von richtig fetten Hysteresen. Als Hinweis darauf, daß das alles schon länger klar sein könnte, wollen wir uns mit Lorenz’ »Todsünden der zivilisierten Gesellschaft« (1973), den »Grenzen des Wachstums« des Club of Rome (1972) und vielleicht noch Malthus’ »Principle of Population« (1798) begnügen. Alles soweit unwiderlegt, und alles erst mal weggelächelt, frei nach Artikel 3 vons „Rheinisch Jrundjesetz“: „Et hätt noch emmer joot jejange.“ Bolle meint: Kieken wa ma. Bis dahin wäre es wohl keine schlechte Idee, erstens den Panoramablick zu stählen und zweitens die Langmut. Es muß nicht alles über Nacht passieren und schon gar nicht um jeden Preis.

Das Buch Jesus Sirach empfiehlt dazu an gleicher Stelle: Strebe nicht nach dem, was zu hoch ist für dich, und frage nicht nach dem, was deine Kraft übersteigt … (Sir 3, 22, im Abschnitt »Von der Demut«). Immerhin: Wir wissen jetzt, was „Sinusvenenthrombosen“ sind. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 16-03-21 Null Toleranz!

Das optimale Leben.

An der Corönchen-Front ist mal wieder der Bär los. Es ist aber auch ärgerlich. Erst macht man das Volk über Monate jeden, wirklich jeden Tag mit den jeweils auf die Einerstelle genauen Inzidenz- und Todesfällen so richtig rappelig, um sie dann gezielt auf die nahende Rettung einzustimmen. Wahrlich, wir sagen Euch: Gehet hin und lasset Euch pieksen. Und Ihr werdet eingehen in das ewige Leben auf Erden. Bolle meint: Geht’s noch?

Und dann so was. „AstraZeneca tötet.“ Zwar hat das keiner so gesagt – aber so kommt es rüber. Wir hatten ja schon öfters mal angedeutet, daß es sich bei Corönchen zu einem guten Teil um ein sozialpsychologisches Phänomen handeln dürfte und weniger um ein virologisches. Aktuell scheint es so zu sein, daß sich beim Volk eine Art Frustrations-Reaktion einstellt. »Frustration« meint fachsprachlich die affektive Reaktion auf das Ausbleiben einer erwarteten Belohnung. Damit sind wir beim passenden Stichwort. Was erwarten die Leute? Sie erwarten offenbar, daß alles gut wird. So wie früher. Gelegentlich shoppen gehen, ab und an mal in ein Café, abends in die Kneipe oder ins Kino. Die Kinder morgens in die Schule schicken, damit man wenigstens den halben Tag lang seine Ruhe hat. Ins Büro dürfen – aus den gleichen Gründen. Gern auch mal ins Museum oder in ein Konzert. Unbeschwert reisen dürfen. Und so weiter, und so fort. Und all diese Erwartungen wurden an einem einzigen Punkt festgemacht: den „segenbringenden“ Vakzinen.

Und nun stellt sich, Wunder über Wunder, heraus, daß Vakzine eben nicht nur „segensreich“ wirken können, sondern gelegentlich, eher selten, höchst selten, auch Komplikationen mit sich bringen. Wir reden hier von zur Zeit 14 (in Worten: vierzehn) Fällen unter 10 Millionen. Mikro-Peanuts, im Grunde. Für eine ausgeprägte kollektive Frustrations-Reaktion aber anscheinend völlig ausreichend. Die Leute wünschen sich halt gerne „Das optimale Leben // Mit TÜV und Garantie“. Bolle meint: Habt Ihr mal einen Blick auf einen x-beliebigen Beipackzettel geworfen? Da bleibt wenig Raum für „Null Toleranz“. Keine Wirkung ohne mögliche Nebenwirkung – es sei denn, Ihr werft Euch wirklich nur noch Placebos ein. Und selbst da hätte Bolle so seine Bedenken. Indes: die Leute lesen ja nicht mal die Inhaltsstoffe beim Lebensmittel-Einkauf. Statt dessen begrüßen sie, wohl aus Gründen der kognitiven Sparsamkeit, den „Nutri-Score“. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mo 15-03-21 Small is beautiful

Small is beautiful. Die Rückkehr zum menschlichen Maß.

