Fr 23-04-21 Vive la France!

Die Guten und der Schiet.

Bolle hält dieses Statement von Dörner für geradezu zenmäßig kryptisch und meint, es lohne, es ab und an und immer mal wieder zum Gegenstand seiner (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course)  kontemplativen Bestrebungen zu machen. Es findet sich gleich in der Einleitung der »Logik des Mißlingens«. Im folgenden heißt es dort: … und am Ende steht dann der erstaunt-verzweifelte Ausruf: ›Das haben wir nicht gewollt.‹ Bolle meint: Aber getan! Immerhin hat es, wie es scheint, ein gütiger Gott oder wer auch immer so eingerichtet, daß das, was Dörner ›Dummheit‹ nennt, so weit reicht, daß sich den „Veranstaltern“ der Zusammenhang zwischen gutgemeintem Tun und zweifelhaftem Ergebnis oft gar nicht erst erhellen wird. Am Ende heißt es dann eher: „Verstehen wir auch nicht, warum das nicht funktioniert. Ist aber auch furchtbar komplex, das alles.“

Was hat das mit uns und hier und heute zu tun? Nun, Friedrich Merz, ausgerechnet, soll sich gegen Gender-Gaga ausgesprochen und darauf verwiesen haben, daß die Franzosen das schließlich auch nicht machen würden. Nun muß man, von Rotwein vielleicht einmal abgesehen, weiß Gott nicht alles gut finden, nur weil die Franzosen das so machen. Indes, und das war Bolle neu, haben die Franzosen ihren staatlichen Einrichtungen das Gender-Gackern schlicht und ergreifend verboten. Zwar hält Bolle nicht allzu viel von übertriebener „Verbotskultur“ – schon deshalb nicht, weil er hierin keine sonderliche kulturelle Leistung zu erblicken vermag. Allein sein Wissen um Existenz und Wirkungsweise von Nash-Gleichgewichten zwingt ihn zu der Einsicht, daß es mitunter einfach nicht anders gehen kann. Von Nash-Gleichgewichten spricht man, wenn, obwohl jeder das macht, was für ihn das beste ist, unterm Strich nur dummes Zeug bei rauskommt – was natürlich so niemand gewollt hat. Auflösen lassen sich Nash-Gleichgewichte – und das ist hier der wichtige Punkt – allein durch eine regelsetzende und durchsetzende Instanz. Vulgo: Verbote von oben, falls nötig. Komplizierter ist es an dieser Stelle nicht. Wir erwähnen es auch nur, weil es sich beim unzureichenden Verständnis von Nash-Gleichgewichten (neben dem unzureichenden Verständnis von Exponentialfunktionen) um eine der beiden hauptsächlichen kognitiven Dysfunktionen handelt, unter denen die Verständigeren unter uns nun mal schwer zu leiden haben. Soweit zu Dörners Dummchen. Ausführlicher zum Gender-Gackern vgl. etwa So 06-09-20 Laber Rhabarber.

Das Thema wird uns absehbar noch viel Freude bereiten. So rüsten sich interessierte Kreise namentlich in den USA für die als gut und gerecht empfundene „Identitätspolitik“ im Filmgeschäft. Dabei sollen, wenn’s nach diesen Kreisen geht, zum Beispiel Schwule nur noch von Schwulen gespielt werden dürfen und Autisten nur noch von Autisten. Schwarze nur noch von Schwarzen sowieso. What comes next? Irre nur noch von Irren? Iren nur noch von Iren? Kinderschänder nur noch von Kinderschändern? Massenmörder nur noch von Massenmördern? Alles andere wäre schließlich „kulturelle Aneignung“ – und das geht in den Augen der Dörner’schen Dummchen ja gar nicht. Bolle meint, da hat jemand glatt den eigentlichen Kern der Schauspielkunst verpeilt. Warten wir’s ab. Schließlich wäre das ja auch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Do 22-04-21 Das Volk der Dichter und Diener

Dienen nützt.

