Di 09-02-21 Wenn Corönchen kapitalistisch wäre …

Wintergarten. Besten Dank an Mü für die Zusendung.

Bolle ist verwirrt. Da hämmert man uns – zumindest im Westen – jahrzehntelang ein, daß der Markt die geniale Antwort der klassischen Ökonomen auf die allgegenwärtige Knappheit sei.  Manche gehen dabei sogar so weit zu erklären, daß „der Markt“ in der Tat jegliche Knappheit beseitigt – und zwar restlos. Und das nicht etwa erst in ferner Zukunft – wie man sich das in östlicheren Gefilden des Landes von fortgesetzter Planübererfüllung erhofft hatte – sondern hier und heute, jeden Tag. Die Logik geht in etwa wie folgt: (1) Begrenzte Produktionskapazitäten stoßen auf potentiell unbegrenzte materielle Bedürfnisse. (2) Folglich kann nicht jeder (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) alles haben, was er gerne hätte. (3) Demnach brauchen wir einen Verteilungsmechanismus, der regelt, wer welche „knappen Güter“ kriegt und wer leer ausgehen muß. Die Lösung der klassischen Ökonomen ist ebenso verblüffend einfach wie naiv: „Der Markt“ – präziser gesagt: die Freie Marksteuerung, vulgo „der Kapitalismus“ – setzt die Preise solange hoch, bis einem Großteil der Nachfrager die Freude an der Nachfrage vergeht. Wenn also einer gerne einen schicken Lamborghini hätte – oder auch nur eine „bezahlbare“ Wohnung da, wo seine Eltern und Großeltern schon gewohnt haben – dann läßt sich seine „Haben-wollen-Intensität“ ganz einfach an seiner Bereitschaft messen, den Kaufpreis bzw. die Monatsmiete auf den Tisch zu blättern. Und wer nicht will, der hat offenbar schon. Und falls einer doch mehr Bedürfnisse haben sollte als er sich leisten kann: Nun – es steht jedermann frei, sich anzustrengen und seine Einkünfte entsprechend zu steigern. It’s a free country after all. Die Logik ist in der Tat bestechend – kommt dabei aber, wie gesagt, nicht ohne ein gerüttelt Maß an Naivität bzw. gar Lebensferne aus. Und doch ist genau das die auf den Kern runtergebrochene kapitalistische Markt-Logik. Komplizierter ist es an dieser Stelle wirklich nicht.

Was hat das alles mit Corönchen zu tun? Nun, wenn Corönchen konsequent kapitalistisch wäre, dann würden diejenigen das kriegen, was sie unbedingt haben wollen – in diesem Falle also den „rettenden Impfstoff“ – die bereit sind, die meiste Knete auf den Tisch zu blättern. Ihre überdurchschnittliche „Zahlungsbereitschaft“ ist nach dieser Logik nämlich nichts anderes als der Spiegel des überdurchschnittlichen „Nutzens“, den das Vakzin bei ihnen zu stiften vermag. Bilderbuch-Ökonomen sprechen hier auch gerne von „optimaler Ressourcen-Allokation“ – und in gewisser Weise haben sie sogar Recht.

Kurzum: Die kapitalistische Logik befreit uns von allen Nöten. Wer (am meisten) zahlt, hat Recht. Wer nicht bereit ist, (am meisten) zu zahlen, dem scheint die Sache nicht so wichtig zu sein. Und wer zwar bereit wäre, aber schlechterdings nicht in der Lage ist, (am meisten) zu zahlen, der mag sich demnächst halt mehr anstrengen und folglich auch mehr verdienen. Dann wird das schon.

Wenn wir dieser „kapitalistischen“ Logik nicht folgen wollen – und offenbar sind sich die Entscheidungsträger im Lande in diesem Punkt zur Zeit einig – dann brauchen wir einen anderen Mechanismus, der (übermäßige) Nachfrage mit (dem sehr viel knapperen) Angebot in Einklang bringt. Einen solchen Mechanismus gibt es in der Tat: Wir nennen es »Triage«: triager bedeutet in der militärischen Fachsprache ›auswählen‹ – und zwar wiederum nach einer Optimierungsregel – hier also den bestmöglichen Nutzen (möglichst viele „retten“) bei realisierbarem Aufwand (die Zahl der Rettungssanitäter ist regelmäßig begrenzt) zu erzielen.