So richtig viel passiert ist nicht beim Auftakt zum „Superwahljahr“. Winfried Kretschmann kann im Ländle weitermachen wie gehabt – Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz ebenso. Eine Änderung hat sich allerdings dann doch ergeben: Herr Kretschmann könnte, wenn er denn wollte, mit einer Ampelkoalition regieren und seinen Koalitionspartner damit auf die Reservebank schicken. Bitter für die CDU, die von 1953 bis 2011, also 58 Jahre bzw. zwei Generationen lang, im Ländle auf Regierung abboniert war. Aber wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen: „Erster Test negativ“ – so die Schlagzeile der taz. Die SPD dagegen ist ob dieser Option ganz aus dem Häuschen –  Mehrheiten „diesseits der CDU“ seien wieder möglich – und träumt schon von der Machtübernahme im Bund. Bolle meint: Kieken wa ma.

Manche meinen ja, eine Partei sei im Kern eine „Marke“ – und das Wahlvolk sei halt nicht mehr sonderlich „markentreu“. Bolle hält nicht allzu viel von übertriebener Ökonomisierung des politischen Raumes. Eine „Marke“ ist gemeinhin etwas, das man kauft, weil man es (1) immer schon gekauft hat und (2) im großen und ganzen damit zufrieden ist. Gelegentliche Preis- und/oder Qualitätsvergleiche erübrigen sich damit. Max Weber hätte das „traditionales soziales Handeln“ genannt. Wollen wir so was in der Politik? Wozu dann noch Wahlkampf?

Überhaupt empfiehlt Bolle, gelegentlich und immer wieder mal – zumindest aber als kleine Entscheidungshilfe vor Wahlen – »Wag the Dog«  (USA 1997 / R: Barry Levinson / mit Dustin Hoffmann und Robert de Niro) zu kieken. Übertrieben? Sicherlich. Ist halt Hollywood. Unrealistisch? Leider nicht.

Einen unbestreitbaren Vorzug aber hatte der Wahlkampf. Er hat, Corönchen sei Dank, praktisch nicht stattgefunden – weder im Ländle noch in Rheinland-Pfalz. Wozu auch? Die Leute kennen ihre Kandidaten, und die „Botschaften“ ohnehin. Für eingefleischte „Markenwähler“ dürfte selbst das keine Rolle spielen. Wenn schließlich, wie in Baden-Würtemberg, die Botschaft auch noch lautet: „Bewahren heißt verändern“ – ein Spruch, den kein Zen-Meister besser hätte formulieren können –, dann dürfte auch der gutmütigste Wähler den Kopf schütteln und ansonsten dicht machen. Kurzum: Small is beautiful. Den Leuten kurz vor Schluß zu erklären, wofür man steht, ist schlechterdings überflüssig. Das wissen die Leute sowieso. Und falls nicht, sollten sie sich am Wahltag vielleicht lieber vornehm zurückhalten.

Ob, last but not least, der CDU die „Masken-Affäre“ geschadet hat oder nicht doch eher die Blässe ihrer Kandidaten, sei dahingestellt. Ähnliches gilt für die AfD mit ihren Verfassungsschutz-Scharmützeln. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

So 14-03-21 Licht am Ende der Trasse?

Licht am Ende der Trasse.

Dieser Tage wurde uns von höchster wissenschaftlicher Stelle verkündet, wir befänden uns, was Corönchen angeht, im letzten Drittel eines Marathons, und das sei bekanntlich das schwerste. Bolle meint: Na denn. Der Mann ist Wissenschaftler. Der muß es ja wissen.

Rechnen wir mal nach und gehen dabei davon aus, daß der „Marathon“ der Einfachheit halber ziemlich genau heute vor einem Jahr angefangen hat. Und nehmen wir an, daß das „letzte Drittel“ gerade eben erst begonnen habe. Sich „im letzten Drittel“ zu befinden, könnte ja durchaus auch heißen, daß man unmittelbar vor der Ziellinie steht. Aber das war sicherlich nicht gemeint von höchster Stelle. Demnach hätten wir also weitere sechs Monate „Marathon“ vor uns und würden die Ziellinie Mitte September erreichen. Na toll!