Zugegeben: Heinrich Heine versteht »dienen« hier in einem eher weiteren Sinne. Weit genug, daß ein jeder Esel sich einschlägig nützlich machen kann – und sei es auch nur im Kontrast. Andererseits – auch das müssen wir einräumen – war es mit Madame de Staëls [sprich: Stahl, mit norddeutscher Aussprache] Beschreibung der Deutschen als ›Volk der Dichter und Denker‹ auch nicht sehr viel weiter her. Madame de Staël galt, im Lande eines Molière oder auch Voltaire, als eher mäßig begabte Schriftstellerin – und so wurde ihr 1810 frisch verlegter Reisebericht »Über Deutschland« in Frankreich auch gleich wieder verbrannt und die Autorin zwecks Besserung erst mal des Landes verwiesen. Und? Was hat sie so gemeint? Sie hatte von einer „eigentümlichen Stille und Verschlossenheit“ der Leute berichtet und meinte, sie hockten des Abends bei Kerzenlichte in ihren engen Stuben und warteten darauf, daß es Zeit werde, schlafen zu gehen. Dichter und Denker, eben. Die Deutschen indessen fühlten sich durchaus geschmeichelt – und sind bis heute dabei geblieben.

Seit das, siehe nicht zuletzt Corönchen, mit dem Denken aber nicht mehr ganz so gut klappen will, muß eine frische Komplementärtugend her. Und da scheinen die Deutschen das Dienen wiederzuentdecken. Alle wollen dienen. Und wenn die Job Description das nicht hergibt – wir reden hier schließlich von Dienen auf höchstem Niveau, wie weiland Friedrich Zwo –, dann doch zumindest helfen, schützen oder retten, oder ganz zumindest fördern. Ein ganzes Volk hilfreicher Helfer. Kennen wa ja. Doch das führt hier zu weit.

Den aktuellen Vogel abgeschossen hat dabei mal wieder der Chef-Philosoph der Grünen. Er hätte, so läßt er verlauten, der Republik so gerne doch als Kanzler dienen wollen. Seine Ladies-First-Galanterie (vgl. dazu den Beitrag von vorgestern, Di 20-04-21 Na, nu wird’s Tach!) sei für ihn, allen Ernstes, der schmerzhafteste Tag seiner politischen Laufbahn gewesen. Bolle meint: Och Mensch. Mir is jottsjämmerlich zumute. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mi 21-04-21 Nulla dies sine linea

Nachdenken nützt.

Da setzt man mal einen einzigen Tag zum Frühstück aus – was wir hiermit getreulich nachholen wollen – und schon hat man seine geneigte Leserschaft am Halse.  Tenor: „Nicht mit mir, mein lieber Vampir.“ Bolle meint ja immer „willste gelten, mach dir selten“. Andererseits ist natürlich das Diktum des Apelles (ca. 370–300 v. Chr.) Nulla dies sine linea (laß keinen Tag verstreichen, ohne dich in deiner Kunst zu üben) auch nicht ganz von der Hand zu weisen (vgl. dazu Do 10-12-20 Das zehnte Türchen …). Aber manche Tage machen es einem wirklich nicht leicht. Das gilt auch für die Medienschaffenden. Immerhin konnten wir aus der unbefangeneren Auslandspresse erfahren, daß die EU „Speerspitze bei künstlicher Intelligenz“ werden will. Bolle meint: Na ja – besser künstlich als gar keine. Ein jeder wie er kann. Ist ja auch am einfachsten. Immerhin – auch das konnten wir in Erfahrung bringen, gedenkt die EU der KI dann doch ein wenig auf die Finger zu schauen, was „Programme zur Personaleinstellung“ angeht. Nicht, daß die Software am Ende noch 30 Jahre Gleichstellung wegprozessiert und womöglich Leute einstellt, nur weil sie den Job absehbar gut können. Aber erstens klingt hier wohl nur Bolles chauvinistische Rückständigkeit an und zweitens wäre das wohl auch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.

Di 20-04-21 Na, nu wird’s Tach!

Na, nu wird’s Tach!

Mehr als das war Bolle angesichts der gestrigen Ereignisse beim besten Willen nicht zu entlocken. Da hatten wir auf der einen Seite zwei Cowboys, alte weiße Männer gar, die sich vor lauter Beflissenheit, wer von ihnen denn, wie weiland Friedrich Zwo von Preußen, den nächsten ersten Diener ihres Staates geben darf, gar nicht mehr einkriegen konnten. Und dann? Irgendwie war plötzlich die Luft raus. Der eine soll’s halt machen, der andere dann eben nicht. Justamente am gleichen Tage, wenn auch in völlig anderer Färbung, das gleiche Schauspiel bei den Grünen. „Laß die mal machen“, sprach der oberste amtierende Partei-Philosoph. Ich würde’s ja auch selber machen – aber bitteschön. Ladies first. Hier mußte die Luft gar nicht erst raus. Hier war überhaupt nie welche drin. Bolle meint: Mehr „Hinterzimmer“ (Markus Söder) geht nicht. Aber was soll’s. Wenn alle damit zufrieden sind?

Jetzt könnte folgendes passieren: Die Grünen geben sich in den nächsten fünf Monaten zum Entzücken der Wähler weiterhin strikt staatstragend und streng ungefähr – während die CDU nebst Schwesterlein auch weiterhin den Schuß nicht hört. Erstaunlicherweise sind die nächsten Wahlen ja schon bald – da merkt man vor lauter Corönchen gar nichts von. Dann fehlt nur noch, daß die FDP, oder wer auch immer, dann doch lieber irgendwie regieren will als gar nicht, und schon haben wir – das kann bei einer solchen Verkettung der Umstände durchaus passieren – ein Bundes-Baerchen am Start. Kanzlerin kann schließlich jeder. In Bereitschaft sein ist alles. Auch Frau Merkel hat ja mal klein angefangen. Allerdings war sie damals wenigstens schon mal Ministerin gewesen – für was genau, spielt in solch luftigen Höhen ja ohnehin keine Rolle mehr. Auch muß das überhaupt kein Schaden sein – darauf legt Bolle großen Wert. Und überhaupt: War es nicht Willy Brandt, der 1969 schon mal mehr Phantasie wagen wollte?

Wir werden sehen. Auf jeden Fall aber soll keiner behaupten, Zeitgeschichte habe keinen Sinn für Humor. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mo 19-04-21 Pastorale Eile

Jeder wie er kann.

Gestern morgen ist Bolle eher zufällig und ganz am Rande eine Predigt zu Gehör gekommen. Dazu muß man wissen, daß er nie wirklich hinhört, was das soziale Hintergrundrauschen angeht. Außer, es wird interessant. Und so war es diesmal auch. Bolle kam die Stimme des Pastors irgendwie bekannt vor. Da er sonst nicht viel mit Pastoren zu tun hat, war das dann doch ungewöhnlich. Und siehe da: Der durchaus pastoral vorgetragene Text kam gar nicht aus dem Munde eines berufenen Pastors. Vielmehr war es der Bundespräsident höchstselbst, der da sprach. Kiek ma eener an. Da schlummern doch verborgene Talente, die nur der Erweckung harren.

Was meinte unser Talent, vom pastoralen Duktus einmal abgesehen? Da ging es um Menschen, die aus dem Leben gerissen wurden. Bolle findet das jetzt nicht so ungewöhnlich, daß man eigens darauf hinweisen müßte. Im Grunde geht uns das wohl allen so, früher oder später. Conditio humana, eben. Interessanter war die pastorale Erwähnung des versteckten und einsamen Sterbens. Hat Bolle da einen Seitenhieb auf Corönchen herausgehört? Corönchen soll schuld sein, daß Menschen versteckt und einsam sterben? Eher würden ihm die sozialen Bangbüchs-Standards als eigentlicher Grund einleuchten. Aber so ist das nun mal, wenn eine Gesellschaft nach gehöriger Güterabwägung kollektiv zu dem Ergebnis kommt, daß Leben letztlich Würde sticht. Ob man das mit salbungsvollen Reden wieder raushauen kann? Bolle hat da seine Zweifel.

Hinzu kommt das hurtige Timing. Im Grunde sollte man ja meinen, daß eine Gedenkveranstaltung dem Gedenken dient und sich damit rein begrifflich auf Vergangenes bezieht und folglich erst post festum, also nach der Party, wirklich Sinn macht. Mitten in der Schlacht der Schlacht gedenken? Da muß man erst mal drauf kommen – und sich das dann auch noch trauen. So richtig plausibel ist es jedenfalls nicht.

Und? Was meint der Journalismus 2.0? Lobt die Rede als gefühlvoll und zugewandt. Nun, jedem das Seine. Auch habe sie eine Pause zum Nachdenken geboten. Pause für was? Pause von was? Wir kontemplativen Agnostiker pflegen ja tagtäglich Zeit für ein entsprechendes Päuschen zu finden – und nicht erst, wenn das Kind bereits im Brunnen liegt. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

So 18-04-21 Schöne alte Welt?

Damals.

Früher war alles besser. Das war den reflektierteren Schichten schon immer klar.  Falls das stimmen sollte, dann müßte die Menschheit allerdings von Generation zu Generation einen gewissen Rückschritt erlitten haben. Wie herrlich müssen dann die Zeiten „ganz früher“, sagen wir in der Antike, gewesen sein? Naheliegender scheint Bolle, daß ein solches Statement rein mathematisch nicht haltbar sein dürfte.

Umgekehrt, und das ist eher neu, gilt das Überkommene manchen Zeitgenossen als zu Recht überkommen. Zum Beleg wird dabei gerne, neben hunderten weiterer „Belege“, auf die beklagenswerte Stellung der Frau in den 1960er Jahren mit ihren „3 K“, also Kinder, Küche, Kirche als Lebenszweck verwiesen. Wie sind wir heute doch so herrlich emanzipiert!

Der Punkt läßt sich hier und heute, auf den Sonntag überdies, natürlich unmöglich ausloten – nicht einmal ernstlich streifen. Als allererstes nämlich müßten wir klären, was genau wir denn unter »besser« verstehen wollen. Und schon wird es richtig kompliziert.

Immerhin durfte man damals noch „Zwerge“ sagen, wenn man mit Zwergen zu tun hatte, ohne daß es gleich zum Zwergenaufstand kam.

Sagen wir so: Eine Menge alter Probleme konnte gelöst werden. Allerdings sind auch eine ganze Menge Probleme frisch hinzugekommen. Einstein hat das Kernproblem, übrigens damals schon, wie folgt gefaßt: Wir leben in einer Zeit vollkommener Mittel und verworrener Ziele. Bolle meint: Was denn für Ziele?

Die vielleicht bedeutsamste Veränderung seit den 1960er Jahren: Damals tummelten sich etwa zwei oder drei Milliarden Leute auf dem Planeten. Heute sind es derer acht. Daß das nicht ganz unproblematisch ist, ist den reflektierteren Schichten übrigens schon länger klar. So sah sich etwa David Ricardo, ein Nationalökonom klassischer Provenienz, schon 1821, also vor exaktemente 200 Jahren, veranlaßt anzumerken: „Es ist eine nicht zu bezweifelnde Wahrheit, daß die Annehmlichkeiten und das Wohlergehen der Armen nicht auf Dauer sichergestellt werden können ohne ihre eigene Einsicht oder ohne ein Bemühen der Gesetzgebung, ihr zahlenmäßiges Wachstum zu regulieren und die Zahl früher und unüberlegter Heiraten zu beschränken.“

Wie wir sehen können, gab es damals immerhin noch „nicht zu bezweifelnde Wahrheiten“. Das waren noch Zeiten.

Könnte es nicht vielleicht doch sein, daß es, wie Bolles Freund Franko San das vor vielen Jahren schon postuliert hat, so eine Art „kosmische Freud-/Leid-Konstante“ gibt – daß also jeder Fortschritt, den wir als Menschheit an irgendeiner Stelle erzielen, mit einem entsprechenden Rückschritt an anderer Stelle bezahlt werden muß? In der Summe also Null? (vgl. dazu auch Fr 05-02-21 What a wonderful world …).

Kurzum: Das Ruder, aus dem das alles laufen könnte, hat sich als ziemlich zäh und bemerkenswert langlebig erwiesen. Aber unkaputtbar? Wohl kaum. Das aber ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Sa 17-04-21 Der Bismarck unter den Heringen

Trotz allem.

Da blättert man, eher absichtslos, in einem schmalen Bändchen – in diesem Falle Kästners »Kurz und bündig« – und schon wird man fündig. Das Epigramm paßt aber auch aufs feinste ins aktuelle Hier und Jetzt.

Nun, was ein rechter Elephant ist – Bolle bevorzugt nach wie vor die kanonische Rechtschreibung, doch das nur am Rande –, der kann schon mal ein wenig poltern im Porzellangeschäft. Allerdings macht es wenig Sinn, ihm daraus einen Vorwurf zu machen. Eher ist das Umfeld schuld: zu empfindlich, zu zerbrechlich – viel zu Mimimi. Im Elephantenhaus, oder gar in freier Wildbahn, poltern Elephanten wohl weit weniger.

Wie verhält es sich im umgekehrten Falle – wenn also eine Tasse sich ins Elephantenhaus verirrt? Nun, poltern wird sie sicher nicht. Eher wird sie sich verwundern, wie sie denn dahin geraten konnte. Mimimi oder nicht: auf jeden Fall wird sie absehbar keine allzu gute Figur machen – was bei den gegebenen Größen- und Kräfteverhältnissen wiederum nicht weiter verwundern kann.

Und? Was würden wir vom Journalismus 2.0 erwarten? Er würde sich wohl, wie so oft, mit den Schwachen und Entrechteten solidarisieren und das alles ganz gemein finden: „Was macht der Elephant denn auch im Elephantenhaus? Hatte er nicht neulich noch versprochen, sich fernzuhalten? Die arme Meißner Tasse. So klein noch und schon so gefährdet.“ So viel Solidarität muß sein. Obwohl: Bolle meint ja immer, daß es nur ein schmaler Grat ist zwischen Gefühlsjournalismus und lediglich gefühltem Journalismus. Doch auch das nur am Rande.

Kommen wir zur wesentlichen Frage. Was, wenn Elephantenhäuser Wahllokale wären? Das Volk könnte sich, um im Bild zu bleiben, vermutlich eher vorstellen, von einem Elephanten regiert zu werden als von einem Täßchen Meißner Porzellan. Irgendwie wirkt der souveräner. Ob er dann auch wirklich besser regieren würde, sei ausdrücklich dahingestellt. Erstens weiß man das erst hinterher und zweitens, bedenklicher noch, fehlt es notwendigerweise am Vergleich. Man kann nun mal nur einen wählen – und den hat man dann am Halse.

Ein Schelm, wer jetzt an Kanzlerkandidaten denkt. Auch wäre das schon wieder ein anderes Kapitel.

Fr 16-04-21 Chinas dicke Kinder

Von das kommt das.

Die letzte schwere Hungersnot in China ist noch nicht allzu lange her. Damals, um 1960 rum, wollte der Große Vorsitzende Mao Zedong, der damals übrigens noch Mao Tse-Tung hieß, das Land auf Teufel komm raus und praktisch über Nacht in blühende Landschaften verwandeln. Kennen wa ja. Also sollten die Bauern, statt Reis anzubauen, Stahl, und zwar ganz viel Stahl in selbstgebastelten Hochöfen produzieren. Damals dachte man nämlich noch, und zwar weltweit, daß die Stahlproduktion der entscheidende Indikator für wirtschaftliche Macht und Stärke sei. Der bäuerliche Stahl war allerdings für industrielle Zwecke völlig unbrauchbar. Auch konnte man ihn nicht essen. Das Ende vom Lied: Zwischen 15 und 55 Millionen Hungertote, je nach Schätzung. Soweit zu Maos „Großem Sprung nach vorn“.

Aber auch anderswo wurde schon immer viel gehungert. So hat etwa Heinrich IV von Frankreich seinerzeit, um 1610, einigen Ehrgeiz darauf verwendet, dafür zu sorgen, daß jeder Bauernhaushalt wenigstens am heiligen Sonntag, also einmal die Woche, sich eines poule au pot erfreuen kann, also eines Hühnchens im Topfe – statt sich allein mit „Hirsebrei mit Bratkartoffeln, Spiegelei“ begnügen zu müssen – wie es das deutsche Folk-Duo Zupfgeigenhansel 1976 mal gefaßt hat.

Aber namentlich die Chinesen haben mächtig dazugelernt. Das mit dem Stahl haben sie mehr oder weniger übersprungen und sich trotzdem zur demnächst wohl größten Wirtschaftsmacht auf dem Planeten gemausert. Technisch ist also alles soweit im grünen Bereich. Niemand muß mehr hungern.

Warum aber klappt es dann auf der Human-Touch-Ebene so schlecht? Neulich hat Bolle eine Dokumentation mit dem Titel »Chinas dicke Kinder« gesehen (ZDF-Mediathek / verfügbar noch bis Juli 2022). Im Kern ging es dabei darum, daß knapp 10 Prozent der Chinesen, namentlich aus der jüngeren Generation, adipös sind – vulgo: viel zu fett. Erstaunlich, wie leicht man selbst im Reich der Mitte seine Mitte verlieren kann. Es muß doch auch was zwischen hungern und verfetten geben. Bei allen Patriarchen: „Wenn Du Deine Mitte verloren hast, dann mußt Du sie halt wiederfinden.“ Und damit sind wir doch erstaunlich dicht bei unserem alten Indianer von gestern. Die Welt wohldosiert berühren! Aber leichter gesagt als getan. Der vielleicht nicht schlechteste erste Schritt dahin – Bolle wird nicht müde, darauf rumzuhacken – könnte durchaus ein gewisses Maß an Kontemplation sein. Und da sind wir ja schon gut dabei. Also gegebenenfalls Waage wegschmeißen, Kühlschrank gleich hinterher – und auf zu neuen Taten. Mittenmang aus der Mitte. Total so!

Übrigens gibt es auch Ausnahmen von der Regel: So berichtet etwa Herodot (etwa 490–430 v. Chr.) in seinen »Historien«: „Die Lebensweise der Ägypter ist folgende. Jeden Monat nehmen sie drei Tage nacheinander Abführmittel ein und erhalten sich durch Brechmittel und Klystiere ihre Gesundheit; denn sie meinen, alle Krankheiten rühren von den eingenommenen Speisen her.“ Hier hätten wir es also mit so einer Art institutionalisiertem Ramadan zu tun. Nur eben im Monats- und nicht im Jahresrhythmus und ohne Zuckerfest. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Do 15-04-21 Von Eise befreit sind Strom und Bäche …

Frühling im Dörfchen.

Das Dörfchen präsentiert sich in seinem schönsten Gewande. Da möchte man doch gerne raus und, wenn schon nicht unter Linden, so doch zumindest unterm Kirschbaum weilen. Und wieder einmal ist es Faust, der des Volkes Frühlingsgefühl auf den Punkt bringt:

Zufrieden jauchzet groß und klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!

Daß dabei so mancher (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course)  eher an die Werbebotschaft seines Drogeriemarktes denken wird, soll uns hier nicht weiter bekümmern. Aber möglichst nicht mehr raus zu sollen – jedenfalls nicht aus so trivialen Gründen wie jauchzen oder einfach Mensch zu sein und dabei auch noch zu meinen, das müsse man ja dürfen dürfen –  das muß dann doch bedenklich stimmen.

Was bei dem ganzen Corönchen-Gedröhnchen verloren zu gehen droht, ist nicht weniger als der gute alte common sense – hier also etwas so elementares wie der Unterschied zwischen drinnen und draußen. Ein Unterschied also, der durchaus einen Unterschied macht. Werfen wir also einen Blick auf das Grundsätzliche.

Die Lunge, das ist ihre Aufgabe, tauscht sich so richtig fleißig aus mit der Umwelt. Wir atmen ein, wir atmen aus, wir atmen wieder ein … Auf diese Weise kommen wir auf in etwa einen halben Kubikmeter Luftaustausch pro Stunde. Hinzu kommt, daß wir nicht nur Luft austauschen, sondern eben auch Feuchtigkeit – neudeutsch: Aerosole. Das weiß jeder, der schon mal einen Spiegel angehaucht hat. Im Freien verteilt sich das. In geschlossenen Räumen eher nicht. Der eine (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course) atmet ein, was der andere vorher ausgeatmet hat. Der Punkt ist: Wir sind an diesen Austausch gewöhnt! Das kann nicht anders sein. Das muß geradezu so sein. Wären wir es nicht, wären wir längst ausgestorben bzw. hätten uns gar nicht erst entwickeln können und die Welt würde den Viren gehören. Tut sie aber nicht.

Stellen wir spaßeshalber eine kleine Extremfall-Betrachtung an und nehmen wir an, jemand atme ein einziges vereinzeltes Corönchen ein. Ist der jetzt „infiziert“? Corönchen-Positiv? Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Plausibler ist, das dieses eine einzige Corönchen vom Immunsystem so auf die Mütze kriegt, daß ihm Hören und Sehen vergeht.

Wie verhält es sich bei 2, 3, oder 10 Corönchen? Wahrscheinlich ändert sich nicht viel. Wie ist es bei 100? Bei 1.000 gar? Irgendwann wird vermutlich ein Punkt erreicht sein, wo sich das Immunsystem überrumpelt fühlt und dann doch ein wenig schwächelt. Wer sich also an einem einzigen Abend und auf einen Schlag die volle Ischgl-Dröhnung gibt, muß sich nicht weiter wundern, wenn er sich schlimmerenfalls auf einer Intensivstation wiederfindet.

Bei einer feinverteilten Aufnahme könnte das ganze allerdings ganz anders aussehen: Das Immunsystem kommt mit den Corönchen nicht nur klar – es „lernt“ auch, daß da was im Anmarsch ist. Der Effekt könnte der gleiche sein wie bei einer herkömmlichen Impfung. Eine abgeschwächte Viruslast bereitet das Immunsystem auf höhere Viruslasten vor. Bio Protection, sozusagen – ganz natürlich und völlig ohne Pieks.

Umgekehrt bedeutet das: Wenn einer empfehlungskonform peinlichst darauf achtet, mit Corönchen gar nicht erst in Kontakt zu kommen, dann steigt natürlich die Wahrscheinlichkeit ernorm, daß bei erstbester Gelegenheit die volle Ischgl-Packung auf sein völlig unvorbereitetes Immunsystem trifft – und zwar mit allen unerfreulichen Konsequenzen. „Je zivilisierter, desto sterilisierter“ – die Schlafschul-Weisheit aus Huxley’s ›Schöne Neuer Welt‹ (1932), vgl. dazu  Sa 23-01-21 In vino veritas – ist nach allem wohl bei weitem nicht der Weisheit letzter Schluß. Was dann? „Die Welt wohldosiert berühren“, nennt das der alte Indianer. Wohl dosiert. Berühren. Also nicht mitten reinplatschen  – und auch nicht schreiend davonlaufen oder sich unterm Sofa verkriechen (duck and cover). Aber vielleicht ist das einfach viel zu einfach, um einzuleuchten.

Ob das alles so stimmt, kann Bolle natürlich auch nicht sagen. Nur einleuchten würde es ihm halt. Bevor es jemand ausprobieren mag, sollte er vielleicht doch besser zunächst seinen Arzt oder Apotheker fragen. Vielleicht weiß der ja mehr. Aber das ist dann doch schon wieder ein anderes Kapitel.

Mi 14-04-21 Wer immer strebend sich bemüht …

Finales Argument.

Oft sind es ja die kleinen Dinge, die, je nach Tagesform, erheitern oder auch befremden. So ist Bolle eine Meldung untergekommen, der zufolge gut ein Fünftel der Doktoranden (beider- bzw. allerlei Geschlechts, of course)  aus 2012 mit ihrer Doktorarbeit noch nicht fertig sind.

Bolle meint: Na und? Gut 8 Jahre, das ist ein Wimpernschlag vor dem Herrn. Zwar sollte man, wenn alles nach Plan läuft, nicht länger als 3 Jahre brauchen. Entsprechend sehen die Ergebnisse dann ja auch aus. Doch Vorsicht! Auch bei Doktorarbeiten handelt es sich um ein Teekesselchen der tückischen Sorte – mit hoher Konfusionsgefahr. Namentlich sind zeitgesteuerte strikt von ergebnisgesteuerten Arbeiten zu unterscheiden. Dabei ist eine zeitgesteuerte Arbeit fertig, wenn die Zeit um ist, und der Doktorand etwas vorlegt, das man mit etwas gutem Willen als Abschlußarbeit durchgehen lassen kann. Glückwunsch! Bei einer ergebnisgesteuerten Arbeit liegen die Dinge anders. Hier weiß kein Mensch, wie lange es dauern wird, bis sich die schiere Fülle der Phänomene in eine gefällige Form wird fügen lassen. Der letzte, der das wissen kann, ist der Doktorand. Er ist nun mal kein Holzfäller, der überschlagsmäßig überblicken kann, wieviel Morgen Wald noch vor ihm liegen.

Aber darum geht es auch immer weniger. In einer Welt, die Planbarkeit über alles liebt, müßte es doch mit dem Teufel zugehen, wenn man nach den vorgesehenen 3 Jahren nicht fröhlich „Fertig!“ krähen könnte, ohne allzu rot zu werden. Mehr wird ja auch gar nicht erwartet. Hauptsache, der Zeitplan stimmt. Und wenn nicht, dann dauert es halt weitere 3 Jahre. Und noch weitere 3 Jahre – und schon findet man sich unter den zielverfehlten Langzeit-Doktoranden wieder. Glücklicherweise ist es dabei aber meistens so, daß man einfach nur den Schuß nicht gehört hat und die Doktorarbeit so eine Art touch down erfahren hat. Sie gammelt in irgendeiner hinteren Schublade unvollendet vor sich hin, derweil der Doktorand am sausenden Webstuhl der Zeit anderweitig zu tun hat – dabei auf Nachfrage aber gerne weiterhin verkündet, daß er „promoviere“.

Im Grunde schließt sich hier der Kreis des Elends. Bolle findet ja, daß »promovieren« von lat. promovere kommt und ›vorwärts bewegen‹ oder auch ›befördern‹ bedeutet. Natürlich kann man sich, strikt reflexiv, selber vorwärtsbewegen. Oft genug ist das auch nicht das schlechteste – hier aber nicht gemeint. Man stelle sich einen schlichten Angestellten vor, der verkündet, daß er „befördere“. Die Frage „Ja, und was?“ wird nicht lange auf sich warten lassen. Wenn er nun nachsetzt und verkündet: „Na, mich selbst“, dann muß er mit der Frage rechnen: „Und? Wohin?“ – „Na, auf die nächste Stufe der Leiter, halt.“ – „Du? Dich? Selber?“ – So geht das also nicht. Befördert wird man – passiv und nicht reflexiv. Für „promoviert“ gilt selbiges.

Wenn das alles etwas klarer wäre, dann hätten wir es vermutlich auch weniger mit den ganzen Karriere-Doctores zu tun, die frei nach Mephistopheles’ Motto verfahren: „Ein Titel muß sie erst vertraulich machen, // Daß meine Kunst viel Künste übersteigt …“. Mit Wissenschaft im engeren Sinne hat das indes nicht mehr allzu viel zu tun.

Fassen wir es so: Giovanni Trapattonis „Ich habe fertig“ läßt, was Sprachgewalt und Wortgewandtheit angeht, ein albernes „Ich habe promoviert“ weit hinter sich. Das aber ist dann doch schon wieder ein ganz anderes Kapitel.