Di 17-12-24 Das 17. Türchen: Cowboy-Kaffee

Hart, aber gerecht.

Bolle meint, zu unserem 2. Türchen (siehe Mo 02-12-24 Das 2. Türchen: Wie handgefiltert) sei wohl noch dringend ein kleiner Nachtrag nötig. Nicht, daß das noch untergeht im Weihnachtstrubel.

Vor einigen Jahren mal war Bolle – ausdrücklich nicht zur Weihnachtszeit, doch das spielt hier keine Rolle – auf einer Hochzeitsfeier zu Gast. Am Tag der Hochzeit selbst war alles soweit fein. Es gab reichlich Wein und alles, was man sonst so braucht, um Leib und Seele zusammenzuhalten.

Kritisch wurde es am nächsten Morgen. Die Hochzeitsgäste – etwa ein Dutzend an der Zahl – standen, nachdem sie sich aus ihren Betten geschält beziehungsweise gequält hatten, mit dem frisch vermählten Paar alle zusammen in der Küche. Selbstversorgung war angesagt. Kaffee, vor allem! Die Küche war groß und erlesen und es gab natürlich auch Kaffee, of course. Den allerdings mußte man mit einem der in gewissen Kreisen so beliebten schicken italienischen Espresso-Kochern zubereiten. Bolle – der frühe Vogel fängt den Wurm –, hatte seinen ersten Kaffee schon intus. Der nächste bitte! Und so weiter.

Bolles Hintergrundroutinen fingen, frisch coffein-gestärkt, sofort an zu rattern: Zubereitungszeit etwa 10 Minuten pro Kaffee – macht bei 12 Personen circa 2 Stunden. Weia! Bolle schwante nichts Gutes.

Um dem Jammer ein Ende zu bereiten, schnappte sich Bolle einen stinknormalen Topf und tat Wasser und tüchtig Kaffeemehl dazu. Nach etwa 10 Minuten war Kaffee für alle da. Zwar kein schicker Espresso, sondern halt Cowboy-Kaffee, den man mit einer herkömmlichen Schöpfkelle vorsichtig entnehmen mußte. Aber das war allen, ausnahmslos allen Anwesenden dann auch egal.

Und die Moral von der Geschicht? Wer zu doof ist, der kriegt keinen Kaffee. Jedenfalls nicht in (gefühlt) endlicher Zeit. Und – was nützt die schickste Küche mit der schicksten Espressomaschine, wenn man dabei – übertragen gesagt – die Kunst, ein Motorrad zu warten (Pirsig 1974) völlig aus den Augen verliert? Das Prinzip, meint Bolle, läßt sich auf so manches übertragen. Man muß nur Geist und Augen offenhalten. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mo 16-12-24 Das 16. Türchen: Bewegte bunte Bilder

Bewegte bunte Bilder.

Beginnen wir die neue Woche aufs Gemütlichste. Feuerchen faszinieren. Das war schon immer so. Mit „immer“ meinen wir – soweit man das überhaupt halbwegs zuverlässig sagen kann – seit etwa 1,5 Millionen Jahren. Das entspricht in etwa einem Viertel der Zeit, die sich die Menschheit im weiteren Sinne auf diesem Planeten tummelt.

Kaum nämlich hatten unsere Vorfahren gelernt, daß Feuer nicht nur gräßlich gefährlich sein kann, sondern durchaus auch höchst nützlich – zum Beispiel schmeckt ein frisch erlegtes Mammut deutlich besser, wenn man es vor dem Verzehr ein wenig anröstet. Feine Unterscheidungen – wie etwa „rare“, „medium“ oder „well done“ kamen vermutlich erst sehr viel später auf. Noch viel später kamen Leute auf, die mit so etwas rein gar nichts mehr am Hut haben wollen – Vegetarier etwa oder gar Veganer. Für die gibt‘s dann Marshmallows.

An dieser Stelle fällt Bolle ein kleiner Witz ein: Er und Sie sitzen in einer Bar und sind am Turteln: Sie: „Ich bin Veganerin, trinke keinen Alkohol und dusche immer kalt.“ Daraufhin Er: „Ich finde es toll, wenn man so offen über seine Probleme reden kann.“ – Soweit der Witz.