Dumm nur, daß Mitte September in unseren Breiten üblicherweise der Herbst beginnt: Grippezeit! Bolle findet es eher unwahrscheinlich, daß sich Corönchen ausgerechnet dann geschlagen geben wird. Aber wenn wir bis dahin doch alle „durchgeimpft“ sein werden? Vermutlich ist das gemeint. Von möglichen Mutanten, die nach dem „Hase und Igel“-Prinzip durchaus schneller sein könnten als die noch zu entwickelnden Vakzine, wollen wir hier einmal absehen. Reine Spekulation!

Schwerer wiegt folgendes: Es gibt Sportarten, die werden auf Zeit gespielt. So dauert ein Fußballspiel 90 Minuten, plus meist ein wenig Verlängerung und ggf. Nachspielzeit. Hier läßt sich also durchaus abschätzen, ob man sich „im letzten Drittel“ befindet oder nicht. Bei anderen Wettkampfarten, wie etwa Tennis, ist das aber nicht der Fall. Hier wird ergebnisorientiert gespielt – man braucht, um zu gewinnen, soundso viele Sätze Vorsprung vor dem Gegner. Das hat Konsequenzen. Das kürzeste offizielle Match, das Bolle bekannt ist, hat zum Erstaunen der Fachwelt nicht einmal eine halbe Stunde gedauert, das längste in einem Grand-Slam-Finale der Herren über 11 Stunden. Hier von irgendwelchen „Dritteln“ zu reden, in denen man sich befinden mag, ist demnach völlig sinnlos. Es dauert, solange es dauert.

Und? Wie ist es bei einem Marathon-Lauf? Hier wird sozusagen „auf Raum“ gespielt. Wir haben es weder  mit einer Spielzeit zu tun wie beim Fußball noch mit einem Spielstand wie beim Tennis. Es geht schlicht und ergreifend darum, die 42.195 Meter hinter sich zu bringen – und das möglichst schnell.

Und? Was hat Corönchen mit einem Marathonlauf zu tun? Nach allem rein gar nüscht. Es gibt keine Ziellinie – so sehr sich mancher die auch wünschen mag. Corönchen gleicht eher einem Tennismatch – und kann dabei, um im Bild zu bleiben, ein halbes Jahr dauern oder eben auch 11 Jahre. Aber laßt uns nicht hysterisch werden.

Was richtig schwer wiegt: Wir kennen aus der Sozialpsychologie den sogenannten »Halo-Effekt« als eine von mehreren möglichen Formen von Wahrnehmungsverzerrung. Der unmittelbare Eindruck, den eine Person (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) auf uns macht, umgibt die Person wie ein sozialpsychologisches „Kraftfeld“. Wer beim ersten Eindruck attraktiv wirkt, charmant ist und auch redegewandt, hat bei uns üblicherweise schon mal einen Stein im Brett und gute Chancen, mit allem, was er sonst so bringen mag, auf sprichwörtlich offene Ohren zu stoßen. Im Grunde ist das die Kernkompetenz aller Blender und Betrüger – was umgekehrt natürlich nicht heißen muß, daß jeder, der charmant rüberkommt, ein Blender oder Betrüger ist. Wichtiger ist die Feststellung, daß das „Kraftfeld“ auch nach hinten losgehen kann: Wer at first glance mit Unsinn um die Ecke kommt, hat’s schwer.

Wenn also einer herkommt und Corönchen mit einem Marathonlauf vergleicht statt mit einem Tennismatch, so führt das, zumindest bei Bolle, sofort und unmittelbar zu schwerem Punktabzug. Bolle glaubt so einem erst mal gar nichts mehr und wittert allenthalben Unrat. Das mag bei vertiefter Betrachtung unhaltbar sein und ungerecht, ist aber erst mal so – und letztlich auch schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 11-03-21 Sputnik-Schock 2.0

Sputnik-Schock 2.0.