Beiden Mechanismen – Marktsteuerung und Triage – liegt also ein Optimierungskalkül zugrunde. Der Unterschied: Während sich bei der Marktsteuerung die „Abgehängten“ sozusagen „selber triagieren“, muß bei der eigentlichen Triage ein Arzt, ein Pfleger, ein Sanitäter, oder wer auch immer, die Entscheidung treffen. Und das tut weh – vor allem, wenn man solche Entscheidungen (buchstäblich „auf Leben und Tod“) nicht zu treffen gewohnt ist.

Das war’s dann aber auch schon. Dumm nur, wenn man dabei auf potentiell „Abgehängte“ trifft, die von all dem nichts wissen wollen, und in völliger Ignoranz der Mangellage ihr individuelles Recht auf Weiterexistenz lautstark einfordern – und dabei womöglich auch noch massenmediale Unterstützung erfahren. Auf diese Weise geraten wir aber unversehens in die Abteilung „unlösbare Probleme“. Mit unlösbaren Problemen soll man sich aber möglichst nicht weiter befassen. Im übrigen wäre das dann auch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mo 08-02-21 Die arrogante Ignoranz der Mächtigen …

Lili Marleen — still going strong.

»Ignoranz« leitet sich ab von lat. ignorare ›nicht wissen, nicht wissen wollen‹. Ein Phänomen, das unter den Mächtigen dieser Welt weit verbreitet ist. Und das leuchtet ja auch ein. Je mehr einer weiß, oder gar wissen will, desto mehr lähmt das die Entscheidungsfindung. Gelehrtenrepubliken jeglicher Art (von Friedrich Gottlieb Klopstock 1774 bis Arno Schmidt 1957) gelten nach wie vor als utopisch und vor allem als dysfunktional. Praktikabler scheint Bolle da das klassische Macher-Motto: Avanti dilettanti. Vulgo: wird schon – kieken wa ma. Kurzum: übertriebene Reflektion stört die Macher nur beim Machen. Untertriebene Reflektion dagegen führt oft zum Verlust jeglichen Gefühles für das Suject – und lockt damit potentiell den „Volkszorn“ an wie die Motten das Licht. Damit wären wir bei Arroganz. Das immer gleiche Ende vom Lied: à la lanterne. Nicht, daß Bolle das befürworten würde: Bolle gönnt allen ein langes, glückliches und erfülltes Leben (vgl. dazu auch Do 04-02-21 Höret auf den Herrn …). Auch muß man heute keinen mehr aufhängen oder sonstwie vom Leben zum Tode befördern.  Erstens wäre das – zumindest zur Zeit – sowieso voll verfassungswidrig (Art. 102 GG: Die Todesstrafe ist abgeschafft) – und zweitens reicht es in aller Regel ja völlig aus, jemandem zum Beispiel die Scheckkarte zu sperren. Gleichwohl: der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht. Immer, immer wieder …

Was hat das mit uns zu tun? Bolle hat gestern erst erfahren, daß die Spätis (auswärts: Kioske, Büdchen, etc. pp.) in manchen Bezirken in Berlin sonntags nicht mehr sollen öffnen dürfen – und fragt sich, wem zum Teufel das denn possibly nützen soll? Den Späti-Betreibern sicherlich nicht. Der verpeilten Kundschaft vielleicht – auf das sie lernen möge, sich sonnabends schon mit dem Wochenend-Bedarf einzudecken? Möglich, aber unwahrscheinlich. Was dann? Wir wissen es nicht. Auch wird die Maßnahme nicht einmal mit Corönchen begründet – das wäre auch zu albern. Vielmehr wurde hier das Berliner Ladenöffnungsgesetz von 2006 aus irgendeiner Schublade hervorgekramt – ein Gesetz, von dem bislang niemand, wirklich niemand in der Stadt jemals irgendwas gehört hat.

