Mo 12-04-21 Journalismus als Beruf?

Erde, wem Erde gebührt.

Keine Sorge – mit dem ganzen »Laschet gegen Goliath«-Geflatter (vgl. So 11-04-21 Laschet gegen Goliath) wollen wir uns nicht befassen. „Oh Gott, welch’ Überraschung“, hieß es heute, wenig überraschend, quer durch die gesamte Medienlandschaft.

Werfen wir also einen Blick auf die Spannungen, die der Journalismus 2.0, wie’s scheint, mit seinem eigenen Gegenstand hat. Mit Politikern kann man ja noch leben. Aber das Volk? Alles Covidioten – und bringt wohl gar die Pressefreiheit in Gefahr (vgl. dazu auch Do 07-01-21 Journalismus 2.0). Wozu haben wir denn Art 5 I 2 GG?

Das Argument der Medienschaffenden geht dabei in etwa wie folgt: Wir wollen doch nur, friedlich und objektiv, of course, berichten. Das Volk aber wirft, wie gemein ist das denn, mit Gegenständen nach uns. Was für Gegenstände das waren, konnten wir auf die Schnelle leider nicht recherchieren. So ist das nun mal, wenn man auf der Flucht ist.

Das Volk dagegen meckert ob der Oberflächlichkeit und fühlt sich in seinem tiefen Sehnen nicht gesehen. Maske auf? Abstand eingehalten? Alles klar. Korrekte Demo. Brave Demonstranten. Gute Bilder. Das eigentliche Anliegen, also das, worum es geht und was die Leute interessieren könnte, gerät dabei sehr leicht ins Hintertreffen.

Daß man sich im Freien nicht anstecken – und auch andere nicht anstecken kann, erfahren wir, nach nunmehr immerhin zwei Jahren „Pandemie“, eher beiläufig. Bolle meint: Da hätte man schon früher mal einen Physiker fragen können, was es mit Aerosolen so auf sich hat. Aber wenn man doch nun mal so herrlich auf Virologen eingeschossen ist?

Und? Was macht der Journalismus 2.0 statt dessen? Berichtet allen Ernstes von möglichem Fehlverhalten der Ordnungshüter bei einer Demo in Stuttgart. Viel zu lasch – überhaupt nicht wehrhaft und nicht staatstragend genug. Übrigens: Die Demo fand im Freien statt.

Tucholsky, oder auch Kästner, haben sich seinerzeit noch höchstpersönlich die Mühe gemacht, durch Berliner Kneipen zu ziehen – und zwar sowohl durch Nazi- als auch durch Kommunistenkneipen –, sich Aug’ in Auge mit den Leuten unterhalten, um so der Leserschaft die Lage gehörig zu erhellen. Richtiger Journalismus, eben. Was die beiden, um das klarzustellen, dagegen nicht getan haben: Sie haben nicht etwa ihre Ausrüstung aufgebaut – schon gar nicht vor der Kneipe. Auch haben sie keine „Schalte“ aufgemacht, um dann mit aufgeregtem Gestus zu berichten, was drinnen in der Kneipe vor sich geht. Bei so viel journalistischem Feingefühl hätten sie sich übrigens auch nicht wundern müssen, wenn sie ab und an mal eine aufs Maul gekriegt hätten. Soweit zur Hauptstadtberichterstattung. Von Hemingway oder Churchill – also echten Kriegsberichterstattern – wollen wir hier gar nicht reden. Möglicherweise hat Bolle ein übermäßig idealistisches Bild von echtem Journalismus. Indes: schlimmer geht immer.

Eigens für den Irakkrieg hatten die Amerikaner 2003 den Embedded Journalism erfunden – wohl um zu vermeiden, daß sich wehrkraftzersetzende Bilder wie jene aus dem Vietnamkrieg wiederholen können. Die Medienschaffenden wurden dabei mit einem Panzer in Frontnähe spazierengefahren und durften dann darüber berichten – und zwar nur darüber. Friedrich Nowottny, der vormalige Intendant des WDR, fand das damals schon (bzw. noch) wenig kunstgerecht: „Der Blick des Journalisten fällt durch den Sehschlitz des Panzers. Und der ist nicht sehr groß.“ Alte Schule, eben.

Dennoch ist die Grundidee mittlerweile recht salonfähig geworden. Heute würden, falls Bolle nicht ganz falsch liegt, manche Medienschaffenden ihre Demo-Berichterstattung wohl am liebsten vom Polizeipanzer aus erledigen – zumindest aber umgeben von einer schützenden Hundertschaft. Pressefreiheit – frei von jedem Risiko?

Den Medienschaffenden immer gleich eine aufs Maul zu hauen ist natürlich auch keine Art. Aber das macht ja im Grunde auch keiner. Eher haben wir es hier mit „gefühlter“ Bedrohung zu tun, wenn überhaupt. Gleichwohl sind ausgeprägte Mimimichen wohl eher falsch am Platze. Also Augen auf bei der Berufswahl! Mit einem „Irgendwas-mit-Medien“-Studium ist es nach allem wohl nicht getan. Also doch ein Feld allein für halbwegs harte Männer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course)? Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 08-04-21 Notbremse — oder eher Tempomat?

Not kennt kein Gebot.

Bolle war gestern kurz unterwegs. Nur kurz: reinrocken, durchrocken, rausrocken. Total so! Nun ist es für einen wie Bolle völlig unmöglich, beim Anblick einer schicken ICE-Notbremse nicht sofort an die verschiedensten Corönchen-Notbremsen zu denken, mit denen Bund und Länder seit Wochen und Monaten mit schönster Regelmäßigkeit aufwarten. Was aber hat das eine mit dem anderen zu tun?

»Not« ist, man kann es kaum anders sehen, eine aufdringliche Form von Soll/Ist-Diskrepanz mit momentaner Transformationsbarriere – definitionsgemäß also ein Problem (vgl. dazu Mo 22-03-21 Plan, Prognose, Plausibilität). Gleichzeitig ist »Not« aber auch ein Teekesselchen – und zwar eines der tückischen Art, also mit hohem Konfusionspotential. So kann sich »Not« auf eine gegenwärtige, aktuelle Gefahr beziehen, oder aber auch auf einen bis auf weiteres andauernden Zustand.

Wir haben es hier mit einem Unterschied zu tun, der einen Unterschied macht – dem Unterschied zwischen Zeitpunkt versus Zeitraum (vgl. dazu Di 05-01-21 Gleichzeitig zeitgleichig?).

Wenn also zum Beispiel ein frühneuzeitlicher Bauer irgendwann zwischen 1618 und 1648, also mitten im 30-jährigen Krieg, von „großer Not“ gesprochen hat, dann ist das etwas völlig anderes als wenn jemand die Notbremse zieht, etwa weil er seinen Koffer aus Versehen auf dem Bahnsteig hat stehen lassen – oder gar seine Liebsten, wie Heiner Lauterbach in ›Charly & Louise‹, einer sehr niedlichen Neuverfilmung von Kästners ›Doppelten Lottchen‹ (D 1994 / R: Joseph Vilsmaier).

Auch der Gesetzgeber unterscheidet inhaltlich fein säuberlich zwischen Notstand im Sinne von andauernden Gefahrenlagen, etwa in Art. 35 GG oder Art. 91 GG, und Notfall im Sinne einer ›gegenwärtigen Gefahr‹, etwa in den §§ 34, 35 StGB – auch wenn er die Unterscheidung semantisch nicht sauber durchhält. Indes: nobody is perfect.

Wie verhält es sich nun mit der „Corönchen-Notbremse“? Wir haben es definitiv mit einer andauernden Gefahrenlage zu tun. Folglich macht es wenig Sinn, hier irgendwelche „Notbremsen“ zu ziehen. Gemeint ist im Grunde doch eher ein Tempomat – also eine Vorrichtung, die verhindert, daß man plötzlich, upps!, unbedacht zu schnell wird.

Ist das nicht nur Wortgeklingel? Mitnichten. Wenn wir darauf bestehen wollen, daß Sprache die Mutter des Gedanken sein soll, und nicht etwa dessen Magd (Karl Kraus), dann geht das ganze Durcheinander hier schon los – auch wenn es nicht gleich augenfällig wird. Nutzen wir die Sprache als Frühwarnsystem! Damit wäre schon einiges gewonnen. Bolle jedenfalls hatte seinen Koffer nicht vergessen. Er hatte gar keinen dabei. Und so konnte es angesichts der Notbremse beim Photo Shooting bleiben. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Di 06-04-21 Kompaß alle?

Leonardos Bilder.

Ab heute wollen wir ja Ostern hinter uns lassen und uns wieder weltlicheren Themen zuwenden. In allem Ernst. „In allem Ernst“ – diese Wendung hat Bolle allen Ernstes gestern abend in einer Qualitäts-Nachrichtensendung aufschnappen müssen. Machen wir uns nichts vor: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Bastian Sick wußte das schon 2004. Aber was will man machen in einer Welt unterschwelliger Analphabeten, die sich längst angeschickt haben, „barrierefreies“ Lesen und Schreiben zur Kardinaltugend zu erheben?  Und der Genitiv ist nun mal so was von ganz und gar nicht barrierefrei. Doch das nur am Rande.

Wenn Leonardo vom Menschen als Augenwesen spricht, der das Bild brauche, hat er das vermutlich wörtlich gemeint: Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild. Daneben gibt es allerdings auch sprachliche Bilder – namentlich Topoi, Metaphern und nicht zuletzt auch Gleichnisse.

In jüngerer Zeit finden sich aber zunehmend auch sprachliche Zerrbilder. Bolle spricht hier gern von »Blubbersprech« und versteht darunter amorphe verbale Gebilde, deren vornehmste Eigenschaft es ist, völlig formbefreit und sinnentleert zu sein. Amorph eben.

Das vielleicht hübscheste Beispiel aus den letzten Tagen ist die Klage, man habe die Chance verpaßt, den Kompaß auf Zukunft zu stellen. Weder ist Bolle klar, was ein Kompaß mit Zeit zu tun haben soll, noch, seit wann Kompasse „gestellt“ werden. Uhren können gestellt werden, gegebenenfalls auch Weichen. Wobei eine Wendung wie „Weichen auf Zukunft stellen“ schon ins Grenzwertige lappen würde. Aber Kompasse? Geht gar nicht.

Allerdings ist nichts so dumm, daß es nicht doch zu etwas gut sein könnte – etwa als Anregung zu Bolles lustigem Blubbersprech-Generator. Eine handvoll Substantive – also etwa Kompaß, Batterie, Uhr, und Weiche –, und eine handvoll Verben – wie zum Beispiel allemachen, stellen, ausrichten – reichen für den Anfang völlig aus. Damit können wir nicht nur Kompasse stellen, sondern auch Uhren ausrichten, oder Weichen, oder all das schlichtweg allemachen – anstatt nur Batterien. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Bei Bedarf müssen wir einfach nur die Listen verlängern – und schon geht’s munter weiter mit dem Blubbersprech. Die Kombinatorik mit ihren schier unerschöpflichen Möglichkeiten ist auf unserer Seite.

Bolle findet übrigens, daß Blubbersprech als verbaler Überbau zu gefühlter Demokratie paßt wie die Faust aufs Auge. Vielleicht ist es daher so erfolgreich und beliebt. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Karfreitag 02-04-21 Immer feste feiern?

Unselige Agnostiker? Da ist die Logik vor.

Worum geht es den Christenmenschen im Kern an diesem Tage, dem Karfreitag? Die Schlüsselszene findet sich bei Johannes im 19. Kapitel. Dort sprach Pilatus, der Statthalter der römischen Provinz Judäa, zu dem auf Sturm gebürsteten Volke: „Nehmet ihr ihn hin und kreuzigt ihn; denn ich finde keine Schuld an ihm.“ Ein Punkt, den die, so wörtlich, „Juden“ indes ganz anders sehen wollten: „Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz soll er sterben; denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht.“ Und in der Tat läßt sich, zumindest mit etwas Phantasie, ein entsprechendes Gesetz finden. So lautet die Regel: Welcher des Herrn Namen lästert, der soll des Todes sterben; die ganze Gemeinde soll ihn steinigen (3. Mose 24, 16). Nun wirft der Sachverhalt zumindest zwei juristische Fragen auf. Lästert man, rein tatbestandlich, des Herren Namen, nur weil man sich zu seinem Sohn erklärt? Und was die Rechtsfolge angeht, so wäre ja eigentlich eine Steinigung angesagt gewesen – und nicht etwa eine Kreuzigung. Kurzum: Hier geraten das, zumindest seinerzeit, moderne römische Recht und das auch damals schon eher archaische Recht in einer für Gottes Sohn eher ungünstigen Weise über Kreuz. Und so endet die Geschichte dann ja auch: über Kreuz.

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Verabschiedet sich im Rahmen einer Qualitäts-Nachrichtensendung von seinen Zuschauern allen Ernstes mit den Worten: „Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Karfreitag.“ Bolle meint: Geht’s noch? Wenn überhaupt, gläubig oder nicht, irgend etwas so rein gar nicht zum Karfreitag der Christenmenschen passen will, dann ja wohl die Erwartung, „angenehm“ sein zu sollen. So Ihr’s nicht glauben wollet: Fraget den Herrn.

Übrigens feiern in jüngerer Zeit die „Gläubigen“ fröhlich Urständ in den Medien. Man könnte geradezu, der Jahreszeit entsprechend, von einer massenmedial vermittelten Wiederauferstehung reden. Bolle will gar nicht so genau wissen, ob, was, wie und wie tief die glauben mögen. Gerade in Corönchenzeiten wäre das durchaus eine Frage wert. Sein Vorschlag zur Güte: Laßt uns diese Leute im Interesse sprachlicher Abrüstung doch schlicht und ergreifend einfach als „Kirchgänger“ (jedweder Konfession, of course) bezeichnen.  Das täte in den Ohren eines aufrechten Agnostikers weniger weh. Muß ja nicht jeder leiden heute. Wahrer wäre es vermutlich ohnehin. Allerdings ist das dann doch schon wieder ein anderes Kapitel. Im übrigen verweisen wir gerne auf Fr 26-02-21 Sprache als Handwerk?

Mo 29-03-21 Osterruhe ohne Ende

Jenseits von Max und Moritz.

Manchmal ist es aber auch vertrackt. Eigentlich war unser Beitrag vom letzten Dienstag (Di 23-03-21 Hinterm Argument geht’s weiter …) ja nur als kleiner Zwischenruf gedacht. Und dann so was. Erst hat die Kanzlerin öffentlich Asche über ihr Haupt gestreut – nur um dann, in einer exklusiv gehaltenen Talkshow zur besten bildungsbürgerlichen Sendezeit, verschärft inhaltlich zu werden. Ob der Renitenz mancher Landesfürsten sei sie wahrlich not amused. Ihr Amtseid gebiete ihr, da gegebenenfalls ordnend einzuwirken. Der Journalismus 2.0, der qua Profession wohl gerne mal die sprichwörtlichen Flöhe husten hört, hat das in eine offene „Drohung“ umgemünzt, eine „Breitseite“ bzw. eine „Kampfansage“ gar – und gefolgert, die Kanzlerin wolle offenbar „mehr Kompetenzen an sich ziehen“ bzw. denke darüber nach, den Ländern „klare Ansagen“ zu machen.

Daß das nicht ganz einfach werden wird, hatten wir gestern bereits erwähnt (So 28-03-21 Die Osterruhe vor dem Sturm). Verschärfend hinzu kommen demokratie-typische Nebenbedingungen, die mit der Sache an sich rein gar nichts zu tun haben: Die Kanzlerin ist auf dem Ritt in die Abendsonne, während immerhin zwei der Landesfürsten in den Startlöchern stehen und gerne selber Kanzler werden wollen.

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Wünscht sich in fester Kanzlerinnen-Treue ein „hartes Durchgreifen“ und nutzt ansonsten den „Flickenteppich“ munter als Fußabtreter. Geschichte? Wozu? Wir haben doch Corönchen.

David Ricardo, ein Volkswirt klassischer Provenienz, sah sich schon 1811 veranlaßt anzumerken, daß er Leuten, die überwiegend auf den Augenblick schielen, mit Skepsis begegne. Solche Leute seien notwendigerweise leichtgläubig, da sie kein Bezugssystem hätten, um ihre Fakten zu sortieren.

Und so müssen wir hören, daß sich der Föderalismus als dysfunktional erwiesen habe. Also weg damit? Das gleiche Argument allerdings ließe sich – let’s go crazy – ohne weiteres auch gegen die Demokratie, zumindest aber gegen die Gewaltenteilung an sich, vorbringen.

Zwar ist das, hoffentlich, so nicht gemeint. Aber das Muster dahinter stimmt schon bedenklich. Hier ein gegebenes Problem, das nach einer Lösung schreit. Und in der Tat ist eine Lösung in Sicht. Problem gelöst. Sollte man meinen. Wenn da nur nicht Tobin’s Argument mit dem over-all climate wäre (vgl. etwa Di 02-02-21 Von Gänseblümchen und Brennesseln). Die Abschaffung bzw. Einschränkung des Föderalismus könnte sehr leicht zu einem ganz ähnlich gelagerten Problem an irgendeiner anderen Stelle führen.

Ein Mitglied der schreibenden Zunft hat übrigens den sprichwörtlichen Vogel abgeschossen, als er, mit empörter Stimme, über Ministerpräsidenten berichtete, die tun würden, was sie für richtig halten. Ja, was denn sonst? Nur, um dann hinzuzufügen: Selbst die von der CDU. Bolle hält das in der Tat für empörend – meint dabei aber die aus berufenem Munde doch etwas seltsam anmutende Vorstellung über die Rolle von Staat und Partei in einer Demokratie. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

So 28-03-21 Die Osterruhe vor dem Sturm

Wer hätte das gedacht?

Unser letzter Eintrag war ja, zugegeben, etwas knapp gehalten. Auch haben wir uns ein paar Tage kontemplativer Distanz gönnen müssen. Es war aber auch zu gruselig. Da kam die Regierung – genauer gesagt: die sogenannte Bund/Länder-Konferenz – nach durchdachter Nacht auf die grandiose Idee, mal eben die Osterlogistik zu zerschießen und das ganze, so viel Nudging muß sein, euphemistisch „Osterruhe“ zu nennen. Osterruhe – das klingt nachgerade kontemplativ. Wünschen wir uns nicht alle etwas mehr Ruhe um die Feiertage rum?

Nach der angesagten Ruhe kam der Sturm. Das geht schon damit los, daß es so etwas wie „Bund/Länder-Konferenzen“ in der Verfassung gar nicht gibt. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn man das Baby „Bund/Länder-Gespräche“ nennt. Allerdings ist das, weder in der Politik noch im Journalismus 2.0, irgend jemandem groß aufgefallen. Was dann?

Nach dem Bundesstaatsprinzip (Art. 20 I GG) ist die Bundesrepublik zweigliedrig organisiert. Das bedeutet im wesentlichen, daß die Länder eigene Staaten sind – mit eigener, und nicht etwa vom Bund abgeleiteter staatlicher Hoheitsmacht. Erschwerend kommt hinzu, daß die Ausübung staatlicher Befugnisse im Zweifel Sache der Länder ist (Art. 30 GG). Fazit: In Deutschland haben die Länder richtig was zu sagen (vgl. dazu auch Fr 05-03-21 Und ewig schläft das Murmeltier). Wenn sich nun die Kanzlerin hinstellt und in einer „Asche über mein Haupt“-Ansprache erklärt, daß ihr „qua Amtes“ die letztendliche und alleinige Verantwortung für den ganzen Schlamassel zufalle, so irrt sie sich. Nein, die Kanzlerin ist nicht die Cheffin der Bund/Länder-Konferenz – zumal es die ja ohnehin nicht gibt. Aber wenn man schon mal einen Lauf hat: Warum dann nicht noch einen draufsetzen?

Kurzum: Bolle hätte es fein gefunden, wenn die Länderchefs wie ein Mann (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) aufgestanden wären und ihrerseits und jeder für sich ein fröhliches „Mea culpa, dito“ unters Volk gestreut hätten: „Ich bin schuld. – Nein, ich. – Nein, ich.“ Sind wir nicht letztlich alle Sünder vor dem Herrn (wiederum beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course)?

Noch feiner hätte Bolle es indes gefunden, wenn solche kapitalen „handwerklichen Fehler“, wie es wiederum höchst euphemistisch heißt, gar nicht erst passieren würden. Immerhin: Dieses mal hat das Volk gefühlt, daß das so nicht angehen kann.

Und nun? Noch ein Lock-Downchen, und noch eins, und vielleicht ein allerletztes zu Weihnachten? Oder Ostern nächstes Jahr? Bolle meint: Plan geht anders. Vor allem geht Plan mit Anerkennung der Gegebenheiten los. Krisen-PR, falls nötig, übrigens auch. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Fr 19-03-21 Von guten und von lupenreinen Demokraten

Nichts bleibt wie es ist.

»Why the West Rules – For Now«. So der Titel eines regelrechten Historienschinkens, den Ian Morris, ein britischer Historiker und Archäologe, 2010 schon vorgelegt hat. Bolle hatte das Werk seinerzeit gelesen, verliehen, wie so oft nie mehr zurückbekommen, und neulich erneut erstanden – und findet es nach wie vor höchst lesens- und empfehlenswert. Wenn es nur nicht so dick wäre. Die deutsche Ausgabe kommt auf immerhin 635 Seiten, ohne Register. Aber so ist das nun mal: Romane sind keine Kurzgeschichten. Und das Werk liest sich, allem „wissenschaftlichen“ Anspruche zum Trotze, flüssig wie ein guter Roman. „London, 3. April 1848: Königin Victoria hatte Kopfschmerzen.“ So geht das los.

Was Bolle weniger gelungen findet, ist die deutsche Übersetzung des Titels: „Wer regiert die Welt? Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden“. Der eigentliche Clou des Werkes, daß nämlich Geschichte ein permanenter „Such und finde“-Prozeß ist mit offenem Ausgang, bleibt dabei völlig auf der Strecke. Wobei, das kommt erschwerend hinzu, so etwas wie „Ausgang“ nicht einmal definiert ist. Von wegen Demokratie als „Endlösung“. Wo kein Ausgang, da auch kein Ende. Klar, das. Was dann? Vielleicht nur schnöder Werte-Imperialismus in gefälliger Verpackung? Aber laßt uns nicht hysterisch werden. Ist Bolle nun ein „Anti-Demokrat“? Natürlich nicht. Indes: ein gelegentlicher Blick über den temporalen Tellerrand sollte auch einem Demokraten erlaubt sein. Soviel Freiheit muß sein.

Greifen wir zur Erhellung und Vertiefung noch einmal unsere Randnotiz von gestern auf. Da hatte Joe Biden, der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, die Frage eines Journalisten, ob er Putin für einen Mörder halte, allen Ernstes mit „I do.“ (mit Punkt) beantwortet. Krass, das. Und? Was macht Putin? Lädt den Präsidenten zu einem öffentlichen Streitgespräch ein. Bolle hält das für höchst souverän. Die einzige Bedingung: Das Gespräch solle, bitteschön, „online und live“ stattfinden – wohl, um mögliche Wahrnehmungsverzerrungen westlicher Medienschaffender von vorneherein einzudämmen. Das muß nicht bös gemeint sein: Déformation professionelle nennt’s der Franzose: Die berufstypische Neigung zu eingeengter Sichtweise auf manche Dinge – vor allem, wenn sie nicht ins eigene Weltbild passen.

Beispiel gefällig? Heute konnten wir aus der Qualitätspresse erfahren, daß Putin Biden erstens „Gesundheit“ gewünscht hat und ihn dabei „indirekt selbst als Mörder bezeichnet“ habe. Wie fies ist das denn? Begründung für das unterstellte indirekte Mördertum: Putin soll gesagt haben, man übertrage immer auf andere, was man eigentlich selber sei. Bolle meint: Unter diesen Umständen würde ich auch auf Live-Übertragung bestehen wollen.

Und sonst? Der neue amerikanische Außenminister, Antony Blinken, hat in demokratisch-lupenreiner Manier einmal mehr den sofortigen Stopp von Nord Stream 2 gefordert – ansonsten setze es US-Sanktionen. Aber das kennen wir ja schon. Im übrigen wäre das auch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 13-03-21 Mimimi

Von das kommt das.

Unser heutiger Sinnspruch geht zurück auf Herodot (etwa 490–430 v. Chr.), der seit Cicero vielen als pater historiae ›Vater der Geschichtsschreibung‹ gilt. In seinem Hauptwerk, »Historien«, erwähnt er beiläufig, daß dem Perserkönig Kyros einmal der Vorschlag unterbreitet wurde, das angestammte karge Siedlungsgebiet zu verlassen und sich und seinem Volke fruchtbarere Gefilde zu erschließen. Kyros indessen lehnte ab mit der Begründung, daß übermäßig kommode Lebensbedingungen das Volk nur unnötig verweichlichen würden.

Bolle meint, daß das Prinzip bis heute trägt und daß man es ohne weiteres von ›Herrschaftsgebiet‹ im engeren Sinne auf ›systemrelevante Umwelt‹ im weiteren Sinne übertragen kann. Wenn den Leuten zu wohl wird, führt das nicht etwa dazu, daß sie sich einfach nur wohler fühlen. Dagegen wäre ja nichts einzuwenden. Nein, oft genug führt es dazu, daß sie, wie wir das heute noch nennen, der sprichwörtliche Hafer sticht. Sie drehen einfach durch.

Wir hatte das Thema schon einmal gestreift, wenn auch nur am Rande, und es in Anlehnung an das „ideale Gasgesetz“ der Thermodynamik »Soziales Gasgesetz« genannt (vgl. dazu Sa 19-12-20 Das neunzehnte Türchen …).

Was hat das mit uns zu tun? Nehmen wir, weil naheliegend, Harry und Meghan, das Dream Team der Zersetzung des englischen Königshauses. Da geriet die wohl eher beiläufig in den Raum geworfene Frage, mit welcher Tönung bei dem zu erwartenden „royalen“ Baby denn möglicherweise zu rechnen sei, sofort und unmittelbar zum krassen „Rassismus“-Vorwurf. Bolle sieht sich veranlaßt, hier hart gegenzuhalten: „Ein Stuhl wird nicht diskriminiert, wenn man feststellt, dass er kein Tisch ist. Eine Grenze kategorial zu ziehen, bedeutet noch nicht, zu werten.“ (Liessmann 2012: Lob der Grenze; vgl. dazu auch Fr 15-01-21 Von Tischen und Stühlen). Kurzum, und in Anlehnung an Gertrude Stein: Eine Farbe ist eine Farbe ist eine Farbe. Und keine Wertung.

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Greift den „Vorwurf“ begierig auf und zeigt sich schockiert: Streit in der Familie sei das eine. Rassistische Diskriminierung dagegen habe ein ganz anderes Kaliber. Und schwupps – schon ist aus dem „Vorwurf“ eine handfeste „rassistische Diskriminierung“ geworden – und keiner hat’s gemerkt.

Um das ganze noch zu toppen, läßt Maghan die mehr oder weniger interessierte Öffentlichkeit – gegen royales Honorar, versteht sich – auch noch an ihren royalen „Suizid-Gedanken“ teilhaben.

Und? Der Journalismus 2.0? Lobt das auf breiter Front als „offen und furchtlos“. Da muß Bolle schon auf die Neue Zürcher Zeitung zurückgreifen, um zu erfahren, daß es ganz so einfach dann wohl doch nicht sei.

„Herr Lehrer, Herr Lehrer, ich weiß was“ – so der Schlachtruf eifriger Eleven in der Grundschule. Wie sich die Bilder gleichen. Heute werden, mit der gleichen Verve und in der Hoffnung und Erwartung, sich sein Scheibchen abzuschneiden vom Skandälchen, vorauseilende Sozial-Bollerchen ins Volk gestreut: „Ich bin auch dagegen. Ich bin auch empört. Ich schäme mich dafür. Hört nur her: Ich bin einer von den Guten.“ Bolle meint: Souveränität geht anders. Denken und urteilen übrigens auch. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Fr 12-03-21 America first!

Von festen Punkten und weichen Stellen.

„Erst wird die Bevölkerung der USA geimpft. Wenn wir dann noch was übrig haben, teilen wir es gerne mit anderen.“ So hat es der 46. Präsident der Vereinigten Staaten, Mr Joe Biden, gestern zur besten Sendezeit verlauten lassen. Deutlicher geht’s kaum. Und? Wie haben die Medien das aufgefaßt? Betröppeltes Schulterzucken. Keine Spur von Aufschrei. Bolle meint: Das hätte sich der 45. Präsident, Mr Donald Trump, mal trauen sollen. Dann wäre, einmal mehr, so richtig der Teufel losgewesen.

Was Bolle wirklich ein wenig irritiert: Wir reden hier von Selbstverständlichkeiten. So lautet etwa der Amtseid, den der Bundespräsident, der Kanzler und sämtliche Minister (jeweils beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) zu leisten haben: „Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden …“, und so weiter (Art. 64 II, 56 GG). Dem Wohle des deutschen Volkes – nicht etwa dem Wohle der ganzen Welt. Entsprechendes gilt selbstredend für die Amtseide anderer Länder. Auch sind sich die Verfassungsrechtler völlig darin einig, daß die sogenannte Eidesformel nur Pflichten bekräftigt, „die ohnehin als selbstverständlich mit dem Präsidentenamt und überhaupt jedem staatlich-politischen Führungsamt verbunden anzusehen sind.“

Grundsätzlich scheint es so zu sein: Je mehr Probleme man gleichzeitig lösen will, desto unwahrscheinlicher wird es, daß man überhaupt irgendwas gebacken kriegt. Ziele brauchen Raum! Damit wären wir wieder beim Thema »Wunsch und Wirklichkeit« (vgl. dazu Mo 08-03-21 Wunsch und Wirklichkeit). Kurzum: „Bevor Du Dich daranmachst, die Welt zu verbessern: Kehre dreimal vor Deiner eigenen Tür.“ Und so paßt es aufs feinste ins Bild, daß genau die Staaten bzw. die Staatenlenker (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) , die diese kleine chinesische Weisheit beherzigen, im Cöronchen-Management zur Zeit die mit Abstand beste Figur machen. Und? Was macht der Journalismus 2.0? Schweiget stille und wundert sich.

Auch hatten wir diesen Punkt vor einigen Wochen schon mal angesprochen und dabei festgehalten: „Bolles vorläufige Prognose: Wir werden noch ein Weilchen weiterwurschteln – und zwar so lange, bis die Maschinen soweit sind, daß man ihnen einfach nur Ziel- und Aktionsparameter eingeben muß und sie uns dann mit kühler Logik mitteilen, was zu tun ist – bzw. daß wir die Zielparameter (also das, was wir erreichen wollen) gründlich abspecken müssen oder aber die Aktionsparameter (also das, was wir possibly überhaupt tun können) gründlich aufstocken, da die Gleichungssysteme ansonsten schlechterdings unlösbar sind. Bolles altes Credo: Was mathematisch nicht funktioniert, funktioniert nicht mal im Kapitalismus – und übrigens auch nicht im Sozialismus.“ (vgl. Mo 18-01-21 So sein — oder so sein …?). Das aber ist dann letztlich doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 11-03-21 Sputnik-Schock 2.0

Sputnik-Schock 2.0.

Damals, 1957, war der Teufel los. Nur 12 Jahre nach dem Endsieg über Nazideutschland und mitten im damals so genannten Kalten Krieg hatten sich die Russen erfrecht, ein Flugobjekt in den Weltraum zu schießen und damit ein Leuchtfeuer technischer Kompetenz gezündet. Im freien Westen war seinerzeit allen Ernstes von „Sputnik-Schock“ die Rede. Die Russen: Nüscht anzuziehen, keen Dach überm Kopp – aber sich im Weltraum tummeln.

Zwar meinte Bolle damals schon, ein Begriff wie »Weltraum« sei ja wohl doch ein wenig sehr euphemistisch, wenn man sich die Proportionen auch nur grob vor Augen hält: Von der Erde bis zu einer Umlaufbahn braucht ein Lichtstrahl in etwa eine zehntel Sekunde. Bis zu unserer Sonne sind es immerhin schon gut 8 Minuten, und bis zu den Außenbereichen unseres Planetensystems, dem Kuipergürtel, fast 7 Stunden. Nun ist eine zehntel Sekunde im Vergleich zu 7 Stunden doch eher wenig. Mikro-Peanuts, sozusagen. Doch es kommt noch dicker: Bis zur nächsten Sonne um die Ecke, Proxima Centauri, würde unser Lichtstrahl schon über 4 Jahre brauchen. Soviel zum Thema »Weltraum«. Das allerdings hat damals keinen interessiert – und tut es wohl bis heute nicht.

Aber davon ab: Der Sputnik-Schock saß tief. So tief, daß der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy, unbedingt bemannt zum Mond fliegen wollte, und zwar rucki-zucki, binnen eines einzigen Jahrzehntes – einfach nur um klarzustellen, wer hier Master of the Universe ist.

Und dann das mit den Atomkraftwerken. Als den Russen 1986 ihr Tschernobyl um die Ohren geflogen war, da hieß es im freien und fortschrittlichen Westen: Keen Wunder – sind halt Russen. Dumm gelaufen, war aber absehbar. Uns kann so was nicht passieren. Wir können schließlich Mond.

Erst als den Japanern, genau heute vor 10 Jahren, in Fukushima genau das gleiche passiert war, begann im Westen das große Flattern – allen voran bei den Deutschen: Ausstieg aus der Atomenergie sprichwörtlich über Nacht. Gerade erst beschlossene Laufzeitverlängerungen wurden, von einer Physikerin übrigens, über Nacht suspendiert – whatever it takes.

Und jetzt erfrechen sich die Russen, in Rekordzeit einen Impfstoff zu entwickeln, der anscheinend tadellos funktioniert – und allen Ernstes auch noch ›Sputnik‹ heißt. Zufall? Sprach-Design? Treppenwitz der Geschichte? Wir wissen es nicht.

Und? Was macht der Journalismus 2.0? Wundert sich, daß einige Länder der EU – einschließlich Thüringen übrigens – lieber Sputnik „verimpfen“ als gar nicht impfen. Berichtet, daß kein Land der EU häufiger von „Falschinformationen“ aus Rußland betroffen sei als Deutschland – und führt das auf ein hierzulande unzureichendes Maß an Vorurteilen zurück. Zeigt sich befremdet, daß eine AfD-Delegation dieser Tage nach Rußland reist, um im Gespräch zu bleiben. Miteinander reden – das geht ja wohl gar nicht. Fragt sich, warum denn North Stream 2, fünf Minuten vor Fertigstellung, nicht doch lieber wieder eingestampft wird, um den Weg freizumachen für amerikanisches Fracking-Gas. Das ist zwar deutlich teurer und auch sehr viel umweltschädlicher. Dafür kommt es aber aus einem freien Land – und das ist ja wohl die Hauptsache für lupenreine Demokraten (vgl. dazu auch Fr 04-09-20 Die Recken des Rechtsstaates).

Kurzum: Die Rußland-„Skepsis“ (wie das neudeutsch neuerdings heißt) sitzt so richtig, richtig tief bei den „Eliten“ im Lande. Das scheint Bolle aber eher sozialpsychologisch bedingt und weniger geschichtlich. Die letzte ernstliche russische Invasion nach Europa liegt mittlerweile immerhin zwei- bis dreihundert Jahre zurück. Damals waren russische Adelige in Scharen in Pariser Cafés und Salons eingefallen, weil sie sich zuhause, zwischen Tundra und Taiga, einfach zu sehr gelangweilt hatten. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.