Damals, 1957, war der Teufel los. Nur 12 Jahre nach dem Endsieg über Nazideutschland und mitten im damals so genannten Kalten Krieg hatten sich die Russen erfrecht, ein Flugobjekt in den Weltraum zu schießen und damit ein Leuchtfeuer technischer Kompetenz gezündet. Im freien Westen war seinerzeit allen Ernstes von „Sputnik-Schock“ die Rede. Die Russen: Nüscht anzuziehen, keen Dach überm Kopp – aber sich im Weltraum tummeln.

Zwar meinte Bolle damals schon, ein Begriff wie »Weltraum« sei ja wohl doch ein wenig sehr euphemistisch, wenn man sich die Proportionen auch nur grob vor Augen hält: Von der Erde bis zu einer Umlaufbahn braucht ein Lichtstrahl in etwa eine zehntel Sekunde. Bis zu unserer Sonne sind es immerhin schon gut 8 Minuten, und bis zu den Außenbereichen unseres Planetensystems, dem Kuipergürtel, fast 7 Stunden. Nun ist eine zehntel Sekunde im Vergleich zu 7 Stunden doch eher wenig. Mikro-Peanuts, sozusagen. Doch es kommt noch dicker: Bis zur nächsten Sonne um die Ecke, Proxima Centauri, würde unser Lichtstrahl schon über 4 Jahre brauchen. Soviel zum Thema »Weltraum«. Das allerdings hat damals keinen interessiert – und tut es wohl bis heute nicht.

Aber davon ab: Der Sputnik-Schock saß tief. So tief, daß der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, unbedingt bemannt zum Mond fliegen wollte, und zwar rucki-zucki, binnen eines einzigen Jahrzehntes – einfach nur um klarzustellen, wer hier Master of the Universe ist.

Und dann das mit den Atomkraftwerken. Als den Russen 1986 ihr Tschernobyl um die Ohren geflogen war, da hieß es im freien und fortschrittlichen Westen: Keen Wunder – sind halt Russen. Dumm gelaufen, war aber absehbar. Uns kann so was nicht passieren. Wir können schließlich Mond.

Erst als den Japanern, genau heute vor 10 Jahren, in Fukushima genau das gleiche passiert war, begann im Westen das große Flattern – allen voran bei den Deutschen: Ausstieg aus der Atomenergie sprichwörtlich über Nacht. Gerade erst beschlossene Laufzeitverlängerungen wurden, von einer Physikerin übrigens, über Nacht suspendiert – whatever it takes.

Und jetzt erfrechen sich die Russen, in Rekordzeit einen Impfstoff zu entwickeln, der anscheinend tadellos funktioniert – und allen Ernstes auch noch ›Sputnik‹ heißt. Zufall? Sprach-Design? Treppenwitz der Geschichte? Wir wissen es nicht.

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Wundert sich, daß einige Länder der EU – einschließlich Thüringen übrigens – lieber Sputnik „verimpfen“ als gar nicht impfen. Berichtet, daß kein Land der EU häufiger von „Falschinformationen“ aus Rußland betroffen sei als Deutschland – und führt das auf ein hierzulande unzureichendes Maß an Vorurteilen zurück. Zeigt sich befremdet, daß eine AfD-Delegation dieser Tage nach Rußland reist, um im Gespräch zu bleiben. Miteinander reden – das geht ja wohl gar nicht. Fragt sich, warum denn North Stream 2, fünf Minuten vor Fertigstellung, nicht doch lieber wieder eingestampft wird, um den Weg freizumachen für amerikanisches Fracking-Gas. Das ist zwar deutlich teurer und auch sehr viel umweltschädlicher. Dafür kommt es aber aus einem freien Land – und das ist ja wohl die Hauptsache für lupenreine Demokraten (vgl. dazu auch Fr 04-09-20 Die Recken des Rechtsstaates).

Kurzum: Die Rußland-„Skepsis“ (wie das neudeutsch neuerdings heißt) sitzt so richtig, richtig tief bei den „Eliten“ im Lande. Das scheint Bolle aber eher sozialpsychologisch bedingt und weniger geschichtlich. Die letzte ernstliche russische Invasion nach Europa liegt mittlerweile immerhin zwei- bis dreihundert Jahre zurück. Damals waren russische Adelige in Scharen in Pariser Cafés und Salons eingefallen, weil sie sich zuhause, zwischen Tundra und Taiga, einfach zu sehr gelangweilt hatten. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

So 07-03-21 Gut zerknüllt, Löbel

Auri sacra fames — verfluchter Hunger nach Gold.