Aber vielleicht ist Corönchen ja in der Tat nur die Hintergrundfolie für ein Spiel namens „Kieken wa ma, was geht“ – bevor das Volk richtig schlechte Laune kriegt. Wie gesagt: Der Krug geht zum Brunnen, bis er bricht. Aber das ist dann letztlich doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 06-02-21 Multiples Organversagen: Der Globus quietscht und reihert …

Trösterchen — in Mainzer Mundart.

Der Begriff »Trösterchen« (zumindest in der Form »Trostpflaster«) findet sich schon im Grimm’schen Wörterbuch von 1885. Doch das nur am Rande.

Das „multiple Organversagen“ als Analogie zum Zustand der Erde hat Bolle in einem Interview mit Matthias Glaubrecht aufgeschnappt, der 2019 ein Buch mit dem doch etwas reißerischen Titel »Das Ende der Evolution« vorgelegt hat. Laßt uns lieber nicht hysterisch werden. Allerdings könnte es durchaus sein, daß manches, was da in absehbarer Zukunft auf uns zukommen könnte, so manchem (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) so rein gar nicht schmecken wird. Seit Malthus (1798) – das ist auch schon wieder über 200 Jahre her – ist klar, das ein System, das nicht gesteuert wird („preventive check“) dazu neigt, sich selber zu steuern („positive check“) – mit welchem Ergebnis auch immer. Übrigens war Malthus seinerzeit vorsichtig genug, sein Werk zunächst nur unter Pseudonym zu veröffentlichen.

Was können wir an dieser Stelle tun? Mehr als eine Shortlist der drängendsten Probleme ist hier unmöglich drin – immerhin verbunden mit dem Versprechen, auf diesen oder jenen Punkt zu gegebener Zeit zurückzukommen.

Betrachten wir als erstes die Weltbühne: Da hätten wir zunächst Corönchen – ein Virus, das die Frechheit hat, auch noch zu mutieren. Kiek ma eener an. Dann hätten wir aktuell noch Endlager – wo allein der Begriff auf eine ziemlich naive Vorstellung von „Ende“ schließen läßt. Sagen wir so: Eine Zivilisation, die von den ersten Anfängen an (neolithische Revolution) seit maximal 10.000 Jahren besteht, schickt sich an, ihren Zivilisationsmüll für die nächsten 100.000 Jahre, oder länger, zu verbuddeln. Was soll man da noch sagen? Da gehören die aktuellen Probleme mit Rußland (pöser, pöser Putin) fast schon in die Kategorie Petitessen. Deutlich krasser steht es da ums Klima – von dem man übrigens schon länger nicht mehr allzu viel gehört hat. Im Gegenteil: die politischen Eliten versuchen uns einzureden, daß wir nach der „Rückkehr zur Normalität“ aus den Corönchen-Schulden rucki-zucki (also zu Lasten des Klimas) wieder „rauswachsen“ werden. Bolle meint: Geht’s noch? Sonst keene Idee? Migrationsprobleme? Klären wa nach Corönchen. Dabei war es ausgerechnet Migration, die 1.000 Jahren römischer Weltherrschaft den Garaus gemacht haben. Das aufkommende Christentum hat dann nur den Rest erledigt. Platz 1 der Probleme auf der Weltbühne gebührt aber wohl unangefochten der desaströsen Bevölkerungsentwicklung. Hier ist zur Zeit keinerlei Lösung in Sicht – nicht einmal die Einsicht in das Problem.

Auf der politischen Ebene haben wir es mit einem veritablen blinden Fleck in puncto Verantwortung zu tun. Alle schreien laut und gut hörbar nach Freiheit. Daß Verantwortung aber nun mal unbestreitbar die große Schwester der Freiheit ist? Sollen doch kommende Generationen klären. Dazu kommt der fehlende Sinn für jede Form von Beißhemmung. Wenn’s der „guten Sache“ dient, ist jedes Mittel recht. Wobei die „gute Sache“ selbstredend immer nur die eigene Sache ist – also nicht etwa und schon gar nicht die von Putin, zum Beispiel. Sancta simplicitas, meint Bolle. Drittens schließlich müssen wir hier auch das unzureichende Verständnis dessen, was es heißt, ein Volk zu „einen“, erwähnen. Alle haben sich lieb? Bolle könnte glatt kotzen ob so viel Einfalt.

Die Hauptprobleme auf der wissenschaftlichen Ebene sind und bleiben wohl das unzureichende Verständnis der Exponential-Funktion sowie der Bedeutung von NashGleichgewichten.

Auf der sozialen Ebene schließlich haben wir es in erster Linie mit Geschichtsblindheit zu tun („Geschichtsvergessenheit“ wäre hier das falsche Wort: vergessen setzt voraus, daß da mal was gewußt wurde – wovon wir aber durchaus nicht ausgehen können). Dazu kommt eine ausgeprägte Erregungsneigung (hier von „Kultur“ zu sprechen wäre wiederum schamlos überzogen). So richtig zur Geltung kommt das allerdings erst durch den Journalismus 2.0 als veritablem Erregungsverstärker – so eine Art soziales Viagra, was durchaus nicht dem ursprünglichen Verfassungsauftrag als „vierte Gewalt“ entspricht. Immerhin: So hat man was zu berichten. Wie aber wär’s mit einfach mal stille schweigen? Hinzu kommt schließlich und letztlich noch die offenkundige Unfähigkeit bzw. zumindest Unwilligkeit, anstehende Probleme zu priorisieren und einer gebührlichen Reihenfolge nach abzuarbeiten. Nein – gendergerechtes Gequatsche ist derzeit nicht das wichtigste Problem, das wir haben auf der Welt.

Soweit unsere Abarbeitungs-Liste. Lang genug isse ja …

Wenn Bolle ein Spielautomat wäre, dann hätte er – ohne das auch nur im entferntesten  defaitistisch zu meinen – vermutlich längst ein fröhliches „Game over“ ausgespuckt (vgl. dazu Di 22-10-19 Rente mit 69). Vor allem bei gepflegteren Spielen wie etwa Schach gibt man die Partie ja auch verloren, bevor der König endgültig umgehauen wird.

Übrigens: Den Begriff „reihern“ gibt es wirklich. Bolle hat das überprüft. Es bedeutet ›heftig kotzen‹ und findet sein Bedeutungsmotiv erstaunlicherweise im dünnflüssigen Kot (!) des einschlägigen Federviehes. Aber erstens weiß so etwas heute ohnehin kaum einer mehr – darum erwähnen wir es ja – und zweitens wäre das ohnehin ein durchaus anderes Kapitel.

Fr 05-02-21 What a wonderful world …

What a wonderful world.

Wat meenste, Bolle? Übersetzen? Besser isset. Wir ham so viel Leserschaft, die besser Russisch kann als Englisch. Nun denn:

Der bunte Regenbogen hoch am Himmelszelt
Leuchtet in den Augen der Leute auf der Welt.
Freunde schütteln die Hand, fragen: Hey, alles frisch?
Aber meinen im Grunde: Ich liebe Dich.

Und ich denke für mich: Was eine herrliche Welt.

Das war 1967. Schon damals war nicht alles Gold, was glänzt – auch und vor allem nicht in den USA. Dort gab es seinerzeit schwere Rassenunruhen mit dem „long, hot summer of 1967“. Manches hat sich seitdem zum Besseren gewendet. Manches aber durchaus nicht. Freunde, die sich, weil sie sich lieben, die Hand schütteln? In Corönchen-Zeiten völlig undenkbar. Abstandsgebot! AHA-Regeln!

Bolle fragt sich: Könnte es nicht vielleicht doch sein, daß es (wie Bolles Freund Franko San das vor vielen Jahren schon postuliert hat) so eine Art „kosmische Freud-/Leid-Konstante“ gibt – daß also jeder Fortschritt, den wir als Menschheit an irgendeiner Stelle erzielen, mit einem entsprechenden Rückschritt an anderer Stelle bezahlt werden muß? In der Summe also Null? Probleme also nur auf höherem Niveau – wenn überhaupt? Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 04-02-21 Höret auf den Herrn …

Höret auf den Herrn.

Die Blöße des Fleisches bedecken von der Nase bis ans Kinn wider seinen Nächsten? Kommt einem bekannt vor. Offen bleiben muß indes, ob es in dieser Adaption in der Tat der Herr ist, der das fordert – und bei Zuwiderhandlung seinen Zorn ergrimmen läßt –, oder ob es sich hierbei nicht doch eher um schnödes Menschenwerk (in Gestalt von Bolle, etwa) handelt.

Für ein solides Zwischenfazit ist es – auch ein Jahr nach „Ausbruch“ der „Pandemie“ – wohl noch zu früh. Vorläufig bleibt nur das Erstaunen darüber, was plötzlich alles möglich ist und vor allem, wo, wenn es zum Schwur kommt, die Werte der Gesellschaft liegen. Was geht, Alter? Was guckst Du? Leben sticht Würde – das haben wir schon geklärt (vgl. dazu Mi 16-12-20 Das sechzehnte Türchen …). Was anderes war von notorischen Bangbüchsen auch nicht zu erwarten. Allerdings versteht Bolle unter diesen Umständen immer noch nicht, wieso bei der gegebenen Prioritätenlage Autofahren nach wie vor erlaubt ist (vgl. dazu So 03-01-21 Step by step …). Von öffentlichem Nahverkehr – der zur Zeit vermutlich noch sehr viel gefährlicher sein dürfte als Autofahren – ganz zu schweigen.

Was Bolle einleuchten würde: Wir steuern mit Schmackes auf eine Gerontokratie zu (neudeutsch: „Seniorendemokratie“) – und ausgerechnet dieses Jahr wird ein „Superwahljahr“ werden. Wenn Bolle sich nicht verzählt hat, dann stehen neben der Bundestagswahl nicht weniger als 5 Landtagswahlen an. Und Senioren sind nicht zuletzt auch Wähler – so ist das nun mal in einer Demokratie. Wie heißt es doch sinngemäß bei Faust? Zum Amte drängt, // Am Amte hängt // Doch alles. Ach wir Armen! (Zeilen 2802–2804). Das würde auch erklären, warum ein Impfstoff in der Hand so viel wichtiger ist als ein Impfstoff auf dem Dache – also in anderen Ländern. Im übrigen wünscht Bolle allen und jedem (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) ein langes, glückliches und erfülltes Leben. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 30-01-21 Denken nützt …

Denken nützt.

Heute konnten wir in den bildungsbürgerlichen Medien erfahren, daß Statistiker ermittelt haben, daß die sogenannte „Übersterblichkeit“ in Deutschland zur Zeit bei 5% liegt – daß zur Zeit also 5% mehr Leute sterben als sonst. Kiek ma eener an, meint Bolle und verweist auf unseren Beitrag von neulich, Mo 25-01-21 Live forever? Dort hatten wir locker überschlagen, daß in Deutschland regelmäßig und sowieso Jahr für Jahr 1 Mio Leute sterben – wobei gegenwärtig etwa 50.000 Corönchen zugerechnet werden. Nun ist es so, daß 50.000 geteilt durch 1 Mio zufälligerweise justamente 5% ergibt. Dafür braucht man weiß Gott keine Statistiker – und erst recht keine Mathematiker. Das kann jeder Taschenrechner.

Natürlich möchte Bolle mitnichten „arrogant“ rüberkommen. Aber ein wenig verwundert ist er schon, mit welcher Gründlichkeit – um nicht zu sagen: Scheingenauigkeit – seit Monaten neben den regulären Nachrichten in ungezählten „Extras“ und „Spezials“ über R-Werte, Inzidenzwerte, Verstorbene, „Genesene“ und weiß der Teufel was sonst noch auf die Einerstelle genau (!) berichtet wird. Besonders pikant findet Bolle den regelmäßigen Hinweis, daß es sich hierbei nur um Datenmüll handeln kann (so sagt das natürlich keener – aber genau darauf läuft es hinaus), unter anderem, weil „am Wochenende weniger Daten gemeldet“ würden. Bolle meint: Wie man aus Daten schwankungsbereinigte Trends ermittelt, ist den Statistikern seit mindestens 100 Jahren klar. Warum dann das Volk Tag für Tag sinnlos zumüllen? Weil es „gefühlt“ mehr zu berichten gibt? Weil es die Leute in „gefühlter“ Dauer-Alarmbereitschaft hält? Wenn das mal gutgeht auf die Dauer … Aber das ist dann doch vielleicht schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mi 27-01-21 Wahn und Wirklichkeit

Wahn und Wirklichkeit in der Dreigroschenoper.

„Wahn“ – das ist den meisten nicht klar – ist ein uraltes Wort. Der Ursprung läßt sich zurückverfolgen bis ins Althochdeutsche und darüber hinaus ins Germanische, Gotische und Altnordische. Und überall bedeutet es das gleiche – nämlich ›Hoffnung, Erwartung‹. Man könnte auch sagen: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Die semantische Nähe zu „Wahnsinn“ dagegen ist vergleichsweise jung. Um vermeidbaren Konfusionen vorzubeugen, sollten wir uns besser auf „Wunsch und Wirklichkeit“ verständigen.

Die Wirklichkeit taucht regelmäßig im Singular auf – auch wenn die Perspektiven darauf höchst vielfältig sein mögen. Der Wünsche dagegen gibt es furchtbar viele. Auf den Brecht’schen Punkt gebracht: Wer plant, muß wählen. Damit ist zwar noch lange nicht gesagt, daß der Plan dann auch „geht“. Aber immerhin: It’s a start. Aber wählen – man könnte auch sagen: entscheiden – ist beileibe nicht jedermanns Sache. Und das ist karrieretechnisch ja auch durchaus klug. Wenn einer sagt: Dieses will ich, jenes nicht – dann hat er, namentlich in einer pluralistischen und massenmedial gesteuerten Gesellschaft, sofort alle am Hals, die exaktemente das Gegenteil wollen. Und wenn sich – rückblickend betrachtet – mehr oder weniger „nachweisen“ läßt, daß das ursprünglich Gewollte in eine Sackgasse geführt hat oder zumindest schwere „Nebenwirkungen“ mit sich gebracht hat, dann steht’s schlecht um die weitere Karriere. Folglich produziert „das System“ scharenweise Leute, die sich vernünftigerweise immer schön bedeckt halten. Einer Problemlösung, die den Namen verdient, kommt das allerdings  weniger zugute. So ist das nun mal bei Nash-Gleichgewichten. Sei’s drum.

Was hat das alles mit Corönchen zu tun? Corönchen – das scheint Bolle das Gute daran – wird uns zwingen, unsere vielfältigen Wünsche mit der einen Wirklichkeit abzugleichen. Im Zweifel gewinnt die Wirklichkeit – egal, was wir für wünschenswert halten. Im Moment sieht es ganz danach aus, als würden die „Markt-Taliban“ – die die letzten Jahrzehnte absolut die Oberhand hatten –  ein wenig in die Defensive geraten. Und das ist wohl auch gut so – andererseits dann aber doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 26-01-21 Live forever, again

Relative Corönchen-Anfälligkeit nach Lebensalter.

Nach unserem Beitrag von gestern (Mo 25-01-21 Live forever?) haben uns einige Rückmeldungen erreicht: Der wundersame Rückgang bei den über 90-jährigen könne ja wohl nur daran liegen, daß es von denen nicht mehr allzu viele gebe. Besten Dank dafür. Bolle – wie geht man mit so etwas um? Kein Problem – wir rechnen die Verteilung der verschiedenen Altersgruppen einfach raus. Gesagt, getan. Damit ergibt sich eine neue Graphik – die das Gemeinte allerdings nur noch unterstreicht.

In den Psaltern 90, 10 heißt es: Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon.

Das aber ist – man kann es kaum anders sagen – die conditio humana auf den Punkt gebracht. Kommen wir damit klar. Sagen wir so: Die Wahrscheinlichkeit, das nächste Jahr (oder die nächsten Jahre – darauf kommt es nicht an) zu überleben, sinkt mit zunehmendem Lebensalter. Und nichts anderes spiegelt sich in unserer Corönchen-Anfälligkeits-Statistik: Je älter, desto anfälliger fürs Ableben. Kann man unter diesen Umständen sagen, daß Corönchen ursächlich ist – oder ist es einfach nur auslösend? Ein Trigger, auf neudeutsch. Bolle vermutet letzteres.

Das aber legt einmal mehr nahe, daß Corönchen eher ein psychologisches Problem auf der Ebene „letzte Fragen“ ist und weniger ein medizinisches. Wir haben es hier und überhaupt mit einer Population zu tun, die mit ihren dringend anzuratenden agnostisch-kontemplativen Exerzitien schwer ins Hintertreffen geraten ist. Bedauerlich – aber auf die Schnelle kaum zu ändern. Philister – alles Philister. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mo 25-01-21 Live forever?

Relativer Exitus nach Lebensalter.

Manche Dinge werden Bolle erst so richtig klar, wenn er eine Graphik vor Augen hat. Wenn die Angaben nicht lügen – wovon wir mangels besseren Wissens einmal ausgehen wollen – dann kann man Corönchen eigentlich nur als ›Rentnerproblem‹ einstufen. Nach entsprechender Datenverdichtung ergibt sich nämlich, daß 92,7% der Dahingeschiedenen auf Rentner entfallen. Das sind fast alle. Natürlich gönnt Bolle allen und jedem (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) ein möglichst langes und auch möglichst erfülltes Leben. Indes: Macht bei dieser Datenlage die feine Unterscheidung zwischen „an Corönchen“ und „mit Corönchen“ überhaupt noch irgendeinen Sinn? Oder ist Corönchen nur ein, zugegeben: auffälliger, Auslöser für den finalen Exit, der uns Menschen als sterblichen Wesen nun einmal bestimmt ist? Ist nicht jede andere denkbare Sichtweise im Kern frevelhaft, hybrid – oder gar gottlos?

Bevor wir hysterisch werden – hier die frohe Botschaft. Aus der Tatsache, daß 92,7% der Dahingeschiedenen Rentner sind, folgt nicht, daß furchtbar viele Rentner dahingeschieden sind. Noch liegt die Sterblichkeit insgesamt bei lediglich 0,6‰. Das ist so gut wie Null. Nun könnte man dagegenhalten und argumentieren, daß sie damit absolut gesehen bei über 50.000 liegt – und das seien 50.000 zuviel. Wiederum umgekehrt sollten wir uns aber auch klarmachen, daß in einem Land mit einer Wohnbevölkerung von etwa 80 Millionen und einer Lebenserwartung von in etwa 80 Jahren natürlicher- bzw. auch statistischerweise ohnehin 1 Mio Einwohner pro Jahr das Zeitliche segnen. Das, so meint zumindest Bolle, relativiert die 50.000 doch sehr. Könnte es nicht vielleicht sein, daß wir es hier weniger mit einem medizinischen Problem und nicht doch eher mit einer Form von anthropozentrischem Totalitarismus zu tun haben? Frei nach dem Motto: Let’s live forever. Fuck the rest of all. Das aber ist dann doch schon wieder ein definitiv anderes Kapitel.

Fr 22-01-21 Vom Wollen und Verwirklichen

Der Turing-Test in Bolles Adaption.

Die IT-Technologie hatte in den 1940er Jahren für damalige Verhältnisse gigantische Fortschritte gemacht. Weder der Bau der Atombombe noch die Entschlüsselung der ENIGMA wäre ohne „Maschinen“ – wie die Rechner damals noch hießen – möglich gewesen. Damit kam die Frage auf, was passieren müsse, um eine Maschine als „intelligent“ einstufen zu können bzw. gar zu müssen. So kam es 1950 schon zum (später) so genannten „Turing-Test“: Wenn ein Mensch sich über längere Zeit mit einer Maschine austauschen würde, ohne seinen „Gesprächspartner“ als Computer „entlarven“ zu können, dann müsse man – so Turing – davon ausgehen, daß die Maschine „intelligent“ sei. Der Clou dabei: Wir reden hier nicht von humanoider Intelligenz. Der konnten und wollten die frühen Nerds schon damals nicht allzu viel zutrauen. Falls Ihr Zweifel habt: Fragt Euch doch mal kurz, was die dritte Wurzel aus 4711 ist? Und dann fragt mal Euren Taschenrechner. Die Antwort ist etwa 16,76374. Und? Wer war schneller? Oder zählt mal kurz durch, wie oft der göttliche Zuspruch „Fürchte Dich nicht“ in der Bibel vorkommt. Eine Maschine erledigt so etwas in sekundenschnelle. Oder versucht mal, einen modernen Schachcomputer zu schlagen. Fassen wir zusammen: Maschinen ticken anders – und können dabei sehr, sehr vieles sehr viel besser als humanoide Intelligenz das jemals können wird. Damit stellt sich früher oder später – nach heutigem Stand eher früher – die Frage: Wer hat auf Dauer das Sagen? Maschinen oder Menschen? Diese und ähnliche Überlegungen veranlaßten Turing damals schon zu der verschärften Fassung – daß also Maschinen auf die Idee kommen könnten, daß Menschen letztlich gar nicht denken können.

Und? Was sagt Bolle? Schlimmer geht immer. Wir hatten diesen Punkt am Rande schon mal kurz gestreift – vgl. dazu Fr 04-12-20 Das vierte Türchen … Bei ›Alice in Wonderland‹ heißt es ganz treffend:

– Könntest Du mir bitte sagen,
wie ich von hier aus am besten weiterkomme?
– Das hängt schwer davon ab, wo Du hin willst …

Kurzum: Solange man nicht weiß, wo man hin will, muß man sich nicht wundern, wo man ankommt – falls überhaupt irgendwo. Können die Maschinen das nicht für uns ausrechnen? Nein, können sie nicht. Wo wir hinwollen, müssen wir schon selber wissen. Und wenn wir uns nicht trauen zu wollen, sieht’s finster aus – furchtbar finster. Übertrieben? I wo. Hier ein einziges, klitzekleines Beispiel aus den heutigen Nachrichten: Wir wollen (1) „Freie Grenzen in Europa“ und wir wollen (2) „Die Pandemie eindämmen“. Ja, was denn nun? Idealerweise beides – und zwar gleichzeitig. Das funktioniert aber absehbar nicht.

Eine Maschine würde kühl zwei Eingaben erwarten:
Was sind die Zielparameter (was wollt Ihr erreichen)?
Was sind die Aktionsparameter (an welchen Stellschrauben ließe sich drehen)?

Und wenn wir dann bei Zielparameter „Friede, Freude, Eierkuchen“ nebst „Demokratie und Freiheit“ und vielleicht auch noch „heal the world“ eingeben, dann wird jede Maschine – und sei es die intelligenteste – ein fröhliches „Error“ ausspucken: Gleichungssystem nicht lösbar. Ein humanoides soziales System – insbesondere eine Demokratie – braucht da deutlich länger, um zum gleichen Ergebnis zu gelangen. Das indes geht absehbar so lange so weiter, bis die Maschinen dann letztlich doch zu dem Ergebnis kommen, daß Menschen in der Tat nicht denken können – und nicht einmal zu wollen wissen. Aber das ist dann wirklich doch schon wieder ein anderes Kapitel.