Um sich die Größenverhältnisse besser vorstellen zu können, hat es sich bewährt, die Zahlen in eine anthropologische Uhr umzurechnen – also von der Menschwerdung um 0 Uhr in der Nacht bis 24 Uhr hier und heute. Demnach hätten wir Menschen seit etwa 18 Uhr – also seit etwa 6 Stunden – das Feuer genutzt. Das Feuerzeug entdeckt – also die Möglichkeit, selber ein Feuerchen zu entfachen und nicht auf den nächsten Buschbrand warten zu müssen – haben unsere Vorfahren allerdings erst vor etwa 32.000 Jahren – auf der anthropologischen Uhr also vor gerade mal 8 Minuten.

Dabei ist alles so einfach, wenn man weiß, wie’s geht: Man nehme einen haushaltsüblichen Feuerstein (SiO2) und schlage ihn gegen einen Pyrit (FeS2), auch Schwefelkies oder Katzengold genannt. Dabei beachte man, das in unmittelbarer Nähe von Reisig oder einem Zunderschwamm zu tun. Fertig ist das Feuerchen! – und alles bereit für die Faszination der bewegten bunten Bilder.

Mittlerweile allerdings geht der Trend ja wieder dahin, daß wir dazu neigen, die ganz uralte Angst vor dem Feuer neu zu entdecken. Vorsicht, heiß! Allerdings kann sich Bolle beim besten Willen zum Beispiel Holmes und Watson in der Baker Street 221 B nicht mit Fußbodenheizung oder gar Wärmepumpe vorstellen – obwohl die Londoner damals schon ihre liebe Not mit den vielen Feuerstellen hatten. So ist das Wort ›Smog‹ eine Zusammensetzung aus ›Smoke‹ (Rauch) und ›Fog‹ (Nebel) – auch dann, wenn es gar nicht so nebelt wie in London. Das Problem war also bekannt. Indes: Nichts ist vollkommen – nicht mal zur Weihnachtszeit. Immerhin ist die Luftqualität – zumindest in den Innenräumen – sehr viel besser, wenn ein zünftiges Feuerchen prasselt im Kamin und dabei die ganzen Luft-Schadstoffe durch den Schornstein jagt. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 15-12-24 Das 15. Türchen – der 3. Advent

Weia!

Nach zwei Tagen relativistischer Betrachtungen in Folge fand Bolle, daß es wieder Zeit wird für was wirklich Weihnachtliches. Zumal die Christenmenschen dieser Welt ja finden, daß heute bereits der 3. Advent ist. Danach kommt nicht mehr allzu viel – und schon ist es wieder soweit.

Unser Bildchen für heute hat Bolle beim Bummeln durchs Dörfchen im Schaufenster einer Sparkasse gefunden. Man hätte es glatt ahnen können – ist ein Begriff wie ›Stresstest‹ doch recht bankenaffin. Um was es bei der Werbung überhaupt ging, ist Bolle übrigens glatt entgangen.

Allerdings – das war Bolle neu – kommt ›Stresstest‹ gar nicht originär aus dem Bankenwesen, sondern aus der Medizin – hat sich dann aber, weil so hübsch vielfältig verwendbar, in alle möglichen Lebensbereiche ausgebreitet, nicht zuletzt eben auch in den Bankensektor. 2011 hat es der Streßtest sogar zum ›Wort des Jahres‹ gebracht.

Ron Kurtz übrigens hat mit seiner ›Hakomi-Methode‹ 1983 – also vor nunmehr 40 Jahren  schon – eine psychotherapeutische Richtung entwickelt, die Charaktere allein dadurch unterscheidet, wie sie unter Streß reagieren. Manche arbeiten halt härter, wenn’s eng wird. Andere holen Hilfe, und wieder andere fahren erst mal in Urlaub. Bolle war seinerzeit schon fasziniert davon, auf was für Ideen man kommen kann. In Urlaub fahren, wenn die Bude brennt. Krass!

Manche meinen ja, sie bräuchten ihren Streß. Vermutlich fühlen sie sich sonst nicht lebendig genug beziehungsweise „spüren“ sich zuwenig. Falls man das aber nicht so sieht, sollte man wohl besser darauf achten, sich seinen Streß für Ausnahmesituationen vorzubehalten (akuten Streß). Dafür hat ihn die Natur wohl auch vorgesehen. Streß als Normalzustand dagegen (chronischer Streß) haut auf Dauer glatt den stärksten Yogi (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) um.

Wie steht es nun mit Streß zum Fest? Man mag ja von Weihnachten halten, was man will. Eines allerdings sollte klar sein: Weihnachten ist absolut absehbar – und läßt daher im Grunde wenig Spielraum für chronischen Streß. Falls manch Christenmensch das anders sehen sollte, liegt der Verdacht nahe, daß er nach dem Motto „Alles ist möglich.“ durchs Leben rennt – und muß sich dann womöglich Bolles „Denkste. Ist es nicht.“ anhören.

In unserem Problemlösungszirkel (vgl. So 13-10-24 Die beste Lösung) findet sich die Antwort übrigens im Feld ›Plan/Check der Mittel) und lautet, als Frage formuliert: „Kann ich mir mein Problem überhaupt leisten?“ Falls Nein, gilt Bolles eiserne Regel: Probleme, die man nicht lösen kann, muß man loswerden. Total so.

Bolle jedenfalls war – wie so oft zur Weihnachtszeit – mit den Händen in den Taschen unterwegs. Und das wird – zumindest als kontemplative Grundausrichtung – bis auf weiteres wohl auch so bleiben. Mancher wird hier einwenden, daß man sich derlei nur leisten kann, wenn man sich’s leisten kann, oder so. Bolle aber meint, tout au contraire, daß man doch bitteschön nicht immer Ursache und Wirkung verwechseln möge – wenn’s auch schwerfallen mag. Lieber leben nach dem (leicht angepaßten) Motto: Geh auf, mein Herz, und suche Freud // In dieser schönen Weihnachtszeit (Paul Gerhardt 1653) – und schon kann der Streß sehen, wo er bleibt. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Sa 14-12-24 Das 14. Türchen: Schneemann, Teppich, Meilenstein

Voll auffem Teppich – mit Meilenstein.

Zu unserem Türchen gestern gab es eine Rückmeldung: „Wieso? Das sieht man doch, ob sich der Schneemann bewegt hat oder der Teppich.“ Da wir hier, wie gestern erläutert, eine wohlverstandene relativistische Perspektive einnehmen wollen, scheint uns ein kleiner Nachtrag angebracht.

Natürlich sieht man das. Aber warum sieht man es? Weil wir – ohne uns dessen bewußt zu sein – das Blatt Papier beziehungsweise den Bildschirmausschnitt als Bezugspunkt verwenden. Einen solchen Bezugspunkt haben wir aber nicht – nicht in der Physik und erst recht nicht im wirklichen bzw. sozialen bzw. politischen Leben. Dieses völlige Fehlen eines Bezugspunktes hat übrigens die Physiker ziemlich lange Zeit ziemlich rappelig gemacht und zu so mancher Idee inspiriert, die sich letztlich als nicht soo brauchbar erwiesen hat. So etwas ist aber auch jeglicher Alltagserfahrung allzu ferne. Wir sind nun mal seit sechs Millionen Jahren – also seit der Menschwerdung im weiteren Sinne – daran gewöhnt, daß es feste Bezugspunkte gibt. Entsprechend schwer fällt es uns, sich die einfach wegzudenken – auch wenn sie wirklich mal nicht da sein sollten.

Um uns das alles besser vorstellen zu können, hilft ein kleiner Trick: Nehmen wir an, das Blatt Papier oder der Bildschirmausschnitt, auf dem sich Schneemann und Teppich befinden, sei unendlich groß – zumindest aber unüberschaubar groß. Dann gibt es wirklich keine Möglichkeit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Oder aber wir fügen, tout au contraire, einen Meilenstein in die Graphik ein – eine Wegmarke, an der wir uns orientieren können. Unter der Annahme, daß sich Schneemann und Teppich im Freien befinden – wer stellt sich schon einen Schneemann ins Wohnzimmer? – könnte das irgendein markanter Punkt in der Landschaft sein, zum Beispiel ein Baum oder Busch oder ähnliches (siehe Bildchen). Relativ zu dieser Wegmarke können wir nun eindeutig entscheiden, wer oder was sich bewegt hat – Schneemann oder Teppich?

Jetzt – aber erst jetzt – denken wir uns die Wegmarke wieder weg. Im Grunde wenden wir also die Vorgehensweise von Professor Bömmel aus der Feuerzangenbowle an: „Also, wat is en Dampfmaschin? Da stelle mehr uns janz dumm.“

In der sozialen beziehungsweise politischen Sphäre kommt allerdings erschwerend hinzu, daß es bereits an der Definition hapert: kein Mensch kann zufriedenstellend erklären, was genau das eigentlich sein soll: lechts oder rinks? (Ernst Jandl 1966). Bolle, stets bemüht, auch das Unfaßbare wenigstens anekdotisch faßbar zu machen, hält sich immer an die folgende Faustregel …

Motto „rechts“: Bevor Du dich daran machst, die Welt zu verbessern, kehre drei mal vor Deiner eigenen Tür (chinesisches Sprichwort).
Motto „links“: Wieso? Alles und jeder braucht unsere Solidarität. Immer!

… und muß dabei stante pede an Churchill denken, of course, der angeblich mal gesagt haben soll:

Wie herrlich Deine Strategie auch sein mag:
Gelegentlich solltest Du gucken, was dabei rauskommt.
(However beautiful the strategy,
you should occasionally look at the results.)

Das alles aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Fr 13-12-24 Das 13. Türchen: Alles ist relativ

Voll auffem Teppich – oder doch daneben?

Neulich war Bolle mit zwei durchaus aufgeschlossenen Mitmenschen beim Gänse-Essen. Irgendwann gegen Ende des Treffens ging es dann allgemein um die Schlechtigkeit der Welt und im Speziellen, wie sehr sich manche Leute in letzter Zeit doch „radikalisieren“ würden.

Bolle, nicht faul, fühlte sich sofort veranlaßt, eine wohlverstandene relativistische Perspektive ins Spiel zu bringen. Dazu heißt es in Bertrand Russells ›ABC der Relativitätstheorie‹ (1925) – also vor nunmehr 100 Jahren:

Es gibt eine Sorte ungemein überlegener Menschen, die gern versichern, alles sei relativ. Das ist natürlich Unsinn, denn wenn alles relativ wäre, gäbe es nichts, wozu es relativ sein könnte.

Auch hatte Bolle das Schildchen mit dem Schneemann nicht dabei. Aber ein Bierdeckel für den Teppich und Bolles Feuerzeug für unseren Protagonisten tun es natürlich auch.

Im Ausgangspunkt – so wollen wir annehmen — stehe unser Schneemann (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) voll auf dem Teppich. Nun gibt es prinzipiell zwei Möglichkeiten:  Der Schneemann bewegt sich ein paar Schritte nach links (Pfeil a) – was wir hier rein räumlich und mitnichten politisch verstehen wollen. Und schon steht er nicht mehr auf dem Teppich. Oder aber – die zweite Möglichkeit – jemand zieht den Teppich ein Stück weit nach rechts (Pfeil b) und – Wunder über Wunder – auch in diesem Falle steht unser Schneemann nicht mehr auf dem Teppich – obwohl er sich keinen Millimeter von seiner Ursprungsposition wegbewegt hat. Allein die Lage des Teppichs ist eine andere.

Damit aber ist die Frage, ob sich der Schneemann „radikalisiert“ hat – oder nicht vielleicht eher der Teppich – so offen, wie sie nur sein kann. Wir machen wohl keinen allzu großen Fehler, wenn wir das Beispiel auf die politische Sphäre übertragen. Unser Schneemann stünde dann für einen einzelnen Wähler und der Teppich – wie soll man sagen? – für das, was wir gemeinhin Zeitgeist nennen. Wie meinte doch gleich Faust in der Nacht-Szene zu Wagner?

Was Ihr den Geist der Zeiten heißt,
das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.

Abgesehen von der Frage, wer hier die „Herren“ sein sollen, ist das alles im Grunde doch furchtbar selbstverständlich. Allein nicht jeder denkt jederzeit daran. Beim Gänse-Essen nämlich hatte sich Bolle zu der Bemerkung hinreißen lassen, im AfD-Parteiprogramm würde im Prinzip nichts stehen, was nicht auch in einem, sagen wir, CDU-Parteiprogramm von vor 20 Jahren hätte stehen können.

Der Effekt war, wie öfters mal bei Bolles Vorlesungen, zumindest verblüffend. Das heißt natürlich nicht, daß stante pede eine entsprechende Einsicht folgen würde. So etwas braucht ein wenig Zeit – das ist Bolle durchaus klar. Im Moment aber sieht es ja allgemein eher so aus, daß einer zunehmenden Zahl von Leuten ganz allmählich dämmert, daß weder Glühwürmchen (großes Herz, nicht ganz so großes Hirn) noch Hülsenfrüchtchen (außen grün, innen hohl) – wie Bolle das gerne mit zwinkerndem Auge umschreibt – angesichts einer prinzipiell übermächtigen Realität, die überdies, beziehungsweise gerade deswegen, fast immer Recht hat, keine allzu gute Figur machen. Das alles aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 12-12-24 Das 12. Türchen: AODSCH!

Finis Germania.

Nach den Weihen deutscher Weihnachtsmärkte bzw. deren Derangement in Form von Winterwunderwelten, mit denen wir uns die letzten beiden Tage befaßt hatten – hier zur Abwechslung mal wieder ein ausgesprochen weltliches Thema. AODSCH!

AODSCH ist Bolles jüngstes Akronym für ›Als-Ob-Demokratie-Schietkram‹. Darf man das so sagen? Bolle meint: man muß! Es rumort ja durchaus schon länger im Gebälk. Anlaß – lediglich der Anlaß – für unseren heutigen Beitrag sind die mißratenen Wahlen in Rumänien, of course. Dort fiel dieser Tage ein Urteil des obersten Gerichtes in etwa wie folgt aus:

Im Namen des Volkes! Ihr, das Volk, seid zu blöd zum Wählen. Also zurück auf Los, marsch, marsch!

Natürlich hat das niemand so formuliert. Aber im Tenor ist genau das gemeint. Möglicherweise ist das Volk ja wirklich zu blöd. Dann muß das wohl auch mal gesagt werden dürfen. Aber derlei ›Im Namen des Volkes‹ zu verkünden, mutet dann doch ein wenig skurril an. Und das ganze dann auch noch als ›Demokratie‹ zu verkaufen – eine Staatsorganisationsform, in der alle Staatsgewalt vom Volke auszugehen hat – selbst, wenn es nun mal zu blöd sein sollte. Was wäre die Alternative? Ein besseres Volk? Oder ganz zumindest eben eine ›Als-ob-Demokratie‹, die so tut, als ob – dabei aber niemandem in den höheren Schichten ernstlich wehtut. Merkwürdig – sehr, sehr merkwürdig das, in der Tat.

Man könnte fast meinen, daß so etwas wie ›Demokratie‹ nur dann und nur so lange funktioniert, wie das Volk sich an der Urne angemessen brav verhält. Diese Partei wählen oder jene – geschenkt. Solange die alle das gleiche wollen im Prinzip, wird das nicht weiter stören. Aber so richtig danebenwählen? Das ist nach Ansicht mancher mehr als die stärkste Demokratie abkann. Immerhin ist das ein Indiz für die Richtigkeit von Bolles Partizipationsplacebo-Theorem (vgl. dazu etwa Mo 12-12-22 Das zwölfte Türchen …). Gib den Leuten das Gefühl, daß sie was zu sagen haben – zum Beispiel wählen gehen dürfen. Das fördert das Commitment und damit die Zufriedenheit. Allerdings muß man höllisch darauf achten, daß sie nicht wirklich was sagen – also zum Beispiel völlig falsch wählen. Das ginge dann doch zu weit.

Und? Wie sieht es hierzulande aus? Noch nicht ganz so offenkundig, aber auf dem besten Wege, wie zu befürchten steht. Bolle muß da an die letzten Wahlen im Osten denken, Brandmauern und nicht zuletzt Verbotsphantasien für bestimmte Parteien. Irgendwie muß das Volk ja auf den rechten Weg geführt werden.

Was schließlich sagt die freie Presse, der Journalismus 2.0? Irritierend wenig. Rumänien sei ein EU-Land und überdies in der NATO – da sei es nun mal nicht tunlich, einen Präsidenten zu wählen, der da nicht voll und ganz dahinterstehen mag. Das könne und müsse man ja verstehen. Nun ist es wirklich nicht jedermanns (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) Sache, die Bedeutung von Nachrichten einschätzen und beurteilen zu können. Allerdings fragt Bolle sich manchmal: warum dann Journalist werden? Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mi 11-12-24 Das elfte Türchen: Winterwunderland

Winterwunderland.

Kaum rühmt man einen Weihnachtsmarkt der herkömmlichen Art, wie wir das gestern getan haben, da muß man erfahren, daß es eine gewisse Tendenz zu geben scheint, den Weihnachtsmarkt gleich rein begrifflich abzuschaffen. So heißt er, wie’s scheint, zum Beispiel in Wolfsburg, aber auch anderswo, jetzt angeblich „Winterwunderland“. Bolle meint: Na toll! Ein kleiner Schritt für die Sprachdesigner, aber ein Riesensprung für die kulturelle – von religiös wollen wir hier gar nicht reden – Allerwelts-Beliebigkeit der Sitten. Bolle mag ja nicht an den großen Zampano glauben. Aber gleichwohl scheint derzeit ein Zeitgeist mit einer noch viel größeren Schleifmaschine am Werke zu sein, der alles schleift und schmirgelt, was in irgendeiner Weise bei irgendwem irgendwie auch nur den geringsten Anstoß erregen könnte.

Das Thema greift viel zu weit, als daß wir heute auch nur anfangen sollten, uns damit zu befassen – geschweige denn zu echauffieren. Und so mag sie tunlichst stille schweigen, des Sängers Höflichkeit.

Jakob Burckhardt hat das in seinen ›Weltgeschichtlichen Betrachtungen‹ (1905) vor nunmehr 120 Jahren wie folgt gefaßt: „In der Natur erfolgt der Untergang nur durch äußere Gründe: Erdkatastrophen, klimatische Katastrophen, Überwucherung schwächerer Spezies durch frechere, edlere durch gemeinere. In der Geschichte wird er stets vorbereitet durch innere Abnahme, durch Ausleben. Dann erst kann ein äußerer Anstoß allem ein Ende machen.“ Bolle meint, man muß nicht übertrieben pessimistisch sein – realistisch reicht vollends –, um die „innere Abnahme“ förmlich mit Händen greifen zu können. Das alles aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Di 10-12-24 Das 10. Türchen: Weihnachtsmarkt im Dörfchen

Weihnachtsmarkt im Dörfchen.

Nach dem doch etwas herben Türchen gestern ist es Zeit, sich wieder einem wirklich weihnachtlichen Thema zuzuwenden. Gestern wollte es sich fügen, daß Bolle en passant auf dem Weihnachtsmarkt in seinem Dörfchen war. Neben Glühwein, der nur mäßig übersüßt ist, und Bratwurst, die nicht sinnlos überwürzt ist, gibt es da noch richtige Feuerchen, an denen man sich wärmen kann, bevor einem die Finger so klamm werden, daß sich kaum noch fachgerecht ein Zigarettchen drehen läßt.

Auch gibt es an den Eingängen keine Poller, die einem die Stimmung doch sehr vermiesen und verdrießen können. Kurzum: die laute und lärmende Welt muß auf geradezu magische Weise leider draußen bleiben. Recht so, findet Bolle.

Auch wissen sich die Leute angemessen zu bewegen. Anderswo und immer häufiger ist es ja so, daß jeder (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) dermaßen in seiner eigenen Blase blubbert, daß ihm jegliches Gefühl für die nicht-virtuelle, also die tatsächlich wirklich wahre Umwelt völlig flöten zu gehen scheint. Da wird gerempelt und geschoben und aneinander angeeckt, daß es wirklich keine wahre Freude ist – erst recht nicht zur Weihnachtszeit.

Dazu nur ein Beispiel, wie es sich auf dem Hinweg zugetragen hat: Fußgängerüberweg. Radfahrer starrt auf die Ampel – und nur auf die Ampel. Kaum grün, tritt er mit Wucht in die Pedale. Daß es richtige Leute aus dem richtigen Leben vielleicht noch nicht ganz auf den rettenden Gehweg geschafft haben, weil die Ampelphasen so geschaltet sind, wie sie nun mal geschaltet sind, interessiert da anscheinend wenig. Wo das hinführen soll, offenbar ebensowenig. Es ist nun mal nicht ganz einfach, einen Fußgänger mit dem Fahrrad zu überrollen, ohne selbst Schaden zu nehmen. Darauf angesprochen – vielleicht auch angeranzt – ist die Empörung natürlich groß, of course.

Im Grunde findet Bolle es ja faszinierend, wie man sich rein tatsächlich übel danebenbenehmen und dabei völlig unerschütterlich daran glauben kann, daß man selber voll im Recht ist: „Wieso? War doch grün!“ Daß man Vorfahrt nicht erzwingen soll – und übrigens auch nicht darf – ist offenbar längst nicht jedem Hülsenfrüchtchen helle. Bolle vermutet ja, daß es sich dabei um ein Resultat der völlig unterkomplexen „Grün gehen – Rot stehen“-Kindergartenregel handeln könnte: Fehlsozialisation der sublimen Art, halt. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Mo 09-12-24 Das 9. Türchen: Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze

Die normative Kraft des Faktischen (Universitätsbibliothek Heidelberg).

Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze. Das ist weiß Gott nicht weihnachtlich – und doch ist es nicht minder wahr – und zwar nicht nur zur Weihnachtszeit. Aufgeschnappt hat Bolle das in irgendeiner Vorabend-Serie – und war spontan entzückt ob der Dichte des Diktums. Wie ein gut geführter Hammer. Wumm! Und sitzt!

Aber ist es auch wahr? Natürlich ist es wahr – in dem Sinne, daß wir es wieder und wieder beobachten können. Aktuell reden wir von Syrien, of course. Da hat man ein Land seit gut 60 Jahren und in zweiter Generation mehr oder minder fest im Griff – und schwupps: plötzlich ist alles anders. Wenn die Waffen sprechen (und ein paar günstige Umstände hinzukommen), halt.

Daß damit nicht jeder glücklich ist, versteht sich. Als etwa Bismarck – um ein Beispiel aus der jüngeren Weltgeschichte herauszugreifen – sich in einer Rede vor dem Preußischen Abgeordnetenhaus vom 30. September 1862 zu bemerken veranlaßt sah, daß „die großen Fragen der Zeit“ nicht „durch Reden und Majoritätsbeschlüsse“ entschieden würden, sondern durch „Eisen und Blut“ – da war natürlich der Teufel los. Ja, darf der das denn? Natürlich darf der das. Zumindest hat er es getan.

Hier nämlich geht es mitnichten darum, was einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) gerne hören mag. Es geht auch nicht darum, ob etwas wünschenswert ist oder nicht (Schwester Ethik). Hier geht es lediglich um das, was ist (Schwester Logik). Bolle muß immer wieder staunen, mit welcher Hartnäckigkeit so manches Hülsenfrüchtchen selbst elementare Kategorien zu konfundieren weiß (vgl. dazu etwa So 06-10-24 Propaganda).

Manchmal aber ist mancher doch der Einsicht nahe. So meinte eine Journalistin gestern in einem dieser Plauder-Formate (vulgo Talk-Show), „die Realität“ entwickele sich „gerade in eine andere Richtung“. Bolle meint, das hat sie schön gesagt.

Georg Jellinek (1851–1911), ein österreichisch/deutscher Staatsrechtslehrer mit Blick über den juristischen Tellerrand, hat dafür seinerzeit den Begriff ›Die normative Kraft des Faktischen‹ geprägt: Wenn was so is, dann isses so. Friß, Vogel, oder stirb. Ändern können wirst Du’s eh nicht.

Um den Ganzen dann doch noch eine weihnachtliche Note zu verleihen: Bolle findet ja, Georg Jellinek ließe sich großartig als Nikolausi casten – und meint das in keinster Weise despektierlich. Die Brille, der Bart – überhaupt der Ausdruck insgesamt: Im Kern freundlich – aber durchaus wohl auch zur Strenge fähig. Ein echter Nikolausi eben. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

So 08-12-24 Das 8. Türchen – der 2. Advent: Neuer Wein zu alten Bräuchen?

Neuer Wein zu alten Bräuchen?

Dieser Tage hatte Bolle Weihnachtspost im Spam. Normalerweise löscht sich sowas ja von selber. Aber dieses mal – schließlich ist bald Weihnachten, das Fest der Liebe – wollte Bolle ausnahmsweise auch mal lieb zu seinem Spam sein. Also klick und auf.

Dort hieß es, die Adventszeit stehe vor der Tür – was Bolle ein wenig befremdlich fand: schließlich ist die Adventszeit bereits zu einem Drittel um. Von wegen vor der Tür. Nun sei das – hieß es weiter – die Zeit für besonders gute Weine. Das war Bolle neu. Zwar liegen Wein und Weihnachten rein phonetisch nicht allzu weit auseinander. Aber von Glühwein einmal abgesehen war Bolle der Zusammenhang bislang nicht helle.

Richtig ist allerdings, daß der Heiland höchstselbst gelegentlich gepichelt hat. So ist er, zumindest in David Safiers ›Jesus liebt mich‹ (2008) geradezu ins Schwärmen geraten, als er nach zweitausend Jahren Abstinenz im Himmelreich in Gestalt eines Joshua mit Marie, einem Erdenwesen, in einer Pizzeria saß und bei einem Glas Rotwein meinte: „Den habe ich vermißt.“

Jedenfalls sollte Bolle, so der Vorschlag, ein Sechser-Pack „einzigartiger“ festlicher Weine erstehen und „genießen“. Dazu noch vier Gläser – wohl, damit man den Wein nicht aus der Flasche trinken muß. Irgendwie hat man da an alles gedacht.

Was man womöglich weniger bedacht hat: Wieso im Namen des Herrn – um nicht zu sagen: in drei Teufels Namen – sollte einer (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) ausgerechnet in der Adventszeit mit neuen Sorten rumexperimentieren, statt die Zeit froh und besinnlich – kontemplativ gar – zu verbringen und das zu trinken, was er kennt und mag? Oder ist das jetzt zu konservativ gedacht? Bolle jedenfalls ist derlei völlig fremd.

Immerhin erinnert ihn das an eine alte Geschichte. Damals, vor furchtbar vielen Jahren, sollte oder wollte er im Rahmen eines Studentenjobs ganz ähnliche Dinge telephonmarketingmäßig anpreisen – und zwar nicht nur zur Weihnachtszeit.

Beim allerersten Briefing mit dem Verkaufsleiter meinte Bolle ohne Arg, Weintrinker hätten wohl höchstwahrscheinlich bereits ihre Quellen. Was denn da der Telephonverkauf ausrichten könne? Der Verkaufsleiter – das weiß Bolle noch wie heute – hatte ihn damals angeguckt als käm‘ er von ‘nem anderen Stern. Kurzum: Bolles Karriere als Telephonverkäufer für einzigartige Weine endete am ersten Tag in der allerersten Stunde. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.