Für alle, die es nicht mitgekriegt haben: Da macht sich ein demokratisch und überdies auch noch direkt gewählter Abgeordneter um die Volksgesundheit verdient und bestellt in China einen ganzen Haufen Masken. Da alle davon ihren Nutzen haben, sowohl der Lieferant als auch die deutschen Maskenträger, hat sich der Herr Abgeordnete seine Vermittlungsbemühungen mit einem, wie er selber sagt, „marktgerechten“ Corönchen-Provisiönchen von, wie er wiederum selber sagt, 250.000 Euro entlohnen lassen. Kann man so was bringen? Aber Ja doch. Zwar erhalten Abgeordnete in Deutschland nicht nur eine „Aufwandsentschädigung“, sondern eine sogenannte „Vollalimentation“ (Art. 48 III GG), die ihnen ihre Unabhängigkeit sichern soll und überdies eine Lebensführung ermöglichen, „die der Bedeutung des Abgeordnetenhauses entspricht“ (Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichtes). Etwaige sonstige Berufseinkommen sind dabei ausdrücklich nicht mitgemeint. Im Gegensatz zu Regierungsmitgliedern soll und darf ein Abgeordneter seine großen und kleinen Geschäfte also uneingeschränkt weiterlaufen lassen. Kurzum: Ein Abgeordneter soll ein Bürger sein wie Du und ich – aus der Mitte der Gesellschaft für die Mitte der Gesellschaft.

Auch sind 250.000 Euro gemessen an den geschätzten jährlichen Corönchen-Kosten von vielleicht 80 Milliarden Euro ausgesprochene „Peanuts“ und vermutlich in der Tat „marktgerecht“ – schließlich sind Hersteller bzw. Händler ja freiwillig darauf eingegangen. Eine Hand wäscht die andere. Kennen wa ja.

Warum dann die Uffregung? Was Bolle einleuchten würde: Zum einen gilt in Corönchen-Zeiten: über Geld redet man nicht. Wat mutt, dat mutt. Voll bazooka-mäßig, whatever it takes. Zum anderen und vor allem aber könnte an einem so klar abgesteckten Einzelfall so manchem braven Erwerbstätigen (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course)  unangenehm auffallen, wie sehr sich seine Volksvertreter mittlerweile doch von ihm entfernt und sich in ihrem Raumschiff eingerichtet haben. „Gehobene Mittelschicht“, halt, wie Friedrich Merz das zu nennen beliebt. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Fr 05-03-21 Und ewig schläft das Murmeltier

Und ewig schläft das Murmeltier.

Gelegentlich sagt ein Bild ja mehr als tausend Worte.  Bolle hat es in der Schaufensterauslage eines kleinen, überhaupt nicht „systemrelevanten“ Ladens gefunden. „Wir sehen uns wieder in 2021“. Bolle findet das nachgerade rührend – und mußte daran denken, daß bald schon wieder ein Viertel des Jahres rum sein wird. Dann eben später einkoofen gehen. Kieken wa ma …

Umgekehrt gilt: Corönchen never sleeps – und hat die nächste Stufe womöglich schon gezündet. Viren können nun mal schneller mutieren als Virologen. Eine neue (dieses mal brasilianische) Variante hat, wie man hört, die unangenehme Eigenschaft, auch solchen Leuten zuzusetzen, die „eigentlich“ schon längst immun sein sollten. Und so zieht Jair Bolsonaro, der brasilianische Oberhäuptling, vorsorglich schon mal die kommunikative Notbremse, indem er seinen Landsleuten erklärt, es müsse nun endlich mal genug sein mit dem Gejammer und den Tränen. Das sei ja nicht mehr auszuhalten. Augen zu und durch, also.

So weit sind wir hier noch lange nicht. Im Gegenteil: Hier hat das Parlament eben erst ein Gesetz beschlossen, demzufolge es der Regierung alle drei Monate erneut sein Go geben muß – sonst war’s das dann mit „weiter so“. Dumm nur, daß es sich – anders als etwa in den USA – bei der Parlamentsmehrheit und bei der Regierung regelmäßig um die gleichen Leute handelt. Entsprechend fallen die Abstimmungen dann ja auch aus. „Funktionenteilung“ statt „Gewaltenteilung“ heißt das in den inneren Zirkeln höchst euphemistisch hinter vorgehaltener Hand. Aber wenn’s doch dem parlamentarischen Wohlbefinden dient? Immerhin: Das Volk fängt an zu grummeln.

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Schreibt die einzige auf exekutiver Ebene tatsächlich vorhandene Gewaltenteilung als „Flickenteppich“ oder auch „Bund/Länder-Hickhack“ nach Kräften in Grund und Boden. Nun ja: Jeder, wie er kann. Ist ja auch am einfachsten. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 27-02-21 Wahrheit ohne Klarheit

Wahrheit ohne Klarheit.

Neulich hat Bolle gehört, daß Corönchen in den USA jetzt schon mehr Tote „gefordert“ hat als der 2. Weltkrieg insgesamt. Krass. Ein glattes Faktum, das. Aber ist es auch „wahr“? Nun, nach Angabe des US-Veteranenministeriums belaufen sich die Weltkriegs-Toten auf 405.399. Die Corönchen-Toten dagegen belaufen sich auf bislang 507.800. Also wahr. Aber sind die 405.399 Weltkriegs-Toten wahr? Möglich, aber unwahrscheinlich. Warum? Nun, je genauer eine Zahlenangabe, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß irgendein Statistiker an irgendeiner Stelle irgendein Häkchen falsch gesetzt hat. Also „Fake News“? Strenggenommen Ja. Aber kommt es darauf überhaupt an? Natürlich nicht. Das aber ist keine Frage der Fakten – es ist eine Frage der Einordnung.

Was Bolle damit sagen will: Selbst auf der Ebene schlichter, unverbundener Zahlen kommen wir ohne Einordnung nicht aus. Die „nackten Fakten“ vermitteln allenfalls eine erste, ungefähre Orientierung – und bedürfen dringend der Interpretation. Interpretation aber ist eine höhere kognitive Funktion, eine Kunst geradezu, und mit keinem Taschenrechner der Welt zu bewältigen. Die Wahrheit läßt sich nun mal nicht ausrechnen.

Noch bedenklicher wird es, wenn wir nicht auf der Ebene schlichter, unverbundener Zahlen bleiben, sondern zum Beispiel den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen absoluten vs. relativen Zahlen einführen. Hier ergibt sich, daß bislang nur (?) 1,5 Promille der Amerikaner wegen Corönchen verschieden sind (507.800 geteilt durch 328 Millionen). Dem 2. Weltkrieg dagegen sind doppelt so viele, nämlich 3,0 Promille, zum Opfer gefallen (405.399 geteilt durch damals 132 Millionen). Wahr oder nicht wahr? Offenkundig wahr – paßt aber nicht zu unserem Ergebnis von oben. Was nun? Was tun? Wir kommen nicht drum rum: Schon wieder müssen wir einordnen bzw. interpretieren.

Mit den reinen „Fakten“ kommen wir keinen Schritt weiter. Und dabei haben wir erst die Ebenen „schlichte, unverbundene Zahlen“ bzw. „absolute vs. relative Zahlen“ abgehandelt – also voll die Froschperspektive.

Wie steht es um die „nackten Fakten“, wenn wir Attribution ins Spiel bringen – also die Neigung des menschlichen Gehirns, den Tatsachen Ursachen zuzuschreiben? Auch hierfür hat Bolle ein passendes Beispiel gefunden. In einem Beitrag einer an sich seriösen Zeitung heißt es, der Corönchen-Overkill, also der Zeitpunkt, da die Corönchen-Toten die Weltkriegstoten überschritten haben, sei justamente auf den Amtsantritt von Joe Biden gefallen. Fakt oder Fake? Könnte man als Fakt durchgehen lassen. Allerdings müßte man dann alles, was wir bislang gesehen haben, nonchalant ausblenden. Umgekehrt könnte man es also auch als subtile Form von Trump-Bashing durchgehen lassen. Das wäre nicht weniger wahr.

Richtig dumm wird es indes, wenn wir, viertens, „interessengeneigte Wahrheit“ ins Spiel bringen. Auch das ist alles andere als neu. Francis Bacon hat sich schon 1620, also vor nunmehr 400 Jahren, einschlägig geäußert: „Intellectus humanus luminis sicci non est; sed recipit infusionem a voluntate et affectibus, id quod generat Ad quod vult scientias.“ Übersetzen? Übersetzen. „Der menschliche Intellekt leuchtet nicht aus sich heraus. Vielmehr wird er von Wünschen und Leidenschaften gespeist – was dazu führt, daß wir es mit ›Wissenschaft ganz nach Wunsch‹ zu tun haben.“ Kurz und knapp: Wissenschaft wie’s g’rade paßt. Entsprechend können wir „Ad quod vult veritas“ (wörtlich: Wahrheit, wie man’s gerne hätte) knapp mit: „Wahrheit ohne Klarheit“ übersetzen.

Kurzum: Die nackten Fakten könnt Ihr knicken. Nice to have und als Grundlage unverzichtbar – aber ohne Einordnung bzw. Interpretation in keiner Weise zielführend. Warum dann das ganze doch eher unreflektierte „Fakten eintakten“? Nun, jeder tut, wie er kann, meint Bolle. Die solidere Erklärung: Menschliches Orientierungsbedürfnis, eines der kognitiven Grundbedürfnisse. Lieber irgendeinen Plan haben als gar keinen. Wer mag, mag dazu den kurzen Beitrag unter Sa 16-01-21 Wirklich wahr? nachlesen. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 25-02-21 Le Waldsterben

Le Waldsterben.

Ganz am Rande, und voll von Corönchen und islamistischen oder sonstigen Übeltätern überschattet, hat es das Waldsterben als zartes Pflänzchen dann doch mal wieder bis in die bildungsbürgerlichen Medien geschafft. Bolle gratuliert.

Bolle hat, was Form und Inhalt angeht, bekanntlich einen ausgesprochen Sinn für das Knappe und Grundsätzliche – und in diesem Rahmen vor einiger Zeit eine lose Liste angelegt mit den drängendsten Problemen, die uns plagen. Hier und heute finden sich darin genau zwei Dutzend Einträge. Sollte also eigentlich noch „überschaubar“ sein, wie das auf neudeutsch neuerdings heißt – zumal es deutliche Querbezüge gibt: Die Lösung von so manchem Problem A würde so manches Problem B absehbar obsolet machen.

Für unsere jüngeren Leser: Das Waldsterben ist alles andere als neu. Spätestens in den frühen 1980er Jahren gab es in Deutschland eine regelrechte Waldsterben-Welle. Nun waren die Deutschen ihrem Wald schon immer aufs innigste verbunden. Wo war das doch gleich noch mal, wo Hermann der Cherusker (die Römer nannten ihn Arminius) 9 n. Chr. Varus’ Legionen vernichtend geschlagen hatte? Im Teutoburger Wald.  Der war den Römern viel zu dunkel, zu morastig, kurzum: zu unübersichtlich. Nicht so den Germanen. Die Liebe zum Wald geht den Deutschen so weit, daß Elias Canetti in seinem (übrigens höchst lesenswerten) philosophisch gehaltenen Opus »Masse und Macht« (1960) den Wald als das „Massensymbol“ der Deutschen identifizieren konnte. Das Massensymbol zum Beispiel der Franzosen – also das, was im Kern verbindet – sei dagegen ihre Revolution. Und so kam es, daß die Franzosen das deutsche Waldsterben zunächst belächelt haben – nur um es dann als Lehnwort, „Le Waldsterben“, zu übernehmen. Bolle lieebt der Franzosen Feingefühl für Sprache.

Zwar wurde der Wald in den 1980er Jahren nicht wirklich „gerettet“. Vielmehr wurden die kranken Bäume geschlagen – was sich selbstredend erfreulich auf die Schadensstatistik ausgewirkt hatte. Auch hat die Post 1985 eine Briefmarke mit dem Aufruf „Rettet den Wald“ herausgebracht –  graphisch untermalt mit einer Uhr, die auf etwa drei Minuten vor zwölf steht. Immerhin.

Was hat das mit uns hier und heute zu tun? Nun, die frühen 1980er Jahre sind mittlerweile 40 Jahre her. Passiert ist seitdem – nüscht. Auch war das keineswegs der Anfang. Ansätze zu einer vernünftigen (neudeutsch: „nachhaltigen“) Forstwirtschaft lassen sich bis mindestens 1884 zurückverfolgen. Damals hieß das noch „Dauerwald“ – wobei „Dauer“ im semantischen Netz nicht allzu weit von „nachhaltig“ entfernt ist.

Kommen wir zum Punkt: Bolle befürchtet, daß die Staatsorganisationsform ›Demokratie‹ für die Lösung schwelender Probleme alles andere als erste Wahl ist. Solange es nur schwelt, neigen Demokraten zu einer „Kieken wa ma“-Einstellung. Erst wenn die Hütte brennt – oder gar die Jacke – beginnt das große Flattern. Corönchen ist da wohl das beste Beispiel. Bolle meint: So kann man zwar Symptome bekämpfen, aber keine Probleme lösen – und verweist kühl auf unseren Beitrag von gestern nebst dem Verweis auf Tobin (Di 02-02-21 Von Gänseblümchen und Brennesseln). Also, was tun? Demokratie abschaffen? Das wohl lieber nicht. Aber eine gewisse Feinjustierung kann vielleicht nicht schaden. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 23-02-21 Wo bleibt denn da das Positive?

Wo bleibt denn da das Positive?

Nichts liegt Bolle ferner als übertriebener Zynismus. Und das, obwohl in seinem semantischen Netz »Zynismus« lange nicht so abwertend („negativ“) besetzt ist wie der Geist der Zeiten das gegenwärtig sehen mag. Wir hatten diesen Punkt neulich schon mal gestreift (vgl. So 07-02-21 Shit happens). Wer mag, mag dort nachlesen.

Wo zeigt sich nun das Positive? Womöglich nur im Corönchen-Test. Wirklich aufbauend ist das nicht – das sieht Bolle ein. Nun gibt es, um einen „positiven“ Corönchen-Test zu vermeiden, im Grunde genau zwei Möglichkeiten: a) sich nicht infizieren oder b) sich gar nicht erst testen lassen. Auf Dauer aber – auch das sieht Bolle ein – wird sich letzteres wohl kaum vermeiden lassen. Nicht in Urlaub fahren dürfen mangels „negativem“ Testergebnis? Geschenkt. Bolle entspannt sich regelmäßig bei der Arbeit und ist demnach wenig urlaubs-affin. Nicht in den Klub dürfen aus gleichen Gründen? Ebenfalls geschenkt. Spätestens dann aber, wenn man ohne „negativem“ Testergebnis nicht mal mehr in den Supermarkt darf, wird’s eng. Genau das aber wird kommen. Zwar traut sich bislang noch kein einziger der demokratischen Würdenträger, das offen auszusprechen. Aber der Journalismus 2.0 arbeitet erkennbar und mit Fleiß daran, das Volk auf ebendieses einzustimmen. Bürgerliche Freiheitsrechte? Selbstverständlich – wir leben ja schließlich in einem demokratischen Rechtsstaat. Aber bitteschön doch nur für „gute“ Bürger – und nicht für jeden Lumpi, der verantwortungslos „sich und die anderen“ gefährden tut. Demokratie ist schließlich, wie wir bereits gesehen haben, ›die Herrschaft der Guten‹ (siehe So 06-12-20 Das sechste Türchen — Nikolausi …). Nur brauchen die Guten manchmal eben ein Weilchen, bis sie einsehen, was gut ist und was nicht: „Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum“ (Ihr werdet sein wie Gott und Gut und Böse unterscheiden können). Das hat ausgerechnet Mephistopheles dem jugendlichen Schüler in sein „Stammbuch“ geschrieben (Faust I, Zeile 2048) – nicht ohne hinzuzufügen: „Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!“ (Zeile 2050). Im Grunde war das – obschon nicht ganz neu – der Anfang demokratischer Rechthaberei